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EU: Erdrückt Regulierung künstliche Intelligenz?

Arthur Sullivan
7. Oktober 2024

Tech-Giganten aus den USA gehen mit ihren neuesten Modellen für künstliche Intelligenz (KI) nicht auf den europäischen Markt. Grund sind die umfangreichen Regulierungen der EU. Schadet sich Europa damit selbst?

Illustration | EU USA
Aufgrund der vielen Regulierungen bringen Tech-Giganten wie Appel oder Meta ihre neuesten KI-Anwendungen nicht auf den europäischen Markt Bild: DW

Oleg Stavitsky nimmt kein Blatt vor den Mund beim Thema, wie sich künstliche Intelligenz (KI) in Europa entwickeln wird. "Letztendlich wird die EU noch weiter zurückfallen", sagt der CEO der KI-gesteuerten Musik-App Endel gegenüber DW. "EU-Regulierungen werden die lokale Entwicklung abwürgen und 'Big Tech' wird schließlich seinen Weg in die EU finden." Überhaupt werde Innovation in der EU durch Vorschriften und Bürokratie behindert. "So einfach ist das."

Derzeit schrecken die EU-Regeln die amerikanischen "Big Tech" ab. So haben Tech-Giganten wie Apple und Meta angekündigt, einige ihrer fortschrittlichsten KI-Modelle nicht auf den europäischen Markt zu bringen. Apple verkündete im Juni, die Freigabe von drei neuen KI-gesteuerten Funktionen in der EU zu verschieben, da man sich nicht sicher sei, wie sich das EU-Gesetz über digitale Märkte (DMA) auswirken könnte. Etwa zur gleichen Zeit gab Meta bekannt, sein weiterentwickeltes KI-Modell Llama nicht in der EU auf den Markt zu bringen, und begründete dies mit der "unvorhersehbaren Natur des europäischen regulatorischen Umfelds".

Führende US-amerikanische KI-Entwickler nehmen die Regulierungen der EU nicht zum ersten Mal kritisch auf. Vergangenes Jahr sagte beispielsweise Sam Altman, CEO von OpenAI, über das damals geplante KI-Gesetz der Europäischen Kommission: "Wir werden versuchen, es zu erfüllen. Aber wenn wir es nicht schaffen, werden wir unsere Tätigkeit einstellen."

Ein "Tsunami von Rechtsvorschriften"

In den vergangenen Jahren hat die EU eine ganze Reihe von Gesetzen zur Regulierung der digitalen Wirtschaft in den Mitgliedstaaten eingeführt. Die General Data Protection Regulation (GDPR) trat 2018 in Kraft, der Digital Markets Act 2022 und der Data Act 2023. In diesem Jahr treten zwei weitere wichtige Gesetze in Kraft: der Artificial Intelligence Act und der Cyber Resilience Act.

Viele im europäischen Technologiesektor sind der Meinung, dass die immer strengeren Vorschriften, die alles vom Wettbewerb bis zu den Daten betreffen, die Entwicklung der digitalen Startups auf dem Kontinent behindern. "Das größte Problem ist, dass die kleineren Unternehmen mit einem Tsunami von Überregulierung konfrontiert werden", sagte Cecilia Bonefeld-Dahl, Generaldirektorin von DigitalEurope, einem Netzwerk, das über 45.000 Firmen im Technologiesektor des Kontinents vertritt.

Die steigenden Kosten für die Einhaltung von Vorschriften würden viele europäische Unternehmen dazu treiben, den europäischen Markt zu verlassen. Viele EU-Einhörner - das sind Start-ups im Wert von über einer Milliarde US-Dollar (894 Millionen Euro), die sich in Privatbesitz befinden und nicht an einer Börse gelistet sind - hätten Europa den Rücken gekehrt und sich in Richtung USA orientiert. "Diese agilen, sehr wertvollen Unternehmen haben wegen der Kosten, die die Einhaltung der Vorschriften mit sich bringt, Europa verlassen", sagte sie der DW.

EU-Kommissarin Margrethe Vestager hat eine ganze Reihe von Rechtsvorschriften überwachtBild: Yves Herman/REUTERS

US-Unternehmen haben Standortvorteile

Asparuh Koev, der CEO des bulgarischen Logistikunternehmens Transmetrics, kennt die Vorteile der USA. Das Unternehmen nutzt KI-Modelle, um die Transportplanung für Unternehmen zu optimieren. Mit 45 Mitarbeitern erwirtschaftet das Unternehmen einen Umsatz von rund zwei Millionen Euro (2,24 Millionen Dollar) pro Jahr.

"Anfangs erhielt ich ständig den Ratschlag, in die USA zu gehen, um wirklich erfolgreich zu werden", erzählt Koev, der 2013 bei der Gründung des Unternehmens half. Er habe entschieden, dass Transmetrics in Bulgarien bleibe, aber er sorge sich, dass Europa im Bereich der künstlichen Intelligenz immer mehr Boden an die USA und China verliere, sagt Keov der DW. "Wenn wir keinen Zugang zu den neuesten Modellen haben und uns mit den Modellen der älteren Generation behelfen müssen, könnten die amerikanischen Unternehmen letztendlich besser aufgestellt sein, unseren Markt zu bedienen."

Eine Sorge, die viele teilen. "Start-ups sollen in Europa wachsen und zu größeren Unternehmen werden, die mit einigen der großen Technologieunternehmen in den USA konkurrieren können. Das wird nicht möglich sein, wenn wir immer neue Vorschriften erlassen", sagt Alexandru Voica, Leiter für Unternehmensangelegenheiten und Politik bei Synthesia, einer KI-Videoplattform mit rund 400 Mitarbeitern, gegenüber DW.

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"Entwicklungen hinterherzuhinken und auf neueste Technologien zu warten, ist normalerweise ein großes Minus für eine Gesellschaft", sagt DigitalEurope-Direktorin Bonefeld-Dahl. Sie hofft, dass die EU und die USA bei der Regulierung von KI zusammenarbeiten, um gemeinsame Risikodefinitionen zu ermitteln und ihre Regeln zu harmonisieren. "Es ist wichtig, zwischen demokratischen, gleichgesinnten Nationen einen Dialog zu haben, um die wirklich hohen Risiken zu identifizieren und nicht mehr zu viel zu regulieren."

Jarek Kutylowski ist Gründer und CEO des deutschen Übersetzungsunternehmens DeepL. Er meint, es könne für KI-Firmen auch vorteilhaft sein, stärker reguliert zu sein als ihre US-Konkurrenten, aber es sei nicht klar, ob dies ausreiche. "Es bleibt abzuwarten, wie sich dies auf unsere Fähigkeit auswirkt, zu forschen, zu innovieren und neue Produkte auf den Markt zu bringen", sagte er der DW.

Ein weiteres Problem: die Finanzierungslücke

Einige glauben, europäische Start-ups könnten in die Bresche springen, wenn US-Firmen ihre neuesten KI-Modelle nicht in der EU einführten. Andere zweifeln daran. "Ich halte das für Wunschdenken", sagt Voica. "Ich habe früher für Meta gearbeitet. Meta, Google, Microsoft - diese Unternehmen haben große Compliance-Teams und große Rechtsabteilungen. Wenn die mit den EU-Regeln nicht klarkommen, wie soll das dann ein Unternehmen wie unseres oder ein kleineres schaffen?"

Außerdem fehlten in Europa Finanzierungsmöglichkeiten wie es sie in den USA gibt. Das mache ein solches Szenario noch unwahrscheinlicher, glauben Stavitsky und Koev. "Mehr in der EU ansässige Unternehmen werden in die USA gehen, dort Kapital aufnehmen und Produkte für einen viel offeneren und freieren Markt entwickeln", sagt Stavitsky.

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Spediteur Koev weist darauf hin, dass keines der weltweit führenden Risikokapitalunternehmen oder KI-Unternehmen aus Europa stamme. "In Europa sind wir sehr gut darin, Innovationen zu übernehmen, sobald sie sich ernsthaft bewährt haben, aber wir sind keine Early Adopters", meint er.

Einige werten Mario Draghis Bericht über die europäische Wettbewerbsfähigkeit als mögliches Zeichen dafür, dass Europa bei KI und anderen wichtigen Technologien endlich die Kurve kriegt. Der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank und Italiens Ex-Ministerpräsident forderte in seinem Bericht eine neue Industriestrategie für Europa und drängte die EU, die Investitionen um 800 Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen, um gegen die USA und China konkurrieren zu können.

"Es war schön zu sehen, wie Draghi das Problem erkannt hat: Wenn wir das Spiel um Sicherheit, Innovation und Wohlstand in Europa gewinnen wollen, können wir uns nicht einfach zurücklehnen und sagen 'oh, alles ist gefährlich' - und dann den Unternehmen Millionen von Millionen von Compliance-Kosten aufbürden", so Bonefeld-Dahl. "Ein Unternehmen in Europa hat heute höhere Kosten, um die Einhaltung von Vorschriften zu gewährleisten, als für Forschung und Entwicklung. Und das ist völlig, völlig falsch."

Der Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.

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