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Esoteriker oder Reformer: Wer war Rudolf Steiner?

28. März 2025

Ob Waldorf-Pädagogik oder biologische Landwirtschaft: Rudolf Steiners Ideen begeisterten seine Zeitgenossen. 100 Jahre nach seinem Tod ist sein Einfluss immer noch spürbar - aber auch umstritten.

Foto Rudolf Steiners in Sepia-Farben
Bewundert oder als Spinner abgetan: Rudolf SteinerBild: Fine Art Images/Heritage Images/picture alliance

Fragt man jemanden in Deutschland, was ihm oder ihr zu Rudolf Steiner einfällt, dann wird in der Regel die Waldorfschule genannt, vielleicht auch noch die Naturkosmetikmarke "Weleda" und die Bio-Lebensmittel von "Demeter". Außerhalb Deutschlands hingegen erntet man eher ratlose Blicke.

Doch auch wenn sein Name nicht unbedingt bekannt ist: Steiners Ideen sind weltweit verbreitet, insbesondere im Bereich der Bildung. 1919 eröffnete Rudolf Steiner die erste Waldorfschule. Heute, hundert Jahre nach seinem Tod, gibt es weltweit etwa 3200 Waldorfkindergärten und -schulen. In 75 Ländern, von Mexiko über Tansania bis China, wurde sein Unterrichtsmodell übernommen. 

Was Waldorfschulen anders machen

Die Waldorfschulen wollen Kinder "zur Freiheit erziehen". Lehrer und Erzieher seien "nur die Umgebung des sich selbst erziehenden Kindes", schrieb Steiner - eine damals revolutionäre Idee. Alle gängigen Fächer stehen auf dem Lehrplan, werden aber durch künstlerische Aktivitäten ergänzt. Besonders wichtig: die von Steiner entwickelte "Eurythmie", eine spirituelle Tanzkunst, bei der Schülerinnen und Schüler lernen sollen, Körper und Geist zu koordinieren. Bekannt - und außerhalb der Schulen oft belächelt - wurde das Konzept: "Tanze deinen Namen."

Kinder an einer ägyptischen Waldorf-Grundschule üben Eurythmie, eine von Rudolf Steiner erfundene Form des AusdruckstanzesBild: Markus Kirchgessner/DUMONT Bildarchiv/picture alliance

Apropos Namen: Die Waldorf-Schule verdankt ihn dem Fabrikanten Emil Molt, dem Inhaber der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik. Er wollte den Kindern seiner Arbeiter eine Ausbildung ermöglichen und bat Steiner 1919, die Leitung der Schule zu übernehmen. Sie hieß fortan nach Molts Unternehmen: Waldorf.

Allerdings wissen selbst Eltern, deren Kinder Waldorfschulen besuchen, oftmals nicht viel über ihren Gründer. Wer also war Rudolf Steiner? Ein Pädagoge? Ein Unternehmer? Ein Mann, der seiner Zeit voraus war? Oder doch eher ein esoterischer Spinner?  

Die Waldorf-Schulen (wie hier im bayerischen Kulmbach) verdanken ihren Namen der Waldorf Astoria ZigarettenfabrikBild: Sunny Celeste/Bildagentur-online/picture alliance

Gebildet und vielseitig 

Rudolf Steiner wurde am 25. Februar 1861 in Nieder-Kraliewitz im Kaiserreich Österreich-Ungarn (dem heutigen Donji Kraljevec in Kroatien) geboren. Er war ein kluger Kopf und las mit 16 schon Immanuel Kants hochkomplexes philosophisches Werk "Kritik der reinen Vernunft". An der technischen Hochschule in Wien ließ er sich, dank eines Stipendiums, zum Realschullehrer ausbilden, ein Studium der Philosophie, Literatur und Geschichte musste er aus finanziellen Gründen abbrechen. 

Von 1890 bis 1897 lebte Rudolf Steiner in Weimar, gab dort Goethes Gesamtwerk heraus; die spirituelle Naturauffassung des deutschen Universalgelehrten faszinierte ihn. Er war auch ein früher Bewunderer des deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche, dessen Ideen über freies Denken und die Natur des Menschen ihn anzogen. 

1897 zog Steiner nach Berlin, wo er neben dem "Magazin für Literatur" eigene Schriften zu künstlerischen, philosophischen und politischen Themen veröffentlichte und an der sozialistisch geprägten Arbeiterbildungsschule unterrichtete. 

Rudolf Steiner glaubte an die spirituelle Welt Bild: Dubravka Petric/PIXSELL/picture alliance

Spirituelles Weltbild

Steiner lebte in einer Zeit, die sich im fundamentalen Umbruch befand. Der Mensch habe die Fähigkeit verloren, die unsichtbaren, spirituellen Elemente um ihn herum zur Kenntnis zu nehmen, so seine Überzeugung. Er selbst hatte schon in jungen Jahren behauptet, hellseherische Fähigkeiten zu haben und mit verstorbenen Verwandten in Kontakt zu stehen. Er glaubte daran, dass die geistige Welt ebenso real und greifbar ist wie das Diesseits. 

Steiner schloss sich der Theosophie-Bewegung an, einer esoterischen und okkultistischen Strömung des späten 19. Jahrhunderts. Aus ihr heraus entwickelt er eine eigene Weltanschauung - die Anthroposophie, abgeleitet vom griechischen Wort für Mensch (anthropos) und Weisheit (sophia). 

Die Geburt der Anthroposophie

Im Mittelpunkt der Antroposophie steht die Vorstellung, dass man für den Kontakt mit der spirituellen Welt sein Bewusstsein erweitern müsse. Die Menschheit habe den Zugang zu dieser Welt verloren, könne aber lernen, wieder mit ihr in Kontakt zu treten. Steiner sprach über die segensreiche Wirkung von Mondwasser, vergrub - im Sinne seiner biodynamischen Landwirtschaft - Kuhhörner und propagierte die Heilkraft von Zuckerkügelchen. Viele seiner Erkenntnisse habe er "auf übersinnlichem Weg" erhalten, ließ er wissen.

Noch heute nutzen Anhänger der Anthroposophie Kuhhörner in der Landwirtschaft Bild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

Steiners Anthroposophie erwies sich als äußerst attraktiv in einer Zeit, in der die Religion im Niedergang begriffen war und wissenschaftliche Erklärungen alte Gewissheiten wegfegten. Da sahen seine Zeitgenossen gern über so manche seltsame Theorie des Mannes hinweg. "Ich glaube, er bot den Menschen wieder einen Sinn im Leben an", erklärt der US-amerikanische Autor Gary Lachman, der 2007 eine Biografie über Steiner veröffentlichte.

Ein charismatischer Redner

Wenn Steiner einen Vortrag hielt, standen die Menschen Schlange. Als begnadeter Redner fesselte er sein Publikum. Auch Albert Einstein gehörte häufig zu seinen Zuhörenden. Der Begründer der Relativitätstheorie war allerdings kritisch: "Bedenken Sie doch diesen Unsinn: übersinnliche Erfahrung. Wenn schon nicht Augen und Ohren, aber irgendeinen Sinn muss ich doch gebrauchen, um irgendetwas zu erfahren."

Der Schriftsteller Stefan Zweig hingegen war von Steiner angetan: "Es war aufregend, ihm zuzuhören, denn seine Bildung war stupend und vor allem gegenüber der unseren, die sich allein auf Literatur beschränkte, großartig vielseitig." Aber es schlugen Steiner auch Häme entgegen. Der Publizist Kurt Tucholsky nannte ihn den "Jesus des kleinen Mannes".

Steiner ließ sich von der Kritik nicht beirren. Seine Antroposophie wollte er in allen möglichen Bereichen verankern. Er beschäftigte sich mit organischer Architektur, alternativen Heilpraktiken, ökologischer Landwirtschaft und dem Bildungswesen. Er stieß die Entwicklung von biodynamischen Lebensmitteln an, die unter den Namen "Demeter" noch heute existieren. Auch die Gründung der Kosmetikmarke "Weleda", die 100 Prozent aus natürlichen Produkten hergestellt wird, war sein Verdienst. 

Weleda ist eine bekannte Kosmetik-Marke auf Naturbasis, die 1921 nach Steiners Ideen gegründet wurde Bild: Thierry Gachon/MAXPPP/dpa/picture alliance

War Steiner ein Rassist und Antisemit?

Steiner distanzierte sich vom antisemitischen, nationalistischen und rassistischen Diskurs seiner Zeit. "Durch nichts wird sich die Menschheit mehr in den Niedergang bringen, als wenn sich die Rassen-, Volks- und Blutsideale fortpflanzen", schrieb er. 

Gleichzeitig aber sortierte er die Menschheit nach "Wurzelrassen", denen er unterschiedliche Qualitäten zuschrieb. Er sprach von "degenerierten Indianern" und vom "starken Triebleben der Neger". Seiner Ansicht nach entwickelte sich die Menschheit durch Reinkarnation. Bestimmte Rassen seien auserwählt, andere nicht. Einzig die "arische Wurzelrasse" sei zur Menschheitsführung auserkoren. Das ist nicht erst nach heutiger Lesart rassistisch. 

Steiners Ansichten zu Antisemitismus und Rassismus waren Bild: akg-images/picture alliance

Auch antisemitische Äußerungen finden sich in den Schriften Rudolf Steiners: "Das Judentum als solches hat sich aber längst ausgelebt, hat keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens, und dass es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte, dessen Folgen nicht ausbleiben konnten. Wir meinen hier nicht die Formen der jüdischen Religion allein, wir meinen vorzüglich den Geist des Judentums, die jüdische Denkweise."

Später distanzierte sich Steiner von dieser Äußerung, wurde sogar für den "Verein zur Abwehr des Antisemitismus" tätig. Rückblickend stellt man fest, dass Steiner in seinen Ansichten äußerst ambivalent war. 

Das Goetheanum in Dornach, Schweiz, wurde nach Steiners Entwürfen gebaut und ist der Hauptsitz der Anthroposophischen Gesellschaft Bild: Daniel Schoenen/imageBROKER/picture alliance

Am 30. März 2025 jährt sich Rudolf Steiners Todestag zum 100. Mal. Er starb in Dornach, wo er das Goetheanum bauen ließ, das geistige Zentrum seiner Bewegung. Seine Lehren sind auch im 21. Jahrhundert noch präsent, obwohl die Anthroposophie eher ein Nischendasein führt. Weltweit gibt es 36 nationale anthroposophische Gesellschaften mit rund 42.000 Mitgliedern.

Mitarbeit: Cristina Burack

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