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Politik

EU bittet zum nächsten Akt im Brexit-Drama

17. Oktober 2018

Die britische Premierministerin hat ihren großen Auftritt. Der Applaus der EU wird mager ausfallen, denn ein Brexit-Deal ist ungewiss. Man hofft auf den nächsten Akt im November. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Symbolbild weiße Masken
Bild: Colourbox

Vorhang auf zum großen Finale im Brexit-Drama, das nun schon seit dem Referendum im Juni 2016 die EU und vor allem das Vereinigte Königreich in Atem hält! Ihren großen, vielleicht letzten Auftritt auf der Bühne in Brüssel wird die britische Premierministerin Theresa May hinlegen. Sie hat zu Beginn des Treffens vor den 27 übrigen Staats- und Regierungschefs noch einmal die Chance, in 15 Minuten für ihre Ausstiegs-Vision zu werben. Man müsse jetzt cool bleiben und eine ruhige Hand bewahren, hatte Theresa May im Unterhaus angekündigt. Neue Vorschläge hat sie, soweit es die Quellen der britischen Medien hergeben, nicht vorbereitet. Eine Diskussion oder gar Verhandlungen sind mit Frau May nicht vorgesehen. Vielmehr macht die britische Premierministerin nach ihrem Brexit-Solo noch vor dem Abendessen einen gekonnten Abgang.

Die Diva und ihr Regisseur: May (li.) trifft Tusk vor jeder Aufführung (Archiv 2017)Bild: Reuters/G. Vanden Wijngaert

Erst dann tritt ihr Widersacher, EU-Unterhändler Michel Barnier, auf die Bühne und fasst den Stand der Brexit-Verhandlungen aus seiner Sicht zusammen. Dann werden die 27 EU-Staaten sich noch einmal versichern, dass sie alle einen ordentlichen Ausstiegsvertrag mit den Briten wollen, man aber keine Prinzipien wie den Binnenmarkt der EU opfern wolle. Zum Nachtisch steht dann die Entscheidung an, ob das Drama den nächsten Akt erreichen wird, es also den angedachten Sondergipfel der EU Mitte November zum leidigen Brexit-Thema geben soll. So hat sich der Regisseur der Aufführung am Mittwoch, der EU-Ratspräsident Donald Tusk, diesen ersten Akt des Finales gedacht, zumindest wenn man sein Einladungsschreiben an alle EU-Mitglieder liest.

Nächster Akt im November?

Da nach Meinung von Premierministerin May die EU und ihre Regierung sehr nah beieinander sind, gehen die deutsche und die französische Regierung ganz klar davon aus, dass es auch im November einen weiteren Brexit-Akt geben wird. Ob es dann eine Lösung geben kann, ist aber nicht gewiss. Der irische Premier Leo Varadkar, dessen Inselrepublik vom Brexit neben Großbritannien am härtesten getroffen wird, brachte einen zusätzlichen Gipfel im Dezember ins Spiel. "Die EU ist da relativ entspannt", sagte ein hoher EU-Diplomat, der mit der Vorbereitung der Endspiele vertraut ist. "Wir verhandeln so lange, bis die Briten das Ganze beenden. Das hängt hauptsächlich von den Verfahren und Zeitplänen im britischen Parlament ab." Das Parlament in Westminister müsste einem wie auch immer gearteten Brexit-Abkommen noch zustimmen. Im Moment hat die konservative Premierministerin, die auf die Stimmen der nordirischen Unionisten angewiesen ist, für keine Variante der Brexit-Verträge eine erkennbare Mehrheit. Fest steht nur das eigentliche Austrittsdatum: der 29. März 2019, um Mitternacht mitteleuropäischer Zeit, also 23 Uhr in London.

Kulissenschieber am Werk: Unterhändler Barnier (li.) und Raab gefangen im VerhandlungsrahmenBild: Getty Images/AFP/V. Mayo

Alles oder das Nichts?

Sollte das Brexit-Drama nach dem dritten, vierten oder fünften Akt ganz ohne Abkommen im bitteren Streit enden, sei man auch darauf vorbereitet, sagten am Tag vor dem EU-Gipfel noch einmal diverse Vertreter von EU-Regierungen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wird dazu am Mittwochabend auf dem Gipfel einen Vortrag halten. Frankreichs Europaministerin erklärte, in den Häfen Nordfrankreichs und am Kanaltunnel würden Grenzkontrollen und Zollposten vorbereitet. Auch die britische Regierung bereitet sich mit allen möglichen Erlassen und Handreichungen für Unternehmen auf ein "No-Deal-Szenario" vor. Beide Seiten, britische Regierung und Europäer, betonen gleichzeitig, dass sie lieber einen Vertrag wollen. Der Vertrag würde eine zwei Jahre währende Übergangsfrist, geregelte Bürgerrechte für Briten in der EU und EU-Bürger in Großbritannien sowie eine 39 Milliarden Euro umfassende Austrittsrechnung beinhalten.

Auf allen Seiten wird zur Zeit mit viel Theaterdonner, politischer Schminke und falschen Zöpfen gearbeitet, um die jeweils andere Seite zu beeindrucken. Wer gibt zuerst nach? Das ist die entscheidende Frage. Am Wochenende hatten sich die Unterhändler auf einen gemeinsamen Entwurf geeinigt, der dann aber in London sofort wieder auf Ablehnung stieß. Seither wird offiziell gar nicht mehr verhandelt. "Aber glauben Sie das wirklich?", fragte ein hoher EU-Beamter. Natürlich werde hinter den Kulissen weiter am Text gefeilt.

Das Publikum in Großbritannien ist gespalten: Die knappe Mehrheit will raus aus der EU...Bild: DW/B.Maass

Sein oder Nicht-Sein an unsichtbarer Grenze

Ein deutscher EU-Diplomat sagte am Vorabend des Gipfels, 90 Prozent des Austrittsabkommens und einer Erklärung zur politischen Zukunft seien fertig. Der entscheidende Zankapfel ist die Landgrenze zwischen der Republik Irland (EU) und Nordirland (Großbritannien). Die Grenze soll unsichtbar bleiben, um den Frieden im ehemaligen Bürgerkriegsgebiet Nordirland nicht zu gefährden. Die EU schlägt vor, Nordirland bis auf Weiteres im Regelwerk der EU zu halten und die neue Grenze in das Meer zwischen Nordirland und Großbritannien zu verlagern. Das lehnt die britische Premierministerin mit theatralischen Bekenntnissen zur Einheit "unseres" Königreiches ab. Sie will, dass ganz Großbritannien und Nordirland noch eine gewisse Zeit mit der EU beim Warenverkehr verbunden bleiben, um eine Grenze ganz zu vermeiden. Ob dieser Zustand dann dauerhaft oder von vorneherein zeitlich begrenzt wäre, führt ebenfalls zu Streit. Auch die Frage, ob der Vertrag eine unbefristete Rückversicherung für Irland und Nordirland enthält, falls sich die EU und Großbritannien in Zukunft nicht auf einen neuen Freihandelsvertrag einigen können, ist höchst sensibel.

...andere wollen lieber bleiben, weil der Brexit eine zu große Klippe ist.Bild: DW/B. Riegert

"Im Grunde sprechen wir hier über ein total theoretisches Konstrukt, den sogenannten backstop, der ja nie angewendet werden soll", sinnierte dazu am Dienstag ein hoher EU-Beamter. "Kann es wirklich sein, dass an der Frage, ob dieses Konstrukt dauerhaft oder befristet ist, die ganze Brexit-Nummer scheitert?" Für die nächste Aufführung der Brexit-Endspiele, wahrscheinlich im November, hat der erfahrene Beamte augenzwinkernd noch einen Tipp: "Vergessen Sie nicht, auch über Gibraltar und Zypern zu sprechen. Auch dort hat die EU Landgrenzen zu britischen Territorien."

"Mehr Fantasie"

Großbritannien am 29. März von der Klippe eines Brexits ohne Abkommen springen zu lassen, könne niemandes Interesse sein, mahnt der Verband europäischer Unternehmen "business europe" in Brüssel. "Je näher wir dem Exit-Datum kommen, desto dringender wird es, ein Abkommen mit Übergangsfristen zu schaffen", sagte der Vorsitzende von "business europe", Pierre Gattaz. "Die Unternehmen sind gezwungen, jetzt mehr und mehr Entscheidungen zu treffen. Die Staats- und Regierungschefs sollten die Chancen auf eine Einigung endlich nutzen." Der deutsche Unternehmerverband BDI fasste es etwas poetischer: "Die Angst vor dem Abgrund muss die Fantasie beflügeln", forderte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Die Unternehmen könnten in diesem Brexit-Schauspiel vielleicht die Rolle des Chores im klassischen Drama einnehmen: die Stimme der Vernunft.

Brexit an der irischen Grenze

05:54

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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