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Politik

Esch: "Kosovo braucht eine handlungsfähige Regierung"

12. Februar 2021

Kosovo braucht eine handlungsfähige Regierung um endlich wichtige Reformen umzusetzen - nicht für die EU, sondern für die Menschen im Land, sagt Valeska Esch von Aspen-Institut.

Parlament in Pristina
Parlament in PristinaBild: Reuters/H. Reka

Deitsche Welle: Kosovo steht erneut vor Parlamentswahlen. Und sie sind dieses Mal sehr speziell. Was erwarten Sie?

Valeska Esch: Ich hoffe sehr, dass die diesjährigen Parlamentswahlen eine stabile Regierung mit einer soliden parlamentarischen Mehrheit hervorbringen. Es wäre wichtig für das Land und seine junge Demokratie, wenn diese Wahlen eine langlebigere Regierung hervorbrächten, die die vielen drängenden Herausforderungen des Landes angehen kann. Kosovo braucht dringend eine handlungsfähige Regierung. Das Gesetz zur wirtschaftlichen Erholung von den Konsequenzen der Covid-19 Pandemie zum Beispiel hat drei Monate gebraucht, bis es endlich im Parlament angenommen worden ist, und das obwohl es hier wirklich um zeitnahe Nothilfen gehen sollte. Ich erwarte, dass alle politischen Parteien das Mandat der Wählerinnen und Wähler ernst nehmen und die Zukunft des Landes über ihre eigenen politischen Interessen stellen. Dazu gehört für mich, die tiefen politischen Gräben zu überwinden und die Bereitschaft, auf der Basis gemeinsamer Vorstellungen zur Zukunft des Landes eine Regierungskoalition zu bilden und dies nicht allein von Posten abhängig zu machen. Auch wenn es eine zentrale Frage des Wahlkampfs geworden ist: Es geht um mehr als um die Frage, wer der künftige Präsident oder die künftige Präsidentin des Landes ist, zumal dieses Amt per Verfassung ohnehin überparteilich ist. Es geht darum, die Pandemie und ihre Konsequenzen zu bekämpfen, was für alle Länder der Welt eine große Herausforderung ist. Es geht darum, endlich wichtige Reformen umzusetzen - nicht für die EU, sondern für die Menschen im Land. Und es geht darum, endlich Fortschritte im Dialog mit Serbien zu machen.

Valeska Esch - Deutschland Aspen Institut Bild: privat

Drei Tage später feiert Kosovo seinen 13.Geburtstag. Das Land im Teenageralter hat ein sehr turbulentes Jahr hinter sich. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Ich glaube, das Land hat letztes Jahr viel Zeit verloren. Der Ausbruch der Covid-19 Pandemie hat weltweit vieles auf den Kopf gestellt und politische und finanzielle Ressourcen gebunden. Gerade deshalb wäre es wichtig gewesen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Stattdessen wurde bereits im März nach weniger als zwei Monaten eine Neubildung der Regierung durch ein Misstrauensvotum erzwungen, noch dazu mit einer so knappen Mehrheit im Parlament, dass es kaum Handlungsspielräume gab. Entsprechend hat das Land auch kaum Reformfortschritte erzielt und auch im Dialog mit Serbien hat es keine substantiellen Fortschritte gegeben. Umso wichtiger ist es in meinen Augen, dass eine künftige Regierung ausreichenden Rückhalt hat, diese schwierigen Themen anzugehen und dass auch die künftige Opposition sich ihrer Verantwortung bewusst ist und ihre Rolle konstruktiv wahrnimmt.

Eine große Herausforderung für die neue Regierung die Lösung des Konflikts mit Serbien. Deutschland und Frankreich spielten hier bislang die treibende Rolle innerhalb der EU. Letzte Woche gab es jedoch in Paris ein Treffen zwischen Vucic und Macron. Im Kosovo fragt man sich schon, ob sich Deutschland zurückgezogen hat. Wird sich Deutschland im Wahljahr 2021 weniger mit dem Thema Kosovo befassen?  

Ich glaube nicht, dass ein bilaterales Treffen zwischen Präsident Macron und Präsident Vucic eine Aussage über die künftige Rolle Deutschlands im Dialog ist. Frankreich und Serbien haben traditionell gute Beziehungen und ein bilateraler Austausch ist nichts Ungewöhnliches. Ich sehe auch keine Anzeichen dafür, dass Deutschland sich zurückgezogen hat. Die Bundesregierung hat wiederholt deutlich gemacht, dass der Hauptverantwortliche für den Dialog zwischen Belgrad und Pristina der Sonderbeauftragte der EU Miroslav Lajcak ist und als solcher genießt er die volle Unterstützung Deutschlands. Er selbst hat gerade dieser Tage vor den EU-Mitgliedsstaaten Bericht über seine Aktivitäten erstattet und ich gehe davon aus, dass sein Mandat verlängert wird und er auch weiterhin mit der aktiven Unterstützung aus Berlin rechnen kann, unabhängig von den Bundestagswahlen im Herbst dieses Jahres.

Die Kosovaren erwarten von der Biden-Administration einen neuen Impuls in der Lösung des Dialogs mit Serbien. Was wird die größte Herausforderung hierbei sein?

In meinen Augen ist die größte Herausforderung zunächst, sich innerhalb des Kosovo auf eine gemeinsame Verhandlungsposition zu einigen. Es ist klar, dass das Ziel des Dialogs für die kosovarische Regierung die Anerkennung der Unabhängigkeit des Landes durch Serbien ist. Das wäre auch wichtig, um die Nicht-Anerkenner in den Reihen der EU zu überzeugen. Bei diesem Ziel wird Kosovo von den USA, aber auch vielen EU-Mitgliedsstaaten unterstützt. Lediglich die EU als Organisation muss sich statusneutral verhalten, das heißt aber nicht, dass ihre Mitglieder das sind. Kosovo wird aber auch Kompromisse eingehen müssen, beispielsweise in der Form der A/CSM. Hier gilt es in meinen Augen, Wege zu finden, das bereits getroffene Abkommen so umzusetzen, dass es weder gegen die Verfassung und das Urteil des Verfassungsgerichts verstößt, noch zentrale Entscheidungsprozesse für das Land zukünftig verkompliziert. Positiv ist in meinen Augen, dass die Biden-Administration klar den EU-geführten Dialog unterstützt und ich rechne damit, dass es hier künftig wieder eine engere Zusammenarbeit zwischen den USA und der EU geben wird.

Der frühere US Präsident Donald Trump hat erreicht, dass  zwischen Kosovo und Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen wurden. Allerdings zu einem hohen Preis. Wird die Einrichtung der Kosovarischen Botschaft in Jerusalem eine negative Auswirkung auf die Verhandlungs-Position Kosovos gegenüber der EU haben?

Grundsätzlich erwartet die EU im Zusammenhang mit dem Beitrittsprozess auch die Annäherung an außenpolitische Positionen der EU. Diese Erwartungshaltung hat die EU in dieser Frage auch deutlich gemacht. Über konkrete Auswirkungen kann ich nur spekulieren.

Laut einigen Presseberichten suchen schon einige Analysten nach neuen Alternativen zu den EU-Vollmitgliedschaften der Balkanländer? Wie bewerten Sie diese Alternativen?

Es gibt keine gleichwertige Alternative zu einer Vollmitgliedschaft in der EU und zumindest in Deutschland wird die Perspektive einer Vollmitgliedschaft auch nicht in Frage gestellt. Auch der neu gewählte CDU-Vorsitzende Armin Laschet hat seine Unterstützung für diese Perspektive bereits deutlich gemacht. Dennoch muss man natürlich zugeben, dass nicht alle EU-Mitglieder die Beitrittsperspektive so aktiv unterstützen wie Deutschland und dass wiederholte Verzögerungen für Nordmazedonien der Glaubwürdigkeit der Perspektive massiv geschadet haben. Die Entscheidungsstrukturen der EU erfordern aber Einstimmigkeit in Fragen der Erweiterung und entsprechend kann leider jedes Mitgliedsland im Alleingang Fortschritte stoppen. Hier liegt eine grundsätzliche Herausforderung der EU, nicht nur in Fragen der Erweiterung: Die EU ist kein Staat, sondern besteht aus 27 Mitgliedsstaaten, die alle ihre Interessen haben. Das macht eine Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene oftmals schwierig. Gleichzeitig muss man jedoch auch festhalten, dass, mit Ausnahme von Nordmazedonien und zum Teil Albaniens, die Reformfortschritte in der Region nicht immer überzeugend waren in den letzten Jahren. Die Überzeugung innerhalb vieler EU-Mitgliedsstaaten ist und bleibt, dass die Reformen in erster Linie im Interesse der Länder selbst sind und entsprechend ist die Erwartung, dass es hier auch ohne kontinuierlichen Druck von außen vorangeht. Vielleicht sollte man aber über eine noch graduellere Integration der Länder in europäische Strukturen nachdenken, aber nicht als Alternative zur Vollmitgliedschaft.

Das Gespräch führte Anila Shuka

Valeska Esch ist Deputy Executive Director und Program Director Europe, Aspen Institute Deutschland, einer Denkfabrik mit Sitz Berlin.

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