Ein tätowierter Musiker und zwei miteinander tanzende Männer: Diese Beiträge strahlte ein Streamingdienst in China bei der Übertragung des ESC-Halbfinals nicht aus. Nun darf er auch das Finale nicht zeigen.
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Mango TV hat weder das zweite Halbfinale am Donnerstag ausgestrahlt, noch wird das chinesische Online-Portal des staatlichen Senders Hunan TV das Finale der ESC-Show am Samstag in Lissabon ausstrahlen.
Der Grund: Bei der zeitversetzten Ausstrahlung des ersten Halbfinales am Mittwoch in China wurden zwei Beiträge komplett herausgeschnitten. Der albanische Beitrag mit dem tätowierten Sänger Eugent Bushpepa fiel ebenso der Zensur zum Opfer wie der Beitrag Irlands, in dem zwei Männer miteinander tanzen. Im Publikum geschwenkte Regenbogenflaggen, ein beliebtes Symbol der LGBTQ-Community, verpixelte Mango TV.
Strenge chinesische Zensur
In einem Statement bedauert die European Broadcasting Union (EBU), der Senderverbund, der den Eurovision Song Contest produziert, die sofortige Einstellung der Partnerschaft mit dem chinesischen Sender. Eine Zensur der Beiträge sei nicht konform mit den Werten von "Universalität und Inklusivität, unserer stolzen Tradition, Vielfalt durch Musik zu feiern".
Lissabon im Zeichen des ESC
04:24
Mango TV äußerte sich nicht zu den fehlenden Beiträgen. Ein Sprecher von Hunan TV sagte gegenüber der Presseagentur AFP, auf offizieller Seite sei nichts über zensierte Beiträge bei der chinesischen ESC-Ausstrahlung bekannt.
Der irische Künstler Ryan O'Shaugnessy begrüßt die Entscheidung der EBU. "Liebe ist Liebe", sagte er der BBC. "Egal, ob zwischen zwei Jungs, zwei Mädchen oder einem Jungen und einem Mädchen. Das war ein wichtiger Beschluss der EBU."
LGBTQ-Tabu
Seit 2016 dürfen LGBTQ-Beziehungen, auch nicht angedeutet, im chinesischen Fernsehen gezeigt werden. Seit Anfang des Jahres dürfen im Fernsehen auch keine Tattoos zu sehen sein: Auch Fußballspieler müssen bei Spielen, die im TV übertragen werden, ihre Tattoos verdecken.
db/ld (AFP, AP)
Unsere ESC-Favoriten 2018
Wann berührt ein Song den Zuhörer? Das ist schwer zu sagen, denn Geschmäcker sind verschieden. So auch die unserer ESC-Reporter Silke Wünsch und Rick Fulker, die hier ihre Favoriten vorstellen - ganz subjektiv natürlich!
Bild: picture alliance/AP Photo/A. Braastad
Silke: Mikolas Josef (Tschechien)
Das sind ja mal ganz andere Töne, die man da aus Tschechien hört! "Lie To Me" ist feiner Elektrofunk-Hiphop! Der Junge ist richtig gut, die Nummer witzig, und sie erinnert mich ein bisschen an Snoop Doggs "Drop It Like It's Hot". Nachdem Tschechien in der Vergangenheit unter "ferner liefen" fiel, ist hier vielleicht sogar eine Top Ten-Platzierung möglich.
Bild: Andres Putting
Rick: Ryan O’Shaughnessy (Irland)
Im Video tanzen zwei verliebte junge Männer durch die Straßen von Dublin. Die leise und leichte, luftige und langsame Ballade wurde aus mehr als 300 Liedern in Irland ausgewählt. Damit könnte Ryan O'Shaughnessy an die vielen irischen ESC-Triumphe in den 90er- Jahren anknüpfen.
Bild: Reuters/P. Nunes
Silke: Sennek (Belgien)
Belgien ist immer für eine Überraschung gut. Diesmal ist es die Sängerin Sennek, die mit einer warmen und kräftigen Soulstimme ihre Ballade "Matter Of Time" singt. Zunächst nichts Besonderes, dachte ich am Anfang des Songs. Aber im Refrain geht für mich die Sonne auf. Toller Song, tolle Stimme.
Bild: Andres Putting
Rick: Michael Schulte (Deutschland)
Die Tränen kommen, und sie sind echt und ehrlich. Das Lied hat alles: solide Struktur, einprägsamen Refrain, verständlichen Text und eine Botschaft, die jedem nahe geht weil er sie persönlich erlebt hat - den Verlust eines Familienmitglieds. Michael Schulte ist nicht nur sympathisch und sehr persönlich - er ist ganz klar ein Profi. Schwer, hier irgendwelche Defizite auszumachen.
Bild: Andres Putting
Silke: Alexander Rybak (Norwegen)
Der Titel des Songs ist Programm: "That's How You Write A Song" - so schreibst du einen Song - hat alles, was ein sommerlicher Gute-Laune-Popsong haben muss. Bei der Funky-Dance-Nummer bleibt man nicht still sitzen. Und den Sänger mit der Geige - den kennt man doch? Klar, er war 2009 schon mal ESC-Sieger. Wahrscheinlich wird er neben Netta aus Israel ganz oben mitspielen.
Bild: picture alliance/AP Photo/A. Braastad
Rick: Alexander Rybak (Norwegen)
Wieder bin ich mit Silke einer Meinung: Unmöglich, zuzuhören und nicht mitzuwippen - und dabei zu lächeln. Rybak hat einmal durch die höchste Punktzahl aller Zeiten ESC-Geschichte geschrieben. Er könnte es wieder zum Sieg schaffen. Sein Spiel auf imaginären schwebenden Strichlinie-Instrumenten ist süß, wenn auch kein neuer Effekt. Dann kramt er die echte Geige hervor: Aus und vorbei.
Bild: Andres Putting
Silke: AWS (Ungarn)
Jedes Jahr fahre ich für die DW nach Wacken, um von dem Metalfestival zu berichten. Die ungarische Band AWS würde da auch mal gerne spielen. Mit Recht, denn dort gehört sie hin. Die fünf Jungs werden das Publikum mit einem sehr lauten Rockbrett bewerfen, dass einem Hören und Sehen vergeht. Ich liebe es, wenn beim ESC auch solche Töne zu hören sind. Und deswegen: Pommesgabel und Headbangen!
Bild: Imago
Rick: AWS (Ungarn)
Mir ist Wacken zwar zu laut, aber: Lob für den extrem harten Punk-Rock-Sound und für den Mut, ein Lied in der Landessprache zu liefern. Im Video sieht man ausgelassenes Musizieren, spielende Kinder, lächelnde Gesichter. Erst später merkt man: Auch hier geht es um das Sterben. Die schnörkellose Botschaft: Alles ist endlich, wir sollen deshalb ein glückliches Leben führen.
Bild: Imago
Silke: Netta (Israel)
Was ist denn bitte das? Ein Vollweib, das gackert und singt und röhrt. Sie erinnert mich stark an Beth Ditto. Ihr Lied "Toy" über die selbstbestimmte Frau braucht zur Unterstützung keine Windmaschine oder brennende Kleider. Diese Frau ist einfach eine Granate. Daran ändert auch die etwas flache Textstelle "I'm not your toy you stupid boy" nichts. Kein Wunder, dass Netta Top-Favoritin ist.
Bild: Andres Putting
Rick: Netta (Israel)
Ja, was denn sonst? Frech und Konventionen trotzend strömen die Künstlerin und ihr Song unbändige Freude über das Anderssein aus. Das Lied fällt wirklich aus dem Rahmen, verblüfft anfangs durch schräge Tonart- und Rhythmuswechsel, entwickelt sich dann zur mitreißenden Tanznummer. Ich finde, die Botschaft "Ich bin nicht dein Spielzeug!" passt auch zur aktuellen Debatte über Frauenrechte.