1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

EU einigt sich auf Corona-Wiederaufbaufonds

Barbara Wesel
23. April 2020

In einer zügigen Video-Konferenz haben sich die EU-Regierungschefs auf eine finanzielle Lösung für den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der Corona-Pandemie verständigt. Die Details aber sind weiter offen.

EU Gipfel Coronakrise Videoschalte
Bild: Reuters/I. Langsdon

Nachdem sich die Kassandra-Rufe über den Untergang Europas in den vergangenen Wochen vervielfacht hatten – nicht nur Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte, auch sein spanischer Kollege Pedro Sanchez und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron machten kräftig mit – wollten die EU-Regierungschefs bei ihrem virtuellen Gipfel vor allem eines nicht mehr: öffentlichen Streit.

Die Moraldebatte darüber, wer warum mit wem solidarisch sei oder auch nicht, vergiftete das Klima. Also gab es eine schnelle Einigung auf einen Post-Corona Wiederaufbaufonds, der im europäischen Siebenjahres-Haushalt angesiedelt werden soll. So weit, so gut, aber die Einzelheiten müssen jetzt mühsam verhandelt werden.

Vergiftete Gabe für von der Leyen

Auf den ersten Blick ist es für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Machtzuwachs. Sie soll die Hüterin des Corona-Fonds werden, denn das Geld wird unter ihrem Dach, im regulären EU-Haushalt, angesiedelt. In der Rekordzeit von knapp zwei Wochen soll sie jetzt einen Vorschlag machen, welche Länder unter welchen Konditionen daraus Geld erhalten, zu welchen Konditionen es wofür vergeben werden soll und ob und wann es zurück gezahlt werden muss. In jeder dieser Fragen steckt der gesamte Sprengstoff, den die Regierungschefs an von der Leyen weiter gereicht haben.

Gesprächsbedarf: Kommissionspräsidentin von der Leyen und Ratspräsident Michel nach dem virtuellen EU-GipfelBild: Getty Images/AFP/O. Hoslet

"Der nächste Haushalt muss an die neuen Umstände angepasst werden, seine Feuerkraft verstärkt und die Obergrenzen für Ausgaben erhöht werden", sagte die Kommissionspräsidentin und schlägt vor, über drei Jahre den Rahmen des EU-Haushalts quasi zu verdoppeln, von jetzt etwa 1,1 auf 2 Prozent. Das Wiederaufbau-Programm soll dabei alle denkbaren Ziele erfüllen: Die Investitionen erhöhen, die grüne Wirtschaft fördern, die strategische Autonomie in der EU stärken, aber vor allem die ökonomische Angleichung der Mitgliedsstaaten, die sogenannte Kohäsion stärken. Und auf der Basis des gestärkten Budgets würde die Kommission dann Geld aufnehmen, um die notwendige Billion Euro plus - die Summen sind noch offen - zur Verfügung zu stellen.

Das Wort "Solidarität" ließ der Gipfel in der Schublade verschwinden, zu viel Polemik war damit verbunden und zu auslegbar ist, was jeder darunter verstehen will. Der Fortschritt liegt darin, dass die sparsamen Nordländer akzeptiert haben, dass sie Geld aufbringen müssen, um dem klagenden Süden unter die Arme zu greifen. Die "Wir geben nichts"-Haltung der Niederlande, der Österreicher und anderer scheint überwunden. Auch Angela Merkel hatte im Bundestag bereits angekündigt, dass Deutschland bereit sei, vorübergehend mehr in den EU-Haushalt einzuzahlen.

Hier liegt der Teufel wirklich im Detail

Der größte Streitpunkt ist dabei, ob die Zahlungen an die notleidenden Mitgliedsländer – Italien, Spanien, Belgien, aber auch Frankreich will dabei sein - als Zuschuss oder als Darlehen geleistet werden sollen. Nach einem spanischen Vorschlag sollten 1,5 Billionen Euro aufgenommen, als ewiges Darlehen an den EU-Haushalt geheftet und einfach an die Länder ausgezahlt werden, die es am nötigsten haben. So wird die Lösung nicht aussehen - so viel ist klar. "Die Spanier hatten schon immer viel Fantasie", hieß es aus Diplomatenkreisen.

Viel Fantasie: Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez wünscht sich ein ewiges EU-DarlehenBild: Reuters/File/S. Perez

"Es gibt Meinungsunterschiede über Zuschüsse und Darlehen", erklärte von der Leyen, aber man brauche eine gute Mischung von beidem. Es gebe Für und Wider für beide Ansätze, auch was die Laufzeit von Darlehen angehe - all das müsse ausgefüllt werden. Sie will umgehend mit den Hauptstädten darüber reden, wo hier Einigung möglich ist.

Und Ratspräsident Charles Michel war nachgerade erleichtert, dass es dieses Mal nicht wieder zum großen virtuellen Hauen und Stechen zwischen den Regierungschefs kam. "Es war eine rationale Debatte, es gibt den politischen Willen in den nächsten Wochen Entscheidungen zu treffen", sagte er.

Lösung mit großem Interpretationsspielraum

Bundeskanzlerin Merkel bewertete den Fortschritt hinterher nüchtern: Bevor man sich auf eine Summe einige, müsse man doch erst mal feststellen, wofür das Geld überhaupt gebraucht werde. "Wie kommt man darauf, dass man eine bestimmte Größenordnung eines Konjunkturprogramms braucht?" Die Kommission solle erst einmal einschätzen, welche Bereiche überhaupt von der Krise betroffen würden. Das könne man beim Tourismus oder der Autoindustrie derzeit noch schwer einschätzen.

Die Skepsis bei Bundeskanzlerin Angela Merkel bleibt auch nach der Einigung bestehenBild: Getty Images/AFP/M. Kappeler

Merkel scheint Bedenken gegenüber dem Entstehen eines Ausgabenrauschs zu haben. "Mich würde freuen, wenn man die Größenordnung nicht nur sagt, sondern auch unterfüttern kann, warum das so ist", sagte die Bundeskanzlerin. Der französische Industriekommissar Thierry Breton hatte etwa 1,6 und Spanien 1,5 Billionen Euro verlangt. Außerdem will Merkel, dass das Geld in Zukunftsbereiche investiert wird. Es soll also nicht in den Staatshaushalten der Länder verschwinden oder sterbende Industrien stützen.

Auch Österreichs Kanzler Sebastian Kurz will erst wissen, wofür das Geld gebraucht wird und beharrt gleichzeitig darauf, dass es zurückgezahlt werden muss. Er ist zwar inzwischen auch bereit zu helfen, aber für die Regierung in Wien kommen weder ein ewiger Schuldenfonds noch eine Schuldenvergemeinschaftung infrage.

Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte verkauft den Wiederaufbau-Fonds als seinen SiegBild: picture-alliance/NurPhoto/M. Ujetto

Völlig anders klingt das, wenn man dem italienischen Ministerpräsidenten Conte zuhört: "Wir haben akzeptiert, ein neuartiges Instrument einzuführen, den Wiederaufbaufonds, einen gemeinsamen Fonds der aus europäischen Sicherheiten finanziert wird, um die meist-geschädigten Länder (von der Corona-Pandemie; Anm. d. Red.) wie Italien, aber nicht nur Italien, zu finanzieren." Zu Hause in Italien verkauft er das als Sieg und als just die "Corona-Bonds", die er seit Wochen unter wilden Drohungen verlangt, und die die Nordländer weiter ablehnen.

Streit geht jetzt um Zuschüsse oder Darlehen

Macron wiederum malt die Zukunft Europas weiter düster, wenn nicht bald das Geld ohne Bedingungen und ohne Rückzahlungspflicht fließen werde. Der Streit gehe jetzt um Zuschüsse oder Darlehen - aber es müssten unbedingt direkte Subventionen sein. Sie würden nämlich nicht auf die sowieso hohen Staatsschulden in Italien, Spanien oder Frankreich angerechnet. "Wenn wir diese Regionen fallen lassen, diesen Teil Europas, dann wird ganz Europa mit ihnen fallen", mahnte der französische Präsident. Er scheint derzeit in depressiver Stimmung. Aber da geht es anderen Regierungschefs nicht viel besser. Sie reden nur nicht so viel darüber.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordert direkte Subventionen - statt Darlehen oder ZuschüsseBild: picture-alliance/AP Photo/I. Langsdon

Jetzt sollen zunächst die Finanzminister versuchen, sich in den strittigen Fragen anzunähern. Dann soll es später einen weiteren Gipfel geben - vielleicht im Frühsommer sogar ein reales Treffen zu 27 an einem Tisch – um erste Entscheidungen zu treffen. Zur Verfügung stehen würden die Multi-Milliarden aus dem Wiederaufbaufonds dann frühestens ab 2021, wenn der nächste EU-Haushalt beginnt und man auch weiß, wie viel Geld wofür gebraucht wird. Bis dahin gibt es zur Überbrückung zunächst die halbe Billion Euro, die jetzt formal beschlossen wurde, und die Geld aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und von der Europäischen Investitionsbank (EIB) zur Verfügung stellt.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen