Neues Interesse
16. Mai 2008Beim gemeinsamen Gang zum Familienfoto fing der Präsident von Venezuela, Hugo Chávez, Angela Merkel ab. Der Präsident von Venezuela erklärte, der Kanzlerin Hände schüttelnd, er habe sie mit seinen Hitler-Vergleichen nicht beleidigen wollen. Angela Merkel lächelte, tauschte noch ein paar Nettigkeiten aus. Damit war der Fall für sie erledigt.
Chávez hatte zuvor seine Schlagzeilen bekommen und sich mit seinen üblichen Attacken auf Europa profiliert. Nach dieser Szene konnte sich die Kanzlerin wieder den Themen des Gipfels zuwenden: Armutsbekämpfung, Klimaschutz und die nötigen Mittel dafür.
EU größter Geber in der Region
Jedes Jahr zahlt die Europäische Union rund eine halbe Milliarde Euro an Projekt- und Entwicklungshilfe für Lateinamerika. Sie ist der größte Geber in der Region und zudem auch der zweitwichtigste Handelspartner. Obwohl Chávez die Europäer auf dem Gipfeltreffen in Lima heftig attackierte, nimmt er trotzdem gern die 40 Millionen Euro, die die EU in den kommenden sieben Jahren für Entwicklungsprojekte im dem relativ wohlhabenden Öl-Staat zahlen wird.
Auch das Schwellenland Brasilien erhält 60 Millionen Euro. Der Großteil des Geldes geht aber an ärmere Staaten wie Guatemala, Honduras oder Bolivien. Deshalb stößt bei den Europäern der jüngste Vorschlag des Linkspopulisten Chávez einen weiteren Hilfsfond für notleidende Menschen bereit zu stellen auf Skepsis. Das Geld für Projekte sei eigentlich da, es müsse nur auch bei den Menschen ankommen, meinen europäische Diplomaten in Lima.
Unterschiedliche Rezepte
Die Schere zwischen Arm und reich in den lateinamerikanischen Staaten klafft weit auseinander. Viele Präsidenten versprachen mehr Anstrengungen zu unternehmen, die breite Masse der Menschen am durchaus vorhandenen Wirtschaftswachstum teilhaben zu lassen. Rund 10 Prozent der Bevölkerung, das sind rund 50 Millionen Menschen, leben in absoluter Armut, von weniger als einem US-Dollar am Tag. In der Gipfelstadt Lima hausen rund zwei der zehn Millionen Einwohner in primitiven Slums ohne Zugang zu Wasser, sanitären Anlagen oder Strom.
Die politisch bunt gemischten Regierungen in Lateinamerika werfen sich gegenseitig vor, die falschen Rezepte anzuwenden. Der peruanische Gastgeber, der eher marktwirtschaftlich orientierte Sozialdemokrat Alan García, wirft seinen sozialistischen Kollegen in Bolivien und Ecuador vor, die Armut nur zu verwalten. Die linken Populisten, allen voran Chávez geißeln den Kapitalismus, die USA und teilweise auch Europa. Gemäßigte Liberale, wie der ehemalige Gewerkschaftsführer Luiz Inácio Lula da Silva, Präsident in Brasilien, versuchen recht erfolgreich einen Mittelweg.
Suche nach Ansprechpartner
Die Interessen der 33 lateinamerikanischen Staaten sind sehr unterschiedlich, vor allem auch in Handelsfragen. Sie sind in drei regionalen Bündnissen organisiert. Zentralamerika, Andengemeinschaft und Mercosur. Mit keinem der drei Bündnisse konnte die EU bisher als Block ein Freihandelsabkommen erreichen. Daran hat auch der Gipfel in Lima nichts ändern können, gab der EU-Handelskommissar Peter Mandelson zu.
Dabei brauchen die Europäer vor allem die Mercosur-Staaten wie Brasilien, um bei den festgefahrenen Welthandelsgesprächen über Agrarsubventionen und dem Marktzugang für Industriegüter weiter zu kommen. Auch ohne Abkommen sind die wirtschaftlichen Verflechtungen der Kontinente groß. Europäische Firmen investieren in Lateinamerika mehr als irgendwo sonst auf der Welt. Doch die Konkurrenz schläft nicht. China ist auch in Lateinamerika auf Einkaufstour uns sichert sich Rohstoff- und Energiequellen. Europa muss aufpassen, dass es nicht zu spät kommt, mahnte Bundeskanzlerin Angela Merkel während ihrer Lateinamerikareise.
Bilaterale Abkommen sind der Trend
Die wahren Fortschritte bringt nicht das große Gipfeltreffen, bei dem schöne Erklärungen verabschiedet worden sind. Fortschritte bringen bilaterale Vereinbarungen mit den einzelnen Staaten. Mexiko und Chile haben Freihandelsabkommen geschlossen. Ihr Handelsvolumen hat sich stark erhöht. Mit Brasilien laufen Verhandlungen. Auch beim zweiten großen Thema, den Folgen des Klimawandels und nachwachsenden Energieträgern haben die 60 Staaten, die in Lima versammelt waren, ihre Absicht zur Zusammenarbeit bekundet. Allerdings, wenn es konkreter wird, gibt es Streit.
Bundeskanzlerin Merkel und die EU-Kommission drängten darauf, Bio-Ethanol nur aus Pflanzen zu gewinnen, die nicht auf gerodetem Regenwaldboden gezogen werden. Brasiliens Präsident verbat sich jedoch Einmischung die brasilianische Souveränität und ließ wissen, dass er bereit sei den Regenwald besser zu schützen, doch wenn er das gute Geschäft mit Bio-Ethanol einschränken solle, habe das natürlich seinen Preis.
Zwist unter Nachbarn
Auch untereinander sind die Lateinamerikaner in diesem Punkt zerstritten. Der oberste Öl- und Gasverkäufer von Venezuela, Chávez, und der Präsident von Peru, Alan García, machten die Bio-Sprit-Produktion in Brasilien für steigende Lebensmittelpreise verantwortlich, was Präsident Lula vehement bestritt. Immerhin wird es jetzt eine Arbeitsgruppe geben, die die Zusammenhänge prüfen soll. Erneut haben die Staats- und Regierungschefs hehre Ziele zur Armutsbekämpfung und zum Umweltschutz formuliert.
Damit könne man, so sagt die EU-Kommissarin für Außenbeziehungen, Benita Ferrero-Waldner, jetzt weiterarbeiten, um konkrete Maßnahmen zu erreichen. Seit dem letzten Gipfel hatte es allein zehn Experten-Konferenzen zwischen der EU und Lateinamerika gegeben. Mehr sei von so einem Gipfelspektakel wie in Lima auch nicht zu erwarten gewesen. Wichtig sind vor allem auch die persönlichen Begegnungen mit anderen Regierungschefs, sagte Bundeskanzlerin Merkel. Das schaffe eine Atmosphäre der Zusammenarbeit. Zu Chávez' persönliche Attacken auf sie meinte Angela Merkel nur: "Wir müssen uns alle gut vertragen."