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KonflikteIsrael

Eskalation im Libanon: Was will Israel erreichen?

26. September 2024

Israel sagt, seine Angriffe auf die libanesische Hisbollah seien notwendig. Nur so ließe sich die Sicherheit der Grenzregion wiederherstellen und die Rückkehr evakuierter Israelis ermöglichen. Steckt noch mehr dahinter?

Libanon / Junger Mann mit seiner Katze auf der Flucht in eine Notunterkunft
Ein junger Libanese sucht mit seiner Katze Schutz in einer NotunterkunftBild: FADEL ITANI /AFP

Benjamin Netanjahu sagte am Montag, die aktuelle Eskalation im Libanon sei unerlässlich, "um unser Volk gegen die Hisbollah zu verteidigen". Israel müsse deren Waffen "ausschalten, um den Weg für die sichere Rückkehr der Menschen im Norden Israels in ihre Häuser zu ebnen", so Israels Premier.

Vor fast einem Jahr mussten zehntausende Israelis ihre Häuser verlassen, als die vom Iran unterstützte Hisbollah-Miliz im Libanon begann, das Grenzgebiet im Norden Israels zu beschießen. Die Hisbollah argumentiert, dass ihre Raketen die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen unterstützen, deren Kämpfer am 7. Oktober 2023 mehr als 1200 Israelis getötet und 251 Geiseln genommen hatten. Die schiitische Hisbollah wurde von mehreren Ländern, darunter den USA und Deutschland, zur Terrororganisation erklärt, während die EU bislang lediglich ihren bewaffneten Flügel als terroristische Vereinigung einstuft.

Nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen sind durch den Krieg Israels gegen die Hamas bisher rund 41.000 Menschen getötet worden. 

Israelische Luftabwehr im Einsatz: Experten zufolge könnte das mithilfe des Iran aufgebaute Raketenarsenal der Hisbollah noch für mehrere Monate reichen Bild: Baz Ratner/AP/picture alliance

EU-Außenbeauftragter: Ein "fast vollwertiger Krieg"

Unterdessen steigt auch die Zahl der Toten im Libanon. Die aktuellen israelischen Angriffe sowie die jüngsten Explosionen von Kommunikationsgeräten und die Tötung von Hisbollah-Führern haben im gesamten Libanon rund 500 Menschen getötet und Tausende weitere verletzt. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bezeichnete die Situation als "beinahe vollwertigen Krieg".

Nach Ansicht von Sanam Vakil, Direktorin des Nahost- und Nordafrika-Programms der britischen Denkfabrik Chatham House, dienen die derzeitige Militäroperation und die gefährliche Eskalation hauptsächlich als "Rechtfertigung für Israels Bestreben, seine vertriebenen Bürger in den Norden zurückzubringen". Ihrer Ansicht nach verfolgt Israel mit seinen derzeitigen Angriffen auf den Libanon aber noch weitere Ziele.

"Erstens versucht Israel, den Gaza-Krieg und die Auseinandersetzung mit der Hisbollah voneinander zu trennen", sagt sie der DW. "Israel konnte keinen Waffenstillstand im Gazastreifen erreichen und war deshalb auch nicht in der Lage, ein Friedensabkommen mit der Hisbollah zu schließen", so Vakil. Die Hisbollah hatte erklärt, erst dann mit ihrem Beschuss Israels aufzuhören, wenn Israel seinerseits die Waffen in Gaza schweigen lasse.

Rund 110.000 Libanesen sollen aufgrund der jüngsten Eskalation bereits geflohen seinBild: FADEL ITANI/AFP

Die sogenannte Achse des Widerstands konzentriere sich seit dem 7. Oktober darauf, ihre Kräfte zu vereinen und Israel gleichzeitig unter Druck zu setzen, erklärt Vakil. Die selbsternannte Achse des Widerstands besteht aus Ländern wie dem Iran und mehreren Milizen wie der Hisbollah, der Hamas und den jemenitischen Huthis, die Israel und die USA als ihre Feinde betrachten.

Nachwirkungen des Zweiten Libanonkriegs 2006

"Zweitens ist Israel natürlich einer ständigen Bedrohung durch die Hisbollah im Libanon ausgesetzt", sagt Vakil. Im Jahr 2006 endete ein einmonatiger Krieg zwischen der Hisbollah und Israel, der nach dem Ersten Libanonkrieg zwischen 1982 und 1985 als Zweiter Libanonkrieg bezeichnet wird. Am Ende stand die UN-Resolution 1701.

Bedingungen waren ein sofortiger Waffenstillstand, die Entsendung von libanesischen Truppen und UN-Friedenstruppen in den Südlibanon, der Rückzug der israelischen Verteidigungskräfte und der Hisbollah aus demselben Gebiet sowie die Entwaffnung der Hisbollah.

Die Hisbollah zog sich jedoch weder hinter den rund 40 Kilometer nördlich der Grenze gelegenen Litani-Fluss zurück, noch gab die schiitische Miliz ihre Waffen ab. Stattdessen hat die Hisbollah ihre militärische Ausrüstung und die Zahl ihrer ausgebildeten Kämpfer in den vergangenen Jahren mit Unterstützung des Irans vervielfacht. Dies nährt auch die Befürchtung, dass Hisbollah-Kämpfer in Zukunft israelische Bürger in ihr Gebiet entführen könnten. "Israel versucht, die Hisbollah zu zwingen, die Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates zu akzeptieren", sagt Vakil.

Libanon-Krieg lenkt vom Gaza-Krieg ab

"Drittens steht durch diese Operation im Libanon der Gazastreifen nicht mehr im Mittelpunkt", sagte Vakil. Fast ein Jahr nach Beginn des Gaza-Krieges habe sich der internationale Fokus verschoben, obwohl die Kämpfe im Gazastreifen weitergingen und noch immer mehr als 90 Geiseln in der Gewalt der Hamas seien.

Israels Bevölkerung verliert knapp ein Jahr nach dem Terrorangriff der Hamas immer mehr die Geduld mit ihrer Regierung Bild: Mahmoud Illean/AP Photo/picture alliance

"Israel hat keine Strategie, um sich aus dem Gazastreifen zurückzuziehen. Es hat nicht deutlich gemacht, was es für den Tag danach plant, und es spricht ganz sicher nicht von einem israelisch-palästinensischen Prozess", so Vakil. Ihrer Ansicht nach ist der Krieg im Libanon "eine Ablenkung von der fehlenden Strategie in Gaza".

Plant Israel eine Bodenoffensive im Libanon?

Unterdessen wird die israelische Bevölkerung immer ungeduldiger. Der Druck auf Netanjahu wächst, eine Waffenstillstandsvereinbarung mit der Hamas in Gaza zu treffen und die Rückkehr der Geiseln sicherzustellen.

"Aus israelischer Sicht ist der innenpolitische Druck sehr hoch und wird von Woche zu Woche stärker", erklärt Lorenzo Trombetta, ein in Beirut ansässiger Nahost-Analyst und Berater von UN-Organisationen, im Gespräch mit der DW. Er geht davon aus, dass die israelische Regierung dringend mehr Unterstützung in der Bevölkerung gewinnen muss. Eine Möglichkeit dafür wäre, im Norden des Landes für Sicherheit zu sorgen, so Trombetta. "Nur ist es schwer zu sagen, ob Israel dazu in der Lage sein wird." Niemand könne derzeit sagen, ob oder wann eine israelische Bodenoperation beginnen wird. Und wie der Iran reagieren werde, falls die Hisbollah eine totale Niederlage gegen Israel erleben würde.

Aus dem Englischen adaptiert von Thomas Latschan

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
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