EU bläst zur Aufholjagd im Netz
6. Mai 2015Die EU-Kommission will digitale Zeichen setzen und beweisen, dass sie mithalten kann. Deshalb hätten die 28 Kommissare an diesem Mittwoch in ihrer wöchentlichen Sitzung weitgehend auf Papier und dicke Akten verzichtet und hauptsächlich mit elektronischen Dokumenten auf Laptops und Tablets hantiert, berichtete der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (Artikelbild) hinterher nicht ohne Stolz. Oettinger ist in seiner zweiten Amtszeit als EU-Kommissar jetzt fürs Digitale zuständig und holt gemeinsam mit seinem Kollegen Andrus Ansip zum großen Wurf aus. 16 Gesetze und Initiativen bringt die EU-Kommission auf den Weg um nach mehreren Anläufen nun endlich einen EU-Binnenmarkt für alle digitalen Produkte und Dienstleistungen zu schaffen. Den Binnenmarkt für Hüttenkäse, Holzkohle oder Hochöfen gibt es schon seit Jahrzehnten, nur die Digitalisierung habe Europa bislang halb verschlafen, kritisiert Andrus Ansip.
"Wir sind mitten in einer digitalen Revolution", so Ansip vor der Presse in Brüssel. Damit Verbraucher und Unternehmen in der EU mithalten können, müsse ein Markt mit einheitlichen Regeln geschaffen werden. Dazu gehören grenzüberschreitender digitaler Handel, Datenschutz, Datensicherheit und ein einheitliches Urheberrecht für alle 28 Mitgliedsstaaten. Als Beispiel nennt Andrus Ansip das sogenannte "Geo-Blocking", also die Praxis vieler Anbieter, Daten, die zum Beispiel in Deutschland gekauft wurden, auch nur in Deutschland zugänglich zu machen. Reist der deutsche Einkäufer über die Grenze nach Belgien, kann er dort bestimmte Medien, Filme, Programme und Apps nicht mehr nutzen. Das müsse aufhören, so Ansip. Geo-Blocking solle nur noch in wenigen Ausnahmefällen möglich sein, zum Beispiel im Bereich des elektronischen Glücksspiels.
In der Welt mithalten
Für Digital-Kommissar Oettinger ist klar, dass Europa den digitalen Binnenmarkt braucht, um Innovationen und Start-up-Unternehmen zu fördern. Der Binnenmarkt soll die EU aber auch vor Konkurrenz schützen. "Er schafft für uns die Grundlage, um im globalen Wettbewerb mit den USA und Asien wieder auf Augenhöhe konkurrenzfähig zu werden. Standards, Gesetzgebung, Infrastruktur, die grenzüberschreitend werden müssen, führen zu Vorteilen für Bürger, Wirtschaft und Arbeitsplätze", sagte Oettinger in Brüssel. Der deutsche Vertreter in der EU-Kommission spricht gerne von einer "Aufholjagd", die jetzt begonnen werden müsse, und zwar auf vielen Feldern gleichzeitig. Das betreffe neben dem Ausbau der Infrastruktur für schnellstes Internet auch den Datenschutz. "Es kann nicht sein, dass Europäer den Datenschutz beachten und Auswärtige nicht. Wir wollen ein faires Wettbewerbsfeld, egal ob sie Europäer sind oder Anbieter aus den USA oder Asien, die europäische Kultur und die europäischen Regeln gleichermaßen beachten."
Seit mehreren Jahren bereits arbeiten die EU-Institutionen, also Kommission, Ministerrat und Parlament, an einer Datenschutz-Grundverordnung. Bislang blockieren sich die Gremien oft gegenseitig. Besonders im Ministerrat, der Vertretung der Mitgliedsstaaten, mahlen die Mühlen langsam. Viele Mitgliedsstaaten tun sich schwer, nationale Kompetenzen zugunsten einer europäischen Regelung aufzugeben. Das Europäische Parlament kritisiert oftmals, dass die Ziele der EU-Kommission in ihren Gesetzeswürfen nicht ehrgeizig genug sind. Beim großen Paket "Digitaler Binnenmarkt" bemängelte zum Beispiel der Innenpolitik-Experte Jan Phillip Albrecht von Bündnis 90/Grüne, dass die Kommission viel zu kurz springe. "Da muss nachgearbeitet werden", kündigte der Europaabgeordnete an. "Es bräuchte einen deutlich größeren Wurf, um die Herausforderungen von morgen zu bewältigen und mit gesetzlichen Standards einen gleichen Zugang zum digitalen Markt für alle zu garantieren", kritisierte Albrecht. Es fehlten klare Regeln für die Anbieter von digitalen Leistungen, um die Rechte von Verbrauchern, aber auch Wettbewerbern zu gewährleisten.
Digitaler Binnenmarkt als Dauerbaustelle
Um die Einzelheiten des digitalen Binnemarktes wird vermutlich noch Jahre in Brüssel zwischen dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament gerungen werden. EU-Kommissar Andrus Ansip räumte auf Nachfrage ein, dass es noch vier bis fünf Jahre dauern werde, bis die Regelungen tatsächlich alle in Kraft treten könnten. "Demokratie braucht halt ihre Zeit", so Ansip. Das Problem ist nur, dass die technische Entwicklung auf den digitalen Märkten die Gesetzgeber ständig überholt. Darum forderte die Europaabgeordnete der internetfreundlichen "Piratenpartei", Julia Reda, radikalere Ansätze. "Das Netz muss kompromisslos grenzenlos und diskriminierungsfrei sein", sagte sie nach der Präsentation der Kommissions-Vorschläge. Dazu gehöre ein wirklich einheitliches Urheberrecht in der gesamten EU. Auch EU-Kommissar Oettinger ist für ein einheitliches Urheberrecht zu haben, will aber Ausnahmen zum Beispiel für europäische Filme, Sportveranstaltungen und einige Medien beibehalten.
Europa braucht eine eigene Wolke
Günther Oettingers Augenmerk gilt angesichts der vielen Abhör-, Ausspäh-, und Hackerattacken auf Datenbestände der Sicherheit von Daten. Neben den dominanten US-Anbietern müsse es für Datenspeicherung und Datenverarbeitung in sogenannten Datenwolken oder Clouds auch europäische Anbieter geben, schwebt Oettinger vor.
"Eine europäische Cloud müsste natürlich auch europäische Regeln beachten. Deshalb ist es besser, man hat auch europäische Mitspieler und ist nicht nur auf die Anerkennung europäischer Regeln durch Asiaten und Amerikaner angewiesen." Die Europäer müssten auf jeder Stufe der digitalen Wertschöpfung mithalten können und das schließe eben Datenspeicherung, Suchmaschinen und vieles andere ein. Auf die Frage der DW, ob er den amerikanischen Unternehmen wie Google, Apple, Facebook und anderen in dieser Beziehung nicht traue, sagte Günther Oettinger: "Ich traue den Amerikanern, aber sie haben eine andere Sicherheitskultur für Daten und einen anderen Datenschutz. Die Amerikaner sind eingeladen, aber wir wollen auch europäisch mitspielen."
Im Zuge der Gesetzgebung will sich die EU-Kommission die großen Internet-Plattformen genauer anschauen, was Oettinger auf seiner Pressekonferenz aber nur in einem Nebensatz andeutete. "Es muss geprüft werden, ob es Grenzen geben muss, ob die Anbieter von Plattformen auch für die Inhalte verantwortlich sind." Das würde bedeuten, dass zum Beispiel Facebook, Twitter oder Youtube für Postings von Terrorgruppen oder Rassisten zur Verantwortung gezogen werden könnten. Bislang lehnen die Unternehmen diese Verantwortung ab.