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Politik

"Keine Wahlen im anglophonen Kamerun”

Adrian Kriesch
6. Oktober 2018

An diesem Sonntag sind Präsidentschaftswahlen in Kamerun - doch im englischsprachigen Landesteil sind sie unmöglich. Regierungstruppen kämpfen gegen Separatisten. Die DW hat mit zwei Unabhängigkeitskämpfern gesprochen.

Kamerun Präsidentschaftswahlen l Anhänger der MRC
Bild: Getty Images/AFP/M. Longari

Es hat lange gedauert, bis sie einem Treffen zugestimmt haben. Wir sind in einem Hotel in Nigeria, nur wenige Kilometer von der Grenze zu Kamerun entfernt. Nach einiger Wartezeit stehen zwei Separatisten in unserem Zimmer, schauen sich nervös um. Im Januar wurden in der nigerianischen Hauptstadt Abuja Anführer der Unabhängigkeitsbewegung in ihrem Hotel vom Geheimdienst festgenommen und später nach Kamerun ausgeliefert. Die beiden Männer stellen sich als Cobra und Catongo vor. Ihre echten Namen wollen sie nicht nennen.

DW: Warum haben Sie sich den Unabhängigkeitskämpfern angeschlossen?

Cobra: Ich nenne mich nicht Kämpfer - ich bin ein Verteidiger. Ich wurde nie als Kämpfer ausgebildet. Aber wenn du in die Ecke gedrängt wirst, hast du keine Wahl. Im September letzten Jahr hat ein hochrangiger Soldat in Mamfe einen Jungen erschossen. Vor meinen Augen, bei einem friedlichen Protest. Ich wäre vielleicht der nächste gewesen.

Was haben Sie vorher gemacht?

Catongo: Ich bin Geschäftsmann.

Cobra: Ich war Farmer und Händler.

"Was uns am Leben hält, sind unsere Kenntnisse des Gebietes", sagt Unabhängigkeitskämpfer CobraBild: DW/A. Dada

Aufgestaute Wut

Seit Jahrzehnten beklagen sich die Bewohner im englischsprachigen Westen des Landes über Vernachlässigung seitens des mehrheitlich französischsprachigen Regierung. In den 60ern wurde Kamerun unabhängig - und das frühere französischsprachiges Mandatsgebiet mit dem englischen zusammengefügt. Offiziell gibt es seitdem zwei Amtssprachen, zwei Bildungssysteme, zwei Rechtssysteme.

Doch in der Realität fühlt sich die Minderheit im anglophonen Süd-Westen Kameruns seit Jahren unterdrückt und benachteiligt. Im Oktober 2016 gehen Anwälte aus dem anglophonen Gebiet auf die Straße, im November folgt ein Streik der Lehrer und Demonstrationen. Die Regierung ignoriert die Forderungen und reagiert mit Gewalt. Mehrere Demonstranten kommen ums Leben, das Internet wird für drei Monate abgeschaltet. Ein bewaffneter Widerstand formiert sich und fordert einen eigenen Staat: Ambazonien.

Die Regierungstruppen sind gut ausgestattet. Wie kämpfen Sie?

Cobra: Wir haben Waffen: Jagdgewehre. Ich habe meinen Vater früher bei der Jagd begleitet und kenne mich gut mit dem Gewehr aus. Aber was uns am Leben hält sind unsere Kenntnisse des Gebietes.

Catongo: Wir haben keine Waffen. Wir haben mit Stöcken angefangen. Aber im Kampf mit dem Militär erbeuten wir manchmal Gewehre. Sie bringen Waffen, um mich zu töten - und ich versuche, ihnen diese Waffen abzunehmen.

Von Soldaten beschossen: Unabhägigkeitskämpfer CatongoBild: DW/A. Dada

Schusswunden und gebrochene Knochen

Catongo ist beinahe ums Leben gekommen, als die Soldaten sein Haus angriffen. Er zeigt uns zwei Einschusswunden am Rücken. Aus der rechten Achsel sind die Schüsse wieder rausgekommen, eine üble Entzündung war das Resultat. Auch Catongo hat  Kampfverletzungen - darum erholt er sich in Nigeria.

DW: Beobachter sagen, dass ungefähr zehn verschiedene Separatisten-Gruppen im anglophonen Kamerun aktiv sind. Welcher Gruppe gehören sie an?

Catongo: Wir haben uns als Selbstverteidigungs-Gruppe in meinem Dorf zusammengeschlossen. Als das alles losging haben die Soldaten uns attackiert und beklaut. Sie haben damals einfach den Fernseher aus meinem Haus geklaut und meine Mutter geschlagen. Wir sind mehr als 100 Kämpfer, gehören aber keiner Gruppe an.

Cobra: Ich gehöre zu den Nine Deciples. Wir sind mehr als 200. In meiner Heimatregion um Mamfe gibt es die Nine Deciples und Anaconda.

300.000 Vertriebene

Eine Autostunde entfernt befindet sich das Flüchtlingscamp Adagom. 3000 Flüchtlinge haben sich hier angesiedelt. Insgesamt wurden 300.000 Menschen aus den anglophonen Gebieten Kameruns vertrieben, 30.000 sind nach Nigeria geflüchtet. Egal mit wem man hier spricht: die Wut auf die Regierung in Kamerun ist groß. Jeder hier kann eine Geschichte von Militärgewalt erzählen. Wählen können die Geflüchteten hier nicht. Aber das wolle eh kaum einer, sagt Agbor Flavious, einer der Gemeindevorsteher. Er vermutet, dass Paul Biya auch nach 36 Jahren an der Macht Präsident bleibt. "Er hat sein ganzes Leben nichts für uns getan", sagt Flavious. "Warum sollte er es jetzt im Rentenalter tun?"

Am Sonntag sind Präsidentschaftswahlen in Kamerun. Ist das im anglophonen Teil überhaupt möglich?

Catongo: Es wird keine Wahlen in Ambazonien geben. Das stellen wir sicher. Das Militär versucht, die Menschen zum Wählen zu zwingen, aber das wird nicht funktionieren. Die meisten Leute sind ohnehin bereits geflüchtet. Aber wir kennen ja die Tricks von Herrn Biya. All seine Wahlbetrug-Strategien. 36 Jahre hat er die Kameruner manipuliert.

Gegner der Unabhängigkeitskämpfer: Präsident Paul BiyaBild: DW/F. Muvunyi

Fehlende Selbstkritik

Auch Separatisten werden Verbrechen an Zivilisten vorgeworfen.

Cobra: Das sind alles Militärs, die diese Taten begehen - damit sie dann ihr hartes Vorgehen gegen uns rechtfertigen können.

Sie erzwingen, dass die Schulen geschlossen bleiben. Lehrer werden angegriffen. Warum?

Catongo: Du kannst nicht zur Schule gehen, wenn dein Vater vom Militär getötet und deine Mutter vergewaltigt wurde. Die Kinder haben deshalb selbst gesagt: es wird keinen Unterricht hier geben, keinen Markt, alle Aktivitäten hier werden eingestellt bis das Problem gelöst ist. Bildung ist gut und wichtig. Niemand sagt, zur Schule gehen ist schlecht. Aber nicht unter diesen Umständen.

Ihre eigenen Kinder können nicht in die Schule gehen. Besorgt Sie das nicht?

Catongo: Ich sage meinen Kindern: selbst wenn ihr 10 Jahre nicht in die Schule geht, ist das besser als weiter unter Biyas System zu leben. Irgendwann haben wir die Unabhängigkeit. Und überhaupt: selbst wenn du als Englischsprachiger hier zur Schule gehst – einen Job von der Regierung bekommst du ohnehin nicht.

DW: Vertreter der Kirche haben zu einem Dialog aufgerufen. Wären Sie dazu bereit?

Cobra: Wir haben damit kein Problem. Das Problem ist Herr Biya. Jeder ist bereit zu einem Dialog - aber es werden Konditionen gestellt. Die Lösung dieser Krise liegt in den Händen von Paul Biya.

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