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Politik

EU-Hilfen für Türkei zeitgemäß?

Klaus Dahmann
19. April 2017

Nach dem türkischen Referendum steigt die Machtfülle des Präsidenten. Kritiker sehen Demokratie und Rechtsstaat in Gefahr. EU-Politiker fordern, die zugesagten Milliarden an Beitrittshilfen zu kappen. Macht das Sinn?

Symbolfoto - EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
Bild: picture-alliance/dpa/F. Rumpenhorst

Nach Ansicht der EU-Kommission überschreitet Recep Tayyip Erdogan mit seiner Ankündigung, die Todesstrafe wieder einführen zu wollen, eine "rote Linie". Der EU-Beitritt der Türkei steht in Frage - und das würde dann auch das Ende der Milliardenhilfen bedeuten, die die Europäische Union dem Land auf dem Weg zur Mitgliedschaft zugesagt hat: Von 2014 bis 2020 sind im EU-Budget knapp 4,5 Milliarden Euro eingeplant.

EU-Beitritt "vom Tisch"?

Europaparlamentarier Reul: "Der Fall Türkei-Beitritt hat sich klar erledigt"Bild: DW/B. Riegert

Die Beitrittsverhandlungen mit Ankara waren in den vergangenen Jahren ohnehin zum Stillstand gekommen. Für Herbert Reul, den Unionsvorsitzenden im Europaparlament, hat sich nun "der Fall klar erledigt". Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki schrieb in der "Huffington Post": "Ende der Beitrittsverhandlungen mit Ankara. Ende der Heranführungshilfen in Milliardenhöhe." Ähnliche Töne aus Österreich: Außenminister Sebastian Kurz verlangte in der "Bild"-Zeitung, sicher zu stellen, "dass nicht noch mehr Geld für einen Beitritt, der ohnehin nicht stattfindet, in die Türkei fließt".

Schaut man genauer auf den derzeitigen Geldfluss in die Türkei, schrumpfen die Milliarden schon zu Millionen. Hatte die EU die zugesagten Hilfen bis 2013 - immerhin knapp fünf Milliarden Euro - noch in voller Höhe in die Beitrittsvorbereitungen des Landes gesteckt, so hat sich der Geldstrom seit 2014 in ein Rinnsal verwandelt: Gerade einmal 167 Millionen sind in den vergangenen drei Jahren in das Land geflossen. Also: Von den Milliarden, die Brüssel bis 2020 für die Türkei eingeplant hatte, sind bisher weniger als vier Prozent tatsächlich ausgezahlt worden.

"Verschwendung von Steuergeldern"

Das geschah nicht, weil die EU-Kommission, die die Gelder verwaltet, bewusst den Geldhahn langsam zugedreht hätte. Sondern weil die Beihilfen in konkrete Projekte fließen müssen. Sie werden nicht pauschal an die türkische Regierung überwiesen. An förderungswürdigen Projekten mangelte es in den vergangenen Jahren jedoch. Besonders im Bereich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für den immerhin ein Drittel des Hilfebudgets bereit steht. Die Kommission habe deshalb sogar einige Programme komplett eingestellt, so Herbert Reul im WDR: "Die Mittel für den Aufbau von Rechtsstaatlichkeit werden nicht mehr gezahlt, weil Erdogan im Gerichtswesen alles entlassen hat, was Beine hatte."

Der Hinweis, dass derzeit nur ein Bruchteil der zugesagten Hilfen tatsächlich ausgezahlt wird, reicht den Kritikern nicht. Das ganze Förderprogramm ist in den Augen des CSU-Politikers Hans Michelbach eine "Verschwendung von Steuergeldern".

Eiszeit: Bei den EU-Türkei-Gesprächen im September ging es in Sachen Beitritt keinen Zentimeter voranBild: picture-alliance/AA/F. Aktas

Im Gespräch bleiben oder nicht?

Um die Milliardenhilfen komplett zu stornieren, müsste Brüssel zunächst den Beitrittsprozess mit der Türkei offiziell abbrechen. Darüber werden die EU-Außenminister bei ihrem informellen Treffen Ende April beraten. Beschlossen werden müsste eine derartige Entscheidung dann von den Staats- und Regierungschefs - und zwar einstimmig.

Das aber ist derzeit unwahrscheinlich. Auch die deutsche Regierung legt sich beim Thema EU-Beitritt der Türkei noch nicht fest. Außenminister Sigmar Gabriel machte jedoch deutlich, dass die Einführung der Todesstrafe „gleichbedeutend mit dem Ende des Traums von Europa" wäre. Derzeit gehe es um die Frage, so Herbert Reul, "ob es klug ist, mit der Türkei im Gespräch zu bleiben oder den Gesprächsfaden abreißen zu lassen".

Besser Zivilgesellschaft fördern

Was die Beitrittshilfen angeht, könnte die EU auch beschließen, "die Mittel nicht der türkischen Regierung, sondern der Zivilgesellschaft in der Türkei zu geben und dafür zu sorgen, dass hier ein Gegengewicht entstehen kann". Diese Denkrichtung vertritt auch Erweiterungskommissar Johannes Hahn. Die EU könnte demnach die Beitrittshilfen anders etikettieren und damit andere, wesentlich kleinere Finanztöpfe aufstocken. Denn sie unterstützt bereits zivilgesellschaftliche Organisationen, beispielsweise Initiativen gegen Gewalt gegen Frauen, Schwulen- und Lesbenverbände oder Menschenrechtsanwälte. Die Einzelbudgets liegen derzeit bei einigen hunderttausend Euro.

Polizei-Einsatz gegen demonstrierende Frauenrechtlerinnen in AnkaraBild: Getty Images/AFP/A. Altan

Allein mehr Geld für die Zivilgesellschaft bereitzustellen reicht aber nicht - es muss auch von türkischen Nichtregierungsorganisationen abgerufen werden. Die hat Erdogan aber ebenso ins Visier genommen wie Oppositionspolitiker und regierungskritische Journalisten. Seit dem Putschversuch im vergangenen Sommer wurden mehrere hundert Nichtregierungsorganisationen verboten und Menschen- und Frauenrechtler verhaftet, unter dem Vorwurf, der Gülen-Bewegung oder der PKK nahe zu stehen. Für die Zivilgesellschaft wird der Handlungsspielraum kleiner.

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