Adriana Altaras' Roman "Doitscha!"
20. März 2015Adriana Altaras ist ein Multitalent: Schauspielerin, Regisseurin und Autorin, intelligent, schlagfertig und ungeheuer witzig. Die gebürtige Kroatin wurde 2010 durch ihre Inszenierung der "Vagina-Monologe", einer Sammlung von Interviews über die sexuellen Erfahrungen von Frauen, international bekannt. Dem Theater blieb sie auch weiterhin verbunden. Mit "Titos Brille" gab sie 2011 ihr Debüt als Romanautorin. Die humorvoll erzählte Geschichte ihrer jüdischen Eltern, die mit Titos Partisanen gegen die Nazis kämpften und nach dem Krieg vor der kommunistischen Verfolgung aus Jugoslawien nach Gießen flüchteten, wurde in Deutschland zum Bestseller und 2014 von Regina Schilling dokumentarisch verfilmt. Adriana Altaras selber zeichnet in diesem Film die Geschichte ihrer "strapaziösen Familie" nach, auf einer langen Reise in die Vergangenheit, die von Berlin über Gießen an den Gardasee und nach Zagreb führt – eine ganz persönliche Identitätssuche.
Porträt einer irrsinnigen Familie
In ihrem zweiten Roman "Doitscha. Eine jüdische Mutter packt aus" schreibt sie diese Geschichte in der zweiten und dritten Generation fort. Sie erzählt von einer modernen deutsch-jüdischen Familie in Berlin-Schöneberg, unschwer zu erkennen als literarisches Double der Familie Altaras.
Zentraler Konflikt ist das Verhältnis des westfälisch-katholischen Vaters und des pubertierenden Sohnes David, der am liebsten zu hundert Prozent jüdisch wäre und seinen genbedingten Status als "Fünfzig-Prozent-Deutscher" verabscheut. Umso heftiger rebelliert er gegen seinen Vater und fordert ihn regelmäßig am Esstisch der Familie mit dem titelstiftenden "Ey Doitscha!" heraus.
Es gibt zahllose Romane über Familien und ihre Konflikte, aber sicherlich wenige so komische, alltagserprobte und gleichzeitig hintergründige wie Altaras' humorvolles Familienporträt. Die jüdische Mutter, die beiden Söhne David und Sammy und der in sich ruhende Vater, sie alle leuchten im Brennstrahl heiteren Spotts. In eigenen Kapiteln kommen sie und alle anderen Figuren, die Freunde, Verwandte und sogar die Therapeutin, aus ihrer jeweiligen Perspektive zu Wort – das ist das Besondere an diesem Roman – allerdings immer in einer Stimmlage, in der der Witz der Autorin als Grundton mitschwingt.
Deutsch-jüdische Gegenwart
Die Grundfrage des Romans ist einfach. Wie geht es einem Deutschen in einer jüdischen Familie? Adriana Altaras hat die Blickrichtung umgedreht. Die spielerische Versuchsanordnung ist nicht mehr die gewohnte Problematik der vereinzelten Juden unter vielen Deutschen, sondern die des einzelnen Deutschen in einer jüdischen (und natürlich auch deutschen) Familie. Die Klischees werden gewendet. "'Doitscha' zu sein", kommentiert die Autorin bei einer Lesung auf der lit.Cologne, "ist ja an sich schon nicht einfach – in einer jüdischen Enklave noch schwieriger, weil wenig geht." Ihr Trick, das Kleine zu betrachten, um darin das Große, nämlich das deutsch-jüdische Verhältnis zu studieren, führt die Autorin zur optimistischen Erkenntnis: "Etwas Wesentliches hat sich verändert. Es geht nicht mehr nur um die Shoa, sondern um ein jüdisches Leben in Deutschland, und das eventuell sogar für länger, ja vielleicht sogar für immer."
Die vorsichtige Hoffnung auf beginnende Normalität hegt die 1960 in Zagreb geborene, über Italien nach Deutschland gelangte Schriftstellerin auch noch nach den Attacken gegen Juden in Europa in den letzten Monaten. "Das ist kein jüdisches, sondern ein ganz, ganz großes Thema, das alle angeht." Hat sie Angst? Nein, einschüchtern lassen wolle sie sich keinesfalls. "Denn wenn ich das zulasse, dann haben die ja schon gewonnen, dann ist es ja gelaufen. Ich will mir mein Berlin nicht nehmen lassen. Dieses freie Berlin. Das mache ich nicht mit." Dafür erhielt Adriana Altaras am Ende ihres Abends auf der lit.Cologne viel Applaus.
"Doitscha. Eine jüdische Mutter packt aus" erschien im November 2014 im Verlag Kiepenheuer & Witsch. Adriana Altaras erster Roman "Titos Brille" von 2011 wurde unter demselben Titel verfilmt.