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Politik

Eskalation im Irak: Raketen und Propaganda

Kersten Knipp | Shaalan Mulhalm
30. Dezember 2019

Nach mehrfachem Beschuss ihrer Basen haben die US-Truppen im Irak Stellungen der Kataib-Hisbollah-Miliz beschossen, die sie für die Angriffe verantwortlich machen. Genau das ist aber das Kalkül des Iran.

Irak Schiitische Miliz droht USA nach Luftangriffen
Stellungen der Kataib Hisbollah-Miliz nach den US-AngriffenBild: picture-alliance/AP Photo

Nach dem tödlichen Vergeltungsangriff der USA auf Stellungen der Kataib-Hisbollah-Miliz im Irak hat die Regierung in Bagdad am Montagabend angekündigt, die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu "überprüfen". Auch das Büro des irakischen Großajatollah Ali al-Sistani verurteilte den Angriff und rief die Behörden auf zu verhindern, dass der Irak "als Ort für gegenseitige Abrechnungen genutzt" werde. Gemeint war damit die wachsende Spannung zwischen Washington und Teheran. Wie die libanesische Hisbollah wird auch die irakische Kataib-Hisbollah vom iranischen Mullah-Regime gestützt.

Die schiitische Miliz entstand 2003 - im Jahr des Krieges der USA gegen den Irak. Gesponsert vom Iran, kämpfte die Kataib-Hisbollah zunächst gegen die US-Truppen, bis sie sich im Verlauf des irakischen Bürgerkriegs mehr und mehr gegen dschihadistische Gruppen wie Al-Kaida und später den "Islamischen Staat" (IS) richtete.

Entsprechend ordnete die iranische Regierung den Vergeltungsschlag ein: Mit den Luftangriffen habe Amerika seine "feste Unterstützung für Terrorismus und seine Missachtung der Souveränität von Staaten gezeigt", erklärte ein Regierungssprecher der Regierung in Teheran am Montag. Die Regierung in Washington müsse mit "Konsequenzen für ihre illegalen Taten" rechnen. Auch die Kataib-Hisbollah selbst äußerte Drohungen in Richtung Amerika: Die US-Streitkräfte im Irak müssten mit massiven Attacken rechnen, erklärte Dschamal Dschaafar Ibrahimi, einer der Kommandanten der Gruppe.

USA unter Zugzwang

Mit den Angriffen vom Sonntag reagierten die USA auf mehrere Angriffe seit Anfang Dezember dieses Jahres. Am 5. des Monats war die Basis Ain-al-Assad, der Hauptstützpunkt der US-Kräfte im Irak, von fünf Raketen getroffen worden. Einen Tag später waren zwei Geschosse auf die Luftbasis "Balad" nördlich von Bagdad niedergegangen. Am 12. Dezember dann schlugen zwei Raketen bei einer Unterkunft für US-Soldaten nahe des internationalen Flughafens von Bagdad ein.

Alle diese Angriffe hatten zwar leichtere Sachschäden angerichtet, Personen kamen jedoch nicht zu Schaden. Bei dem Anschlag am vergangenen Freitag hingegen wurde ein US-Zivilist getötet, vier US-Soldaten sowie zwei irakische Sicherheitskräfte wurden verletzt.

Militärische Drehscheibe: die Ain al-Assad-Airbase in der Provinz AnbarBild: Reuters/T. Al-Sudani

Nach diesem Angriff hätten die USA auf die Angriffe reagieren müssen, sagt Ghassan Al-Attiyah, Direktor des Irakischen Instituts für Entwicklung und Demokratie, im Gespräch mit der DW. "Die Lage für die Amerikaner wurde schwierig, da sie auf die vorhergehenden Angriffe nicht reagiert hatten. Hätten sie auch dieses Mal keine Antworten folgen lassen, hätten sie den Eindruck erweckt, sie seien leicht verwundbar."

Präsident Donald Trump hat wiederholt erklärt, die Vereinigten Staaten wollten sich nicht in einen Krieg hineinziehen lassen. Den Eindruck, sie scheuten eine Auseinandersetzung, hätten die USA bereits im Herbst erweckt, als sie sehr zurückhaltend auf einen iranischen Angriff auf das Terrain von Saudi-Arabien, Amerikas engstem Verbündeten auf der Arabischen Halbinsel, reagierten. Um ihre militärische Glaubwürdigkeit zu behalten, hätten die USA jetzt anders reagieren müssen.

Durch ihr Engagement gegen die Dschihadisten haben schiitische Milizen wie die Kataib-Hisbollah im Irak nicht nur militärischen, sondern auch politischen Einfluss gewonnen. Viele ihrer Vertreter haben bei den Wahlen zum Repräsentantenrat im Jahr 2018 erfolgreich kandidiert und sitzen nun im irakischen Parlament.

Wendepunkt? Nach dem US-Angriff verbrennen irakische Demonstranten eine US-Flagge in der Stadt Basra, 30.12.Bild: AFP/H. Faleh

Machtfaktor Konfessionalismus

Diese Machtbasis sieht die iranische Regierung - die sich derzeit auch durch Proteste im eigenen Land massiv herausgefordert fühlt - durch die jüngsten Aufstände im Irak in Frage gestellt. Für deren Wucht macht sie in erheblichen Teilen die Vereinigten Staaten mitverantwortlich. Washington gilt dem Mullah-Regime als treibende Kraft hinter den Protesten der irakischen Schiiten gegen die expansive Politik des Iran, zitiert das Online-Magazin Al-Monitor den irakischen Journalisten Mazen Sahib al-Shammari von der Zeitung "Bagdad News".

Das Mullah-Regime in Teheran versucht in mehreren Ländern ihren Einfluss auszubauen. Sein wichtigster ideologischer Hebel ist dabei der Konfessionalismus. Im Libanon, in Syrien, im Jemen und auch im Irak setzt sie auf schiitische Kräfte, die die Mehrheit der gemäßigten Schiiten in diesen Ländern an den Iran binden sollen. Dabei versucht sie auch das politische und soziale Chaos zu nutzen, das der Machtkampf nach den missglückten Aufständen des Jahres 2011 in mehreren arabischen Ländern hinterlassen haben. "Der Erfolg der Strategie des Iran gründet in weiten Teilen in dessen Fähigkeit, das Machtvakuum im Nahen Osten für seine Zwecke zu nutzen", zitiert die "Washington Post" den Politologen Alex Vatanka vom Middle East Institute in Washington.

Durch die seit Oktober anhaltenden Demonstrationen sieht die iranische Regierung ihre Politik im Irak akut bedroht. Denn die Demonstranten setzen sich auch für eine Gesellschaftsordnung jenseits konfessioneller Linien ein.

Meister der Taktik: der iranische Staatschef Ajatollah Ali ChameneiBild: picture-alliance/dpa/AP/Office of the Iranian Supreme Leader

Das Kalkül Teherans

Noch wäre es zu früh, von einem Stellvertreterkrieg im Irak zu sprechen. Zustände wie in Libyen, Syrien und im Jemen herrschen dort noch nicht. Allerdings deutet die Zahl der bislang rund 500 getöteten und rund 19.000 verwundeten Demonstranten auf die zunehmende Brutalisierung der Auseinandersetzungen hin. Auch wurden zahlreiche Demonstranten entführt, meist aber nach einigen Tagen wieder freigelassen - mit der von den anonymen Entführern ausgesprochenen Warnung im Kopf, künftig nicht mehr an den Demonstrationen teilzunehmen.

Dennoch könnten die USA mit dem Beschuss der Kataib-Hisbollah-Stellungen genau dem Kalkül des Iran entsprechen. Derzeit sehe es so aus, als schadeten die Angriffe vor allem der Protestbewegung, sagt Ghassan Al-Attiyah, Direktor vom Irakischen Institut für Entwicklung und Demokratie im DW-Gespräch. "Den Teheran verbundenen Kräften könnte es gelingen, jetzt den Eindruck zu erwecken, das Wichtigste sei der Kampf gegen die US-Präsenz im Land."

Mit Slogans wie "Kampf Amerika" und "Kampf dem Zionismus" könnten sie die Stimmung im Land erheblich beeinflussen, sagt Al-Attiyah: "Die Teilnehmer der Protest-Bewegung müssten sich dann sagen lassen, es gehe jetzt um einen größeren Kampf - und darum sollten sie ihre Kundgebungen einstellen."

Raketen dürften im Irak weiter in den Himmel steigen. Doch mehr als auf die jeweils feindlichen Stellungen zielen sie auf die Stimmung in der Bevölkerung.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika