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"Sewol-Tragödie noch lange nicht verarbeitet"

Esther Felden11. November 2014

Das Urteil gegen den Kapitän der Unglücksfähre Sewol war juristisch gerechtfertigt. Aber vielen Menschen in Südkorea wird es nicht weit genug gehen, meint Norbert Eschborn von der Adenauer-Stiftung in Seoul.

Norbert Eschborn, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Seoul (Foto: privat)
Bild: privat

Deutsche Welle: Herr Eschborn, für 36 Jahre muss der Kapitän der Fähre Sewol ins Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft hatte eigentlich die Todesstrafe gefordert, dem sind die Richter nicht gefolgt. Hat Sie die Entscheidung überrascht?

Norbert Eschborn: Nein, sie hat mich nicht überrascht. Die Forderung der Staatsanwaltschaft nach der Todesstrafe war wohl eher als Zugeständnis an die Öffentlichkeit zu interpretieren. In unseren Recherchen über die Rechtsgrundlage einer solchen Forderung haben wir im Gespräch mit führenden koreanischen Juristen keine endgültige Antwort auf die Frage gefunden, warum die Staatsanwaltschaft die Todesstrafe fordern konnte. Es gibt verschiedene Ansichten unter führenden Juristen. Wir sind überwiegend zu der Ansicht gekommen, dass das eine politische Forderung war. Angesichts der großen emotionalen Aufwallung, die dieses Unglück im April in der Gesellschaft ausgelöst hat, war eine solche Geste meiner Auffassung nach als Signal gedacht. Die Regierung, die im Gefolge dieses Untergangs scharf in der Kritik stand, würde jetzt die Schuldigen angemessen bestrafen.

Vor dem Hintergrund, dass der Prozess von sehr vielen Emotionen begleitet war: Wie wird das Urteil in Südkorea aufgefasst werden? Wird es den Menschen als "gerechte Strafe" ausreichen?


Da sind zwei Faktoren, die Sie ansprechen. Ist es gerecht? Und wird es als ausreichend empfunden? Ich möchte es vorsichtig formulieren und sage: Im Rahmen dessen, was der koreanische Rechtsrahmen zulässt, ist das ein gerechtes Urteil. Für viele Koreaner wird es aber keine ausreichende Strafe sein, denn die öffentliche Empörung über das Total-Versagen des Managements und der Besatzung der Sewol ist zwar jetzt nicht mehr so groß wie im April, aber natürlich ist die ganze Tragödie noch sehr präsent im Denken der Menschen. Es wird auch jetzt noch öffentlich getrauert in Südkorea. In der Hauptstadt Seoul haben wir an prominenten Stellen im Stadtbild noch immer Traueraltäre. Von daher wird das Urteil wahrscheinlich nicht als ausreichend empfunden.

Den Schmerz oder den Verlust so vieler junger Menschen kann keine Strafe lindern, das ist klar. Ich glaube, das Justizsystem war hier auch in einer kritischen Situation, denn ich kann mir vorstellen, dass die öffentliche Meinung - wenn ein Todesurteil möglich gewesen wäre - dieses auch durchaus begrüßt hätte. So ist die Stimmung. Es gab in meiner Erinnerung in den vergangenen Monaten kein Wort des Verständnisses für die Schiffsführung, und sie hätte es auch objektiv nicht verdient, angesichts der absolut unverständlichen Vorgänge, die sich damals zugetragen haben.

Die Tragödie hat Südkorea traumatisiert. Oft war die Rede davon, das Land sei auf einer Art "Seelensuche". Wie viel ist davon geblieben, wie spürbar ist das noch im Alltag?

Im Alltag mit sieben Monaten Abstand ist zumindest an der Oberfläche nicht mehr viel zu spüren. Das entspricht auch dem, was langjährige Koreakenner vorausgesagt haben. Letztendlich geht es um die strukturellen Schwächen des Systems: die Mängel in der Aufsicht der Behörden gegenüber skrupellosen Schiffseignern, die ungenehmigte Veränderungen an dem Schiff vorgenommen haben, die viel zu viele Leute an Bord gelassen und eine Überladung des Schiffes zugelassen haben. So etwas muss in Zukunft verhindert werden. Aber ob das wirklich gelingen wird angesichts einer Gesellschaft, die im Wesentlichen auf Gefallen und Gegengefallen aufgebaut ist, das muss man erst noch sehen.

Die Seelensuche spielt sich vielleicht auch auf einer anderen Ebene ab. Die Öffentlichkeit ist noch kritischer gegenüber der Leistung der Regierung im Allgemeinen geworden. Das wird seitdem stärker hinterfragt. Und natürlich sind Eltern allgemein vorsichtiger geworden, wo sie ihre Kinder noch hinlassen. So wurden in diesem Jahr beispielsweise jede Menge der traditionellen Ausflüge zum Schuljahresende abgesagt, weil die Eltern einfach gesagt haben: Wir haben kein Vertrauen mehr und wollen das Leben unseres Kindes nicht gefährden.

Sie haben die massive Kritik an der politischen Führung angesprochen. Präsidentin Park hat sich mehrfach öffentlich für die Fehler beim Krisenmanagement entschuldigt. Wie beurteilen Sie heute die Situation: Ist die Tragödie aus politischer Sicht ausgestanden?

Ganz so sagen kann man es noch nicht, aber fast ausgestanden ist sie. Es gibt noch die parlamentarischen Verfahren mit den in den vergangenen Tagen verabschiedeten Gesetzen rund um die anstehende Aufklärung des Unglücks. Da haben sich die beiden großen Parteien im Parlament (die konservative Saenuri-Partei von Präsidentin Park und die oppositionelle New Politics Alliance for Democracy, Anm. der. Red.) nach monatelangem Streit zusammengerauft und die dazu nötigen Gesetze verabschiedet, die auch eine Spezialuntersuchung durch Sondergremien zulassen. Aber durch die eklatante Schwäche der parlamentarischen Opposition, die in diesem Jahr sowohl bei den Kommunalwahlen als auch bei den Nachwahlen zur Nationalversammlung nicht überzeugen konnte und ein Führungsproblem hat, hat die Regierung keine echte politische Gegenkraft, die ihr das Leben wirklich hätte schwermachen können.

Natürlich hat die Präsidentin harte Monate mit einem dramatischen Absturz ihrer Popularitätswerte hinter sich. Auch das muss man im koreanischen Kontext sehen: 40 bis 50 Prozent wären für manchen anderen politischen Führer viel, aber im südkoreanischen Kontext und speziell bei Park Geun-Hye ist das keine hohe Zustimmungsrate, denn ihre lag lange Zeit bei über 60 Prozent. Sie hat sicherlich Blessuren davongetragen, denn im ganzen Jahr ist innenpolitisch kaum etwas gelaufen: Das Parlament hat sich aufgrund der Sewol-Tragödie monatelang blockiert. Man konnte sich nicht einigen, wie man mit den entsprechenden Gesetzesvorhaben, die zur Aufklärung beitragen sollen, umgeht. Insofern ist das innenpolitisch ein verlorenes Jahr gewesen. Und das lässt sich auch nicht überdecken mit Fortschritten in anderen Politikbereichen. Hundertprozentig verarbeitet ist die Tragödie noch lange nicht.

Park Geun-Hye hatte auch versprochen, etwas an den bekannten und traditionell engen Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft zu ändern. Inwieweit ist davon bisher etwas zu spüren?

Es ist noch zu früh, das zu beantworten. Es soll jetzt als eine Folge der politischen Auseinandersetzung um die Aufklärung der Tragödie ein Ministerium entstehen, das alle Zuständigkeiten für solche Katastrophen auf sich vereint und eine zentrale Koordinationsfunktion wahrnehmen soll. Man wird dann sehen, ob so eine Behörde auch in der Lage ist, Impulse zu geben, damit die zuständigen Aufsichtsbehörden ihrer Rolle auch wirklich nachkommen, unbestechlich und fachlich kompetent. Daran hat es ja in den letzten Jahren gemangelt. Das wird sich erst am konkreten Beispiel zeigen. Mit der Verordnung und der Weisung von oben allein ist es nicht getan.

Norbert Eschborn leitet das Korea-Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Seoul.

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