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Eskalation zu befürchten

23. März 2004

Die Tötung des Hamas-Gründers Scheich Ahmed Jassin durch israelische Soldaten könnte zur Eskalation der Gewalt in Nahost führen, schreibt Peter Philipp in seinem Kommentar.

Die Regierung Ariel Scharons setzt offenbar fest darauf, dass man ihr im amerikanischen Präsidentschafts-Wahljahr noch mehr durchgehen lässt als sonst. Anders ist nicht zu erklären, dass Israels Regierung offiziell die Liquidierung der "Hamas"-Führung beschlossen hat, gipfelnd in der Ermordung des geistigen und geistlichen Oberhaupts dieser islamistischen Bewegung, Scheich Ahmed Jassin. Jassin sei "Israels Bin Laden" gewesen, erklären Regierungskreise. Sie ziehen mit diesem Vergleich bewusst eine Parallele zum Kampf Washingtons gegen den Terrorismus.

Ob es Israel gelingt, den Eindruck zu erwecken, es befinde sich in derselben Lage wie Washington, bleibt dahingestellt. Präsident George W. Bush gehörte bisher zwar zu den ergebensten Unterstützern und Förderern Scharons. Aber im Wahljahr und vor dem Hintergrund der Entwicklungen im und um den Irak könnte sich an dieser Unterstützung durchaus etwas ändern. Zumindest könnte sie aufhören, ein Freibrief zu sein für Scharon.

Die amerikanische Politik hätte längst aufhören sollen, Scharon zu decken und in Schutz zu nehmen. Nicht, weil Jassin ein ehrenwerter Mann gewesen wäre. Jassin war der Kopf einer radikalen Terror-Bewegung, die von "Widerstand gegen Besatzung" sprach, damit aber nicht die Besatzung seit 1967 meinte, sondern die Existenz Israels selbst. Jassin war vielleicht nicht der Mann, der persönlich Selbstmordbomber in israelische Linienbusse schickte. Er war aber der Mann, der diese Taten zuließ, der sie verherrlichte und der sich entschieden gegen jede Friedensregelung aussprach.

Aber Jassin war doch auch längst zur Symbolfigur selbst für solche Palästinenser geworden, die nicht der Hamas angehörten. Und die Ermordung einer solchen Symbolfigur wird nun nur noch mehr Gewalt auslösen und Opfer fordern. Die Reaktion des ehemaligen israelischen Justizministers Yossi Beilins auf Jassin Ermordung war bezeichnend: Wie viele Israelis werde dies nun wieder das Leben kosten?

Über 400 Israelis sind während der so genannten "Al-Aqsa-Intifada" bereits bei Terroranschlägen umgekommen. Und so schmerzlich das für jeden Staat wäre: Israel hat immer nur Gewalt mit Gewalt beantwortet. Die dann neue Gewalt nach sich zieht. So wird es auch jetzt geschehen. Stattdessen hätte Israel vielleicht gerade mit Versöhnungs- und Kompromissbereitschaft auf die Gewalt antworten müssen. Nur hierin liegt eine - wenn auch geringe - Chance, die Gewaltbereiten auf der Gegenseite zu isolieren.

Israel entschied sich stattdessen immer wieder für die Politik der gezielten Ermordungen, die vielleicht biblischen Ursprung hat, vom heutigen Völkerrecht aber nicht gedeckt wird. Die Isolation und Verurteilung Israels wird dadurch weiter anwachsen und die Chancen für eine Regelung werden weiter dahin schwinden. Selbst der von Scharon angekündigte einseitige Rückzug aus Gaza dürfte nun in Frage gestellt werden. Der Mord an Yassin gehörte mit ins Konzept dieses Rückzuges, denn Israel wollte demonstrieren, dass es Gaza unbesiegt und aus freien Stücken verlässt und nicht etwa von Hamas dazu gezwungen wurde. Wenn die Gewalt in der Folge des Mordes nun wieder zunimmt, wird Israel Gaza aber erst recht nicht verlassen können.

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