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Musik

Essay: Wir sind nicht der Feind

Farhad Mirza so
29. Mai 2017

"Werte wie Freiheit und Toleranz sind nicht das Geburtsrecht einer einzigen Kultur", sagt DW-Autor Farhad Mirza nach dem islamistischen Attentat auf Konzertbesucher in Manchester.

UK | Love-not-Hate-Demonstrationen in Manchester
Am 24. Mai gingen Muslime in Manchester auf die Straße: Für Liebe und nicht für HassBild: Getty Images/AFP/B. Stansall

Nach dem Attentat in Manchester ist die Debatte um die Vereinbarkeit des Islams mit dem westlichen Wertesystem erneut aufgeflammt. Menschen, deren Kinder bei einem Popkonzert getötet werden von einer Person, die sich auf den Koran beruft, kann diese Frage nicht übel genommen werden: Ist das der Islam?

Ich bin ein Migrant aus Pakistan, der im Westen lebt. Alleine deshalb fürchte ich die spaltende Rhetorik, die auf solche Tragödien folgt und wie man sie von einer Zeugin letzte Woche in Manchester hören konnte. Ich bin bestürzt über den Einfluss von Islamophobie in der Politik und ich bin froh über jeden Liberalen, der mir zur Seite springt und ungerechte Behauptungen über Migranten gerade rückt. Aber ich weiß auch genau, wie religiöser Faschismus aussieht: Er ist das Gesetz, das eine Frau für ihre eigene Vergewaltigung verantwortlich macht; er ist eine Horde von Mördern, die einen Studenten tot schlägt, weil es einen Verdacht von Blasphemie gibt; er ist das Massaker an 132 Schulkindern.

In vielen islamischen Ländern wird der politische Mainstream von religiösem Extremismus beherrscht. Deshalb verstehe ich es auch, wenn mich Leute fragen: Ist es das, was Muslime wollen? Ist es das, was auch uns blühen würde, sollten wir sie in unser Land lassen?

Solidaritätsbekundung der syrischen Gemeinde in ManchesterBild: Getty Images/L. Neal

So nachvollziehbar und ernst gemeint diese Fragen auch sind, es kann auf sie keine einfachen Antworten geben. Ja, viele islamische Gesellschaften stehen fortschittlicher Politik feindlich gegenüber, aber das bedeutet nicht, dass der Islam nicht auch eine Inspirationsquelle für progressive Politik in diesen Gesellschaften ist.

Wen macht der Terrorismus unsichtbar?

Religiöser Glaube wird von persönlichen Erfahrungen geformt. Das macht es unmöglich, die moralischen Werte des Glaubens zu erfassen. Die Eltern der 132 pakistanischen Kinder, die 2014 in Peschawar bei einem Taliban-Angriff getötet wurden, fühlten sich dem muslimischen Glauben zugehörig. Und ich weiß nicht, wie sich diese beiden Tatsachen vereinbaren lassen.

Terrorismus ist ein Spektakel der Gewalt, das Angst macht und unsere Vorstellungskraft gegen uns einzusetzen weiß, schrieb der israelische Autor Yuval Noah Harari in der britischen Tageszeitung "The Guardian". Dieses "Theater des Terrors" verzerrt allerdings politische Perspektiven. Was heute viel wichtiger ist: die Augen offenzuhalten, für das, was der Terrorismus unsichtbar macht: die vielen verschiedenen Facetten des muslimischen Glaubens.

Auch wenn es schon oft gesagt wurde: Dieses Argument zwingt zu einer näheren Betrachtung der Kategorie "Westliche Gesellschaften".

Der Glaube, dass der Islam eine stabile - von Zeit und Raum unabhängige - Einheit bildet, ist genauso falsch, wie die Idee, dass westliche Gesellschaften ihre viel gepriesene Offenheit ganz ohne den Rest der Welt erreicht haben.

Werte wie Freiheit, Toleranz und Rationalismus sind nicht das Geburtsrecht einer einzigen Kultur. Wenn wir wirklich die muslimische Welt in all ihrer Komplexität kennenlernen wollen, müssen wir erst einen Schritt zur Seite treten - hinaus aus unserem eigenen Schatten.

Manchesters vielfältiges muslimisches Leben

Eines der auffälligsten Details in dem Film"Moonlight"von Regisseur Barry Jenkins im Jahr 2016 war, dass darin kein einziger weißer Protagonist auftritt. Er behandelt alle typischen Themen schwarzer Lebensbereiche (Drogen, Kriminalität, Männlichkeitsgehabe). Dabei gelingt es dem Film, in seinem Kontext zu bleiben, unabhängig von den Erwartungen Außenstehender.

"Moonlight"-Regisseur Barry Jenkins mit Darsteller Alex R. HibbertBild: A24/DCM

Wenn es einen Kampf zwischen den Schuljungen gibt, dann geht ein schwarzer Lehrer dazwischen. Genauso ist es mit den Ärzten, Polizisten oder auch der Vaterfigur, die, ohne es zu wissen, Crack an eine der Mütter der Jungen verkauft.

Stellen Sie sich einen ähnlichen Film über die Muslime in Manchester vor. Welche Art von Charakteren würden uns da begegnen? Vielleicht ein britisch-libanesischer 22-Jähriger, der während seiner Reisen in die von Bürgerkriegen zerrissene Heimat von Extremisten indoktriniert wird. Er sieht sich selbst als wichtigen Fußsoldaten in einem heiligen Krieg, und aus unerklärlichen Gründen denkt er, dass er sich während eines Popkonzerts durch eine Bombe in Stücke zerfetzen muss.

Derweil kommt Sam Arshad, Chef eines Taxiunternehmens in Manchester, zur Arbeit. Er hört das Dauerklingeln der Telefone – hysterische Teenager, besorgte Eltern. Er erfährt von einer schweren Explosion während eines Popkonzerts in der Nähe, und ihm wird klar, dass das Publikum recht jung gewesen sein muss und viele der Anwesenden vermutlich kein Geld für ein Taxi dabei haben. Spontan entscheidet er sich, Gratisfahrten anzubieten, damit die Menschen sicher nach Hause kommen können.

Manche seiner Fahrgäste haben schwere Verletzungen, deshalb fährt er sie auf kürzestem Wege in Krankenhaus, wo sie Dr. Mounir Hakimi in Empfang nimmt. Die Wunden sind schrecklich, aber er kennt ähnliche aus seiner Zeit als Freiwilliger im von Rebellen besetzten Teil Syriens. Er erinnert sich daran, wie er dort unter ständiger Gefahr von Luftschlägen operierte.

Stunden später übernimmt der Islamische Staat die Verantwortung für den Anschlag. Hakimi hofft, dass all die Menschen, die er dort wie hier gerettet hat, eines Tages erkennen, was sie gemeinsam haben, was auf dem Spiel steht.

Kampf um das Recht, sich Muslim zu nennen

Als die Nachricht vom Anschlag sich in der Stadt verbreitet hatte, trafen sich Tausende auf dem Albert Square, um ihre Einigkeit und ihren Widerstand zum Ausdruck zu bringen. Viele Ahmadi Muslime waren darunter, sie hielten Banner mit Sprüchen wie "Liebe für alle, Hass für niemanden" in die Höhe.

Ahmadis haben einige Erfahrung mit Ausgrenzung. In Pakistan werden sie geächtet, verteufelt und nach dem Gesetz als Nicht-Muslime bezeichnet. Trotz der Negativität, die mit dem Etikett "Muslim" verbunden ist, erdulden Ahmadis das Schlimmste für das Recht, sich Muslime nennen zu dürfen.

Nach der Vigil haben sie sich zuhause vermutlich für die Beschimpfungen und Erniedrigungen gewappnet, die sie am nächsten Morgen erwarten mussten. Zur selben Zeit haben aufstrebende Terroristen frohlockt. Sie alle gingen zu Bett und beteten zu demselben Gott.

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