1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Weitere EU-Sanktionen gegen Belarus

Barbara Wesel
9. November 2021

Der Ton im Streit um die Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze wird schärfer. Warschau spricht von einer Attacke gegen die Sicherheit der EU, während Brüssel weitere Sanktionen gegen Lukaschenko vorbereitet.

Migranten an der Grenze zwischen Polen und Weißrussland
Links die EU, rechts die Flüchtlinge - der politische Streit um die Situation an Polens Ostgrenze wird immer vehementerBild: Leonid Shcheglov/BELTA/AFP/Getty Images

Der außergewöhnlichste Beitrag zur Lage an der polnisch-belarussischen Grenze  kam wohl am Dienstag vom russischen Außenminister Sergej Lawrow. Warum die EU der Regierung in Minsk nicht dafür "finanzielle Unterstützung" leisten wolle, um Flüchtlinge von der Reise zur Grenze nach Polen abzuhalten. Das habe sie schließlich in ihrem Vertrag mit der Türkei auch getan.

Der konservative Europaabgeordnete Markus Ferber kommentierte: "Erdogan war der Erfinder dieser menschenverachtenden Strategie, Lukaschenko versucht daraus ein Franchise-Modell zu machen. An der polnischen Außengrenze entscheidet sich jetzt, ob derlei Erpressungsversuche weiter Schule machen werden."

Schlecht vorbereitet auf den nahenden Winter - Migranten an der polnisch-belarussischen GrenzeBild: Leonid Scheglov/BelTA/REUTERS

Polen erhöht den politischen Einsatz 

Am Dienstagmorgen drehte Polens Premier Mateusz Morawiecki an der politischen Schraube. Nach seinem Besuch an der Grenze zu Belarus am inzwischen geschlossenen Grenzübergang Kuznica, in dessen Nähe einige Tausend Flüchtlinge auf die Weiterreise in die EU warten, schrieb er auf Twitter: "Heute steht die Stabilität und Sicherheit der ganzen EU auf dem Spiel. Diese hybride Attacke durch Lukaschenkos Regime richtet sich gegen uns alle. Wir werden uns nicht einschüchtern lassen und den Frieden in Europa mit unseren Partnern bei NATO und EU verteidigen." 

Das Verteidigungsministerium in Minsk schlug zurück, nannte die Vorwürfe "unbegründet und unbewiesen" und warf Polen vor, die Spannungen absichtlich zu verschärfen. "Wir warnen die polnische Seite vor Provokationen gegen Belarus, um den illegalen Einsatz von Gewalt gegen benachteiligte, unbewaffnete Menschen zu rechtfertigen, unter ihnen viele Frauen und Kinder."

NATO verurteilt Lukaschenko

Der polnische Präsident Andrzej Duda suchte unterdessen Rückhalt bei NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Im DW-Interview erklärte sein Stellvertreter James Appathurai, natürlich sei die NATO solidarisch mit Polen. "Was dort geschieht, ist eine inakzeptable Kampagne durch das Lukaschenko-Regime. Darüber gibt es keinen Zweifel. Die Botschaft aus Moskau und Minsk zu diesem 'humanitären Problem' - dass Polen damit nicht human umgehe - ist mehr als verlogen und zynisch, weil sie natürlich erst (diese Situation) ermöglichen."

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki beim Besuch der Grenze zu BelarusBild: Polish Ministry Of Defence/Getty Images

Aber was will Polen erreichen, wenn es das Verteidigungsbündnis in die Auseinandersetzung mit Belarus einbezieht? Der Vorstoß hat nach Auffassung von Diplomaten vor allem den Charakter einer Warnung, dass die Bündnispartner mehr gegen die Krise tun müssten, weil sie sonst zu eskalieren drohe. Sie könnten insbesondere ihre Kontakte zu Ländern im Nahen Osten nutzen, um Druck auszuüben, damit die Flüchtlingsflüge nach Belarus aufhörten. 

Marina Strauß berichtet aus Kuznica

03:54

This browser does not support the video element.

Warschau spiele dagegen nicht mit der Idee, NATO-Soldaten für den Einsatz an der Grenze zu Belarus anzufordern. Allenfalls könnte man um Verstärkung durch einen internationalen Polizeieinsatz bitten. Polen hat zuletzt mehr als 10.000 Soldaten im Sperrgebiet an der Grenze stationiert, um den Grenzübertritt von Flüchtlingen zu verhindern. Nach Angaben aus Warschau sollen 12.000 bis 15.000 Migranten auf belarussischer Seite versammelt sein. Die Zahl ist kaum zu verifizieren, weil niemand Zugang zum militärischen Sperrgebiet erhält. Europäische Beobachter sprechen von mutmaßlich 4000 Flüchtlingen in der Region.

EU will weitere Sanktionen

Zuletzt hatte die EU im Sommer Sanktionen gegen Alexander Lukaschenko verhängt, nachdem er einen zivilen Ryanair-Flug zur Landung zwingen und einen an Bord befindlichen Regimekritiker verhaften ließ. Damals gab es neben den üblichen Reiseverboten und Kontensperrungen für Regierungsmitglieder und Offizielle auch wirtschaftliche Sanktionen etwa für die Ausfuhr von Pottasche, einem der Hauptexportartikel von Belarus. Allerdings waren diese zurückhaltend formuliert und der wirtschaftliche Schaden für das Regime gilt als begrenzt. 

Lässt sich von den bisherigen EU-Sanktionen nicht beeindrucken - Der belarussische Machthaber Alexander LukaschenkoBild: BelTA/AP Photo/picture alliance

Jetzt hat die EU zunächst die Visaerleichterungen im Reiseverkehr für belarussische Regierungs- und Behördenmitarbeiter aufgehoben. Außerdem wird über weitere Sanktionen gegen Personen und Organisationen beraten, die in die Schleusung von Migranten einbezogen sind. Das sind auch Reisebüros, Chartergesellschaften und andere Einrichtungen, wie die staatliche Fluglinie Belavia, die dadurch keine Chartermaschinen in EU-Ländern mehr leasen könnte.

"Ich rufe zu erweiterten Sanktionen auf, auch zu möglichen Sanktionen gegen die Fluggesellschaften von Drittländern", erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen - denkbar sind Überflug- oder Landeverbote. Die EU versucht derzeit nach Angaben eines Kommissionssprechers zunächst Fakten zu sammeln und analysiert Flüge aus Marokko, Syrien, Iran, Qatar und weiteren Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, um festzustellen, wie die Migranten nach Belarus geschleust werden.

Strafen gegen Fluggesellschaften müssen allerdings gerichtsfest sein, dazu müsste ihnen nachgewiesen werden, dass sie vorsätzlich gehandelt haben. Im Laufe der Woche werden sich die EU-Botschafter in Brüssel mit dem Maßnahmenpaket befassen, beschlossen werden soll es am kommenden Montag beim Treffen der EU-Außenminister.

Neue Migrationsroute über Belarus

02:53

This browser does not support the video element.

Maas will gegen Schleuser vorgehen

Der geschäftsführende deutsche Außenminister Heiko Maas plädiert für Sanktionen gegen alle, die sich an der Schleusung von Flüchtlingen nach Belarus beteiligen. "Niemand sollte sich ungestraft an Lukaschenkos menschenverachtenden Aktivitäten beteiligen dürfen", erklärte der SPD-Politiker in Berlin. Dies gelte für Herkunfts- und Transitstaaten, aber auch für Fluggesellschaften, die den Transport von Menschen nach Belarus ermöglichten. Die Europäische Union sei bereit, "hier klare Konsequenzen zu ziehen".

"Die Bilder und Eindrücke, die wir aus dem belarussischen Grenzgebiet erhalten, sind entsetzlich", so Maas in seiner schriftlichen Erklärung. "Herr Lukaschenko dreht weiter an einer gefährlichen Eskalationsspirale, aus der es für ihn selbst keinen Ausweg gibt. Skrupellos nutzt er Zuflucht suchende Menschen als Geiseln für sein zynisches Machtspiel aus." Die EU sei aber nicht erpressbar, unterstich Maas.

Europäer müssen handeln - aber wie?

Der geschäftsführende Bundesinnenminister Horst Seehofer forderte in einem Zeitungsinterview, die Europäische Kommission müsse jetzt handeln, um Polen bei der Grenzsicherung zu unterstützen. Die angebotene Hilfe der EU-Grenzagentur Frontex allerdings hat die polnische Regierung bisher abgelehnt, man habe genug Soldaten und Grenzpolizei. Kritiker vermuten, dass Warschau sich bei seinen Aktionen im Sperrgebiet an der Grenze nicht beobachten lassen wolle, weil es Berichte über illegale Pushbacks gibt, bei der Menschen über die Staatsgrenze zurückgedrängt werden.

Kritik an der bisherigen Nicht-Einmischungspolitik in Brüssel zu den Vorgängen an der Grenze kommt von den Unterhändlern zur Bildung der Ampel-Regierung in Berlin: "Nein zu menschenunwürdigen Pushbacks", erklärt die Grünen- Fraktionssprecherin Katrin Göhring-Eckardt. Und der Migrationsexperte der SPD Lars Castellucci erklärt: "Die Grundrechte, darunter der Zugang zu Asyl, müssen an den europäischen Außengrenzen jederzeit gewährt werden."

Sucht den Dialog mit den Regierungen der Herkunftsländer - EU-Innenkommissarin Ylva JohanssonBild: Stephanie Lecocq/AP Photo/picture alliance

In den nächsten Tagen wollen EU-Flüchtlingskommissarin Ylva Johansson und Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas erneut in die Herkunfts- und Transitländer der Flüchtlinge reisen, um bei den dortigen Regierungen Überzeugungsarbeit zu leisten. "Das verzweifelte, illegitime Regime in Minsk lockt Menschen an und erklärt ihnen, dies sei ein sicherer und einfacher Weg in die EU". Die EU-Vertreter wollen klar machen, dass die Fluchtroute über Belarus im Gegenteil angesichts des nahenden Winters hoch gefährlich ist, sagt Ylva Johansson.

Die meisten der betreffenden Migranten kommen allerdings aus den Kurdengebieten im Nordirak, aus Syrien und Afghanistan. Weder ihre Regierungen noch die Flüchtlinge selbst dürften sonderlich offen sein für solche Argumente. 

Dieser Artikel wurde aktualisiert.