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Politik

EU: Abfall kreisen lassen statt wegwerfen

11. März 2020

Weniger Müll, mehr Wiederverwendung: EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius fordert die Wirtschaft auf, mit ihren Produkten nachhaltiger umzugehen. Verbraucher sollen neue Rechte bekommen. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Abstellplatz von Abfallsammelbehältern, Altpapiertonne und Gelbe Tonnen
Getrennt wird der Müll in Teilen der EU bereits, mit dem Recycling hapert es nochBild: picture-alliance/imageBROKER/H. Schmidt

Virginijus Sinkevicius ist erst 29 Jahre alt und damit der jüngste EU-Kommissar aller Zeiten. Er war bereits Wirtschaftsminister in seiner Heimat Litauen und führt jetzt das total im Trend liegende Ressort Umwelt und Ozeane in der EU-Kommission. Deren Präsidentin Ursula von der Leyen will den "Green Deal", die grüne Politik, den Klimaschutz und die Nachhaltigkeit zu den Kernmarken ihrer Kommission machen. Der jugendliche und dynamische Sinkevicius ist dafür nach ihrer Meinung das richtige Aushängeschild.

Neuer Schwung für die Kreislaufwirtschaft: EU-Kommissar Virginijus Sinkevicius hat einen PlanBild: picture-alliance/dpa/F. Seco

Der Kreislauf soll die Wende bringen

Am Mittwoch legte der Umweltkommissar seine erste große politische Initiative vor, einen Aktionsplan zur Förderung der Kreislaufwirtschaft in der Europäischen Union. "Die Kreislaufwirtschaft führt zu einer nachhaltigen Nutzung der Ressourcen. Sie vereint nachhaltige Produktion, nachhaltigen Verbrauch und natürlich eine bessere Bewirtschaftung der Abfälle", erläuterte  Virginijus Sinkevicius seinen Plan. Es gebe schon erste Ansätze bei einigen Unternehmen, meint der Kommissar. "Jetzt muss das zum Mainstream werden."

In den vergangenen 50 Jahren hat die Menschheit ihren Verbrauch an Rohstoffen verdreifacht. Das könne nicht so weitergehen, stellt die EU-Kommission fest. "Das lineare Wirtschaftsmodell - nehmen, machen, benutzen, wegwerfen - stößt an seine Grenzen. Mit der wachsenden Weltbevölkerung und einem wachsendem Bedarf an Ressourcen bringt uns dieses Modell immer näher an eine Krise heran. Der einzige Weg ist den Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Verbrauch von Rohstoffen", sagte Sinkevicius in Brüssel.

Recht auf Reparatur - statt wegwerfen

Auf den 25 Seiten seines Aktionsplans hat der Kommissar eine lange Liste von möglichen neuen Gesetzen und Regulierungen aufgeschrieben, die dazu führen sollen, dass "Produkte, die in der EU angeboten werden, länger halten und einfacher wiederverwertet werden können". Dazu sollen zum Beispiel die Besitzer von Smartphones, Tabletcomputern, Fernsehern und anderen elektronischen Geräten das Recht auf Reparatur erhalten. Telefone sollen austauschbare Bauteile bekommen, so dass ein Gerät nicht weggeworfen werden muss, weil der Akku oder eine Drucktaste defekt sind.

Apple, Samsung, Huawei und Co. sollen modulare Telefone anbieten, die man reparieren kannBild: Detlef Vangerow

Langfristig soll es nur noch Batterien geben, die aufladbar sind. Ausgediente Batterien, auch die von Autos oder Fahrrädern, sollen einfacher zu recyceln sei.

Sinkevicius will auch gegen Fast Fashion vorgehen, also den Trend, immer billigere Kleidungsstücke immer kürzer zu tragen. In Zukunft sollen Knöpfe wieder angenäht und Löcher gestopft werden. Heute werden zwar 75 Prozent ausgemusterter Kleidungsstücke beispielsweise in Deutschland gesammelt, aber nur ein Bruchteil davon wird tatsächlich wieder zu Kleidung verarbeitet. Der größte Teil wird exportiert oder zu Lumpen geschreddert.

Abfall verwerten, nicht exportieren

Müll soll in der EU stärker wiederverwertet und als Rohstoffquelle betrachtet werden, wünscht sich der Umweltkommissar. Die Recyclingquote für Haushaltsabfälle liegt heute EU-weit bei 45 Prozent. 25 Prozent landen immer noch auf Mülldeponien. Besonders in Ost- und Südosteuropa gibt es nach dem Geschmack der EU-Kommission viel zu viele Müllkippen. Allerdings fehlen im jetzt vorgestellten Aktionsplan konkrete Zielmarken für die Müllverwertung - die mahnen Umweltverbände schon lange an. Bereits 2014 hatte die damalige EU-Kommission einen Plan für die Kreislaufwirtschaft vorgelegt, dessen Vorgaben bis heute nicht umgesetzt wurden.

Mülldeponie in Rumänien: Die Recyclingquoten in der EU sind sehr unterschiedlichBild: DW

In ihrem neuen Aktionsplan spricht sich die EU-Kommission dafür aus, den Mülltourismus einzudämmen. Europäischer Müll soll nicht mehr so einfach nach Afrika oder Asien exportiert werden dürfen. Die Wiederverwertung in Europa solle gestärkt werden, heißt es in dem Papier. "Recycled in EU" solle genau so ein Markenzeichen werden wie "Made in EU".

Retouren sollen weiterleben

Waren, die online bestellt und an die Händler zurückgeschickt werden, dürften nach den Vorstellungen der EU-Kommission nicht mehr vernichtet werden. Der Wiederverkauf oder die Wiederverwertung dieser Retouren soll helfen, Müll zu vermeiden. Ansetzen will EU-Kommissar Sinkevicius auch bei Verpackungen für Versandwaren und andere Produkte. 173 Kilogramm Verpackungen fallen pro Jahr und pro Kopf in der EU an. Eindeutig zu viel für eine nachhaltige Wirtschaftsweise, meint der EU-Kommissar.

"Augenmaß" contra "Wertewandel"

Für den Wirtschaftsverband Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK) geht der junge Kommissar eindeutig zu forsch vor. "Der Umfang der nun angekündigten Maßnahmen sorgt bei vielen kleinen und mittleren Unternehmen allerdings für Verunsicherung. Denn diese werden - je nach weiterer Ausgestaltung - deutlich mehr Dokumentationspflichten und Behördenkontakte zur Folge haben", kritisierte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des DIHK, Achim Dercks, in Brüssel. Das Paket müsse mit "Augenmaß" umgesetzt werden.

Das Verbot für Plastiktrinkhalme und Einweggeschirr in der EU war nur der AnfangBild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Umweltverbänden wie dem World Wildlife Fund (WWF) ist das Paket dagegen nicht konsequent genug. "Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind richtig. Es fehlt jedoch das wirkungsvollste Instrument: die Vermeidung des Einsatzes primärer Rohstoffe", meinte die WWF-Expertin Rebecca Tauer. "Die EU muss sicherstellen, dass Produkte so hergestellt werden, dass sie langlebig sind, reparaturfähig und wiederverwendet werden. Alle Produkte und Materialen müssen einen Wert erhalten, der ihren Erhalt im Kreislauf attraktiv macht." Ein Wertewandel in der Gesellschaft sei nötig, so Tauer.

Nach der Vorstellung des Aktionsplans folgt nun die Gesetzgebung in der EU, die je nach Bereich mehrere Jahre dauern kann. Bereits 2021 soll als erster Meilenstein das Recht auf Reparatur eingeführt werden.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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