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"Es wird etwas passieren"

Mathias Bölinger15. August 2015

Rund drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln leben in Deutschland. Je stärker der Konflikt in der Türkei eskaliert, desto mehr wächst die Angst vor Gewalt in Deutschland. Unterwegs bei Einwanderern in Berlin.

Anti Erdogan Demo Bochum
Deutsch-Türken bei einer Demonstration gegen Präsident Erdogan in Bochum im Jahr 2014Bild: picture alliance / dpa

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Die Männer treten aus dem Gebetsraum und holen ihre Schuhe aus dem Regal. Eine Handvoll Gläubige ist an diesem Abend zum Gebet gekommen. Die meisten Männer hier stammen aus der Türkei. Viele sind im Rentenalter, einige jüngere sind auch dabei. "Richtig stinkig" sei er, sagt ein Vierzigjähriger mit Stoppelbart, der mit seinem kleinen Sohn beten war. Er sei wütend auf Europa, das die Türkei nicht unterstütze im Kampf gegen die Terroristen. Mit Terroristen meint er die PKK, die verbotene Kurdische Arbeiterpartei, die sich seit Jahrzehnten im Kampf mit dem türkischen Staat befindet.

"Sie greifen an, weil die Türkei aufsteigt"

Die kleine Hinterhofmoschee im Berliner Stadtteil Neukölln wird vom staatlichen türkischen Moscheeverband Ditib betrieben. Im gleichen Gebäude ist ein Büro der islamistischen Bewegung Milli Görus untergebracht, die seit den siebziger Jahren die Idee des politischen Islam unter den türkischen Muslimen propagiert und die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Hierher kommen vor allem die Konservativen zum Gebet. Es sind Männer, die die Weltsicht von Präsident Recep Tayyip Erdogan teilen. "Zum ersten Mal seit 80 Jahren kommt die Türkei wirtschaftlich nach oben", sagt ein Mann, der seinen Oberlippenbart so ähnlich trägt wie der Präsident. "Deshalb greift der Westen Erdogan an."

Die Kritik, die in Europa an der Bombardierung kurdischer Stellungen im Nordirak geäußert wird, können sie hier nicht verstehen. Deutschland, so sind sie überzeugt, unterstütze verdeckt die PKK, um die Türkei zu schwächen. Bewusst nehme die deutsche Regierung in Kauf, dass Waffen, die sie an die Peschmerga, die Millizionäre der irakischen Kurden geliefert habe, in die Händer der PKK fielen.

Fast drei Millionen Menschen in Deutschland haben ihre Wurzeln in der Türkei. Etwa eine halbe Million davon sind laut Schätzungen der Bundesregierung Kurden. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu Gewalt zwischen Anhängern beider Lager. Wann immer in der Türkei der jahrzehntealte Konflikt im Osten der Türkei wieder eskaliert, sind auch in Deutschland die Gemeinden in Aufruhr. Auch die Männer vor der Moschee glauben, dass in Deutschland wieder "etwas passieren wird" – ausgehend selbstverständlich von Seiten der anderen, von der PKK.

"Wir sind beunruhigt"

Bis jetzt herrsche aber noch Ruhe innerhalb der verschiedenen Gemeinschaften, so berichten es übereinstimmend die Vertreter der türkischen Verbände. "Es gibt keine Spannungen", sagt Bekir Yilmaz, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde zu Berlin, die als eher konservativ gilt. Auch Ayse Demir, die Sprecherin des liberalen Türkischen Bunds Berlin-Brandenburg hat den Eindruck, dass es noch ruhig ist: "Aber wir sind beunruhigt", sagt sie. Je stärker der Konflikt in der Türkei eskaliere, desto größer werde auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Spannungen in Deutschland zunähmen.

Dabei ist die Einwanderergemeinde längst nicht nur in Anhänger der Regierung und der kurdischen Rebellen gespalten. Jede politische Strömung hat auch in Deutschland ihre Vertreter. Es gibt Vereine, die die Regierungspartei AKP unterstützen und solche, die den Kemalisten nahestehen, es gibt linke und rechte, nationalistische und religiöse Gruppen. Die wichtigsten politischen Parteien haben entweder offizielle Vertretungen oder Vereine, die ihre Botschaft in die deutsche Öffentlichkeit tragen. Die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) beispielsweise gilt als Sprachrohr von Erdogans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP).

Ähnlich wie die Männer vor der Moschee fordert die Vereinigung, dass sich die Bundesrepublik in dem Konflikt eindeutig auf die Seite der türkischen Regierung stellt. "Es kann nicht sein, dass man Terroranschlägen schweigend gegenübersteht", sagt Fatih Zingal, der stellvertretende Vorsitzende des Verbands. Er fordert, dass Deutschland gegen PKK-Anhänger Ausreiseverbote verhängt wie gegenüber den Dschihadisten, die den "Islamischen Staat" (IS) unterstützen.

Auch die HDP, die Demokratische Partei der Völker, hat in Berlin ein Parteibüro. Die Sammlungsbewegung kurdischer, linker und liberaler Gruppen, deren Wahlerfolg Erdogans AKP zuletzt die absolute Mehrheit gekostet hat, sitzt im Stadtteil Wedding. Im gleichen Gebäude wie die Partei hat auch der kurdische Verband Nav-Dem seinen Sitz. Wer diesen Ort mit der Szene vor der Moschee vergleicht, versteht schnell, wie unterschiedlich die Lebenswelten der Zuwanderer aus der Türkei auch in Berlin sind. An den Wänden im Versammlungssaal hängen Porträts des PKK-Führers Abdullah Öcalan. Auf einem Tisch an der Wand sind wie auf einem Altar die Porträts gefallener PKK-Kämpfer aufgereiht. Man spricht hier vom "kurdischen Befreiungskampf " aber auch von "Modellen der Selbstverwaltung", die der "kapitalistischen Moderne" entgegensetzt werden.

Bilder erinnern im Vereinsraum an gefallene PKK-KämpferBild: DW/M. Bölinger

Mehtap Erol ist Mitglied im Verband und eine der beiden Vorsitzenden der HDP in Berlin. Ihre Sympathie für die PKK versucht sie gar nicht zu verbergen. "Die Guerilla ist die einzige Hoffnung der Menschen in Kurdistan", sagt sie. Es sind Aussagen, die nicht alle ihrer Parteifreunde unterschreiben würden. Die Partei versteht sich als pluralistisch und hat es zum ersten Mal geschafft, kurdische Aktivisten, linke Kemalisten, Liberale und Vertreter von Lesben und Schwulen zusammenzubringen.

"In Berlin hat sich durch die HDP viel verändert", sagt Erol. Zum ersten Mal hätten sie als Kurden das Gefühl, ihr Anliegen werde von Teilen der türkischen Community aber auch von Teilen der deutschen Politik ernst genommen. "Wenn wir früher auf die Straße gegangen sind, hieß es: Ach, das sind wieder die Kurden", sagt sie. "Das ist jetzt anders." Die HDP arbeitet mit der deutschen Linkspartei zusammen. Auch der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir hat der Partei seine Unterstützung zugesagt.

Mehtap Erol, Co-Vorsitzende der HDP in BerlinBild: DW/M. Bölinger

Tee trinken mit Terroristen

Erol sitzt mit zwei anderen kurdischen Aktivistinnen auf einem Garagendach im Hinterhof, das als Terrasse an die Vereinsräume anschließt. Auch bei ihnen wächst die Angst. Die Jesidin Hüsniye Günay erzählt, dass sie zunehmend IS-Anhänger in Berlin fürchtet. Neulich sei sie von drei jungen Bärtigen bis vor die Haustür verfolgt worden. Sie fingert eine silberne Kette aus der Bluse, an der als Anhänger ein Pfau hängt, das Symbol der Jesiden. Ihre Mutter habe sie vor kurzem am Telefon versprechen müssen, die Kette nicht mehr offen zu tragen. "Sie hat sich geweigert aufzulegen, bevor ich ihr das nicht geschworen habe."

Auch sie erwarten sich von der deutschen Regierung mehr Unterstützung, was in ihren Augen nicht nur einen entschlosseneren Kampf gegen die Dschihadisten bedeutet, sondern auch eine Aufhebung des PKK-Verbots. Das allerdings würde nicht nur bei den drei Männern vor der Moschee auf große Empörung stoßen. Seda Akter, die Dritte am Tisch, erzählt von einer unausgesprochenen Regel, die im Umgang mit mit türkischen Nachbarn oder den Eltern von Mitschülern ihrer Kinder gelte: Über Politik oder Religion wird nicht gesprochen. "Meine Ansichten machen mich in deren Augen zur Terroristin. Aber solange das unausgesprochen bleibt, setzen wir uns hin und trinken Tee zusammen."

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