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Politik

EU-Chefdiplomat bestreitet Chinas Einfluss

Barbara Wesel
30. April 2020

"Wir haben uns Druck aus China nicht gebeugt": Josep Borrell wehrt sich gegen den Vorwurf, ein EU-Bericht über gezielte Desinformationen in der Corona-Krise sei auf Druck chinesischer Diplomaten abgeschwächt worden.

EU-Außenbeauftragter Josep Borrell
Bild: picture-alliance/Zumapress/N. Landemar

"Als ich den Begriff 'Kampf der Narrative' benutzt habe, konnte ich nicht wissen, dass dies weltweit einen solchen Effekt haben würde", sagte EU-Chefdiplomat Josep Borrell. Mit Nachdruck verteidigte er vor dem Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments die Integrität seiner sogenannten Stratcom-Einheit, die sich mit der Verbreitung von Fake News aus Osteuropa und China befasst und der jetzt Nachgiebigkeit gegenüber politischem Druck aus Peking vorgeworfen wird.

Der Streit geht auf einen Artikel in der "New York Times" zurück, der sich auf Informanten aus dem diplomatischen Dienst der EU (EAAS) berief. Nachdem aus China Druck ausgeübt worden sei, habe EAAS einen Bericht über Desinformationsaktivitäten der chinesischen Regierung verwässert und entschärft, so hieß es darin.

In der Folge sei dann ein zweiter, wesentlich gemäßigter Report veröffentlicht worden. Seitdem steht vor allem Borrell selbst im Verdacht, der Öffentlichkeit wichtige Erkenntnisse über eine mögliche chinesische Desinformationskampagne vorenthalten zu haben.

"Schädliche Lecks"

"Was hat sich zwischen dem 16. April (erster Bericht) und dem 24. April (zweiter Bericht) verändert?", wollte die konservative Abgeordnete Sandra Kalniete aus Lettland wissen. Und die belgische Liberale Hilde Vautmans legte nach: "Welcher chinesische Vertreter hat denn den Druck ausgeübt? Und müssen wir nicht unsere Strategie gegenüber China ändern? Die Bürger wollen wissen, wo das Virus herkam und wie es sich verbreiten konnte."

Stellte Borrell unangenehme Fragen: Hilde VautmansBild: DW/Doris Pundy

Josep Borrell versuchte, die Lage zu entschärfen. Der erste, schärfere Report mit härteren Formulierungen zu China sei eine interne Fassung gewesen, erklärte er. Solche Papiere produziere jeder diplomatische Dienst der Welt, sie dienten nur der internen Kommunikation. Nur der zweite Bericht, der vom 24. April, sei für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen.

"Solche Lecks sind schädlich, so können wir nicht arbeiten", klagte Borrell. Der EU-Außenbeauftragte räumte ein, dass sich chinesische Vertreter in der Tat über den Bericht zur Desinformation 'Made in China' beschwert hätten. "Sie sind nicht glücklich darüber, und sie werden auch in Zukunft (mit unseren Reports) nicht glücklich sein", meinte er. Zugleich versicherte Borrell, er habe "keine Anordnung gegeben, etwas zu ändern".

Braucht Europa eine neue China-Strategie?

Der politische Kurs gegenüber dem größten Handelspartner der EU ist umstritten. "Für uns gilt immer noch die EU-China Strategie von 2016", erklärt Borrell, wonach China ein wichtiger Partner, aber auch Konkurrent und systemrelevanter Rivale sei.

Vor allem konservative Abgeordnete wollen die Strategie ändern. "Die EU-Regierungschefs müssen darüber diskutieren, wie (China) zur Verantwortung gezogen werden kann", verlangt zum Beispiel der Bulgare Angel Dzhambazki, die kommunistische Partei belüge die Menschen systematisch. Auch niederländische Liberale fordern, die EU müsse auf die Desinformationskampagnen deutlicher reagieren und Sanktionen verhängen. Und Sergey Lagodinski von den deutschen Grünen erinnert daran, dass auch einige EU-Regierungen, etwa in Italien oder Ungarn, das Spiel Pekings mitspielten.

"Falsche Narrative"

Seit Januar und dem Beginn der Corona-Krise ist China in noch nie gesehenem Ausmaß in den sozialen Medien aktiv, sagt Lucrezia Pogetti vom Thinktank Merics, der auf China-Beobachtung spezialisiert ist. Dabei gebe es verschiedene Strategien, wie etwa die maßlose Übertreibung chinesischer Spenden von medizinischem Material und die entsprechende "Begleitpropaganda".

Am Beispiel Italien könne man beobachten, wie das funktioniere: China habe mit Bots Mitte März unter den Hashtags #forzaitalia und #graziechina fast die Hälfte aller Tweets in Italien generiert. Dabei wurden chinesische Spenden einer angeblichen Engherzigkeit der EU gegenüber gestellt und die Freundschaft zwischen Italien und China beschworen.

Gemeinsamer Feind: das CoronavirusBild: Reuters/F. Lo Scalzo

Ein Narrativ, das bei euroskeptischen Italienern auf Anklang stieß und auch von Außenminister Luigi Di Maio gefördert wurde. "Diese Aktivitäten sind in Italien auf fruchtbaren Boden gefallen", sagt Pogetti, viele Medien hätten von italienischer Dankbarkeit und gegenüber China berichtet.

Laut Pogetti reagiert Peking in erster Linie defensiv und will von der Verantwortung der Corona-Epidemie ablenken. Dazu würden auch russischen Quellen genutzt, etwa "Russia Today" oder das Kreml-nahe "Global Research Institute". Hauptsache sei, im Westen Verwirrung zu stiften, so Pogetti.

Das Narrativ, das immer wieder in den sozialen Medien auftauche, laute: "Sie können mit der Pandemie nicht umgehen. Es wird nicht aufhören, dies ist ein Test, ob Europa Widerstand leistet oder gespalten werden kann", sagt die China-Expertin. Die Frage nach der strategischen Unabhängigkeit etwa bei medizinischem Material werde für die EU jetzt wichtiger denn je.

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