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EU-Perspektive Westbalkans

Srecko Matic9. September 2016

Am Sonntag wählt Kroatien ein neues Parlament. Der Wahlkampf wurde überschattet von neuen Spannungen auf dem westlichen Balkan. Florian Bieber von der Universität Graz analysiert die EU-Strategie in der Region.

Flaggen vor dem Europäischen Parlament (Foto: Bernd Riegert, DW)
Bild: DW/B. Riegert

DW: Herr Bieber, der Wahlkampf wird durch eine sehr starke Polarisierung zwischen dem rechten und dem linken Block geprägt. Es werden alte Kämpfe ausgetragen, man redet mehr über den Zweiten Weltkrieg als über die Zukunft und die Wirtschaft.

Florian Bieber: Es ist leichter über die ideologischen, vergangenheitsbezogenen Elemente zu diskutieren als über die Lösungen für die Zukunft oder für die wirtschaftlichen Probleme des Landes. Mit dieser Rhetorik kann man sehr leicht seine Stammwähler mobilisieren. Die Wähler interessieren sich aber eher für die pragmatischen Parteien. Der Großteil der Bevölkerung sucht nach Lösungen. Die Parteien bieten in erster Linie Munition gegeneinander auf der ideologischen Ebene. Die Parteien haben das nicht ganz begriffen und tun sich schwer, Konzepte zu entwickeln.

Warum?

Das passiert einfach aus der Faulheit heraus und der fehlenden Bereitschaft, sich mit den schwierigen Fragen zu beschäftigen.

Der Wahlkampf wurde überschattet von neuen Spannungen zwischen Kroatien und Serbien. Zagreb hat eine Zeit lang die serbischen EU-Beitrittsverhandlungen blockiert. Die EU hat sich die regionale Zusammenarbeit aber ganz anders vorgestellt vor drei Jahren, als Kroatien EU-Mitglied wurde. War das naiv?

Wir sehen aus allen vorangegangenen Erweiterungen, dass zwischen denen, die drin sind, und denen die nicht drin sind, eine Kluft entsteht. Die Mitgliedsländer nutzen ihre Mitgliedschaft auch als Druckmittel, um bilaterale Fragen zu lösen. Das haben wir gesehen bei Slowenien gegenüber Kroatien oder Italien gegenüber Slowenien. Das hat Kroatien nicht erfunden, das wurde schon vorher benutzt. Der EU-Beitritt ist auf der anderen Seite aufgrund der jetzigen Krisen insgesamt etwas weniger attraktiv geworden. Dadurch hat auch in den letzten Jahren die konfliktbeladene, unversöhnliche Rhetorik mehr Auftrieb bekommen und damit diese Spannungen anheizt.

Der Westbalkan ist irgendwie wieder im Aufruhr. Ein Krisenherd reiht sich an den anderen. Die EU hat in den letzten Jahren die Region doch ein wenig vernachlässigt. Warum tut die EU nicht mehr, um Stabilität und Fortschritt zu gewährleisten?

Welchen Druck kann die EU ausüben, wenn die EU-Perspektive nicht so aktuell ist? Das sehen wir derzeit im Falle Mazedoniens. Wir wissen, dass der baldige EU-Beitritt der Länder Westbalkans schwer vorstellbar ist. Der Appetit auf die Erweiterung ist in der EU sehr schwach ausgeprägt. Man kann also nicht sagen: Wenn ihr dies und das nicht macht, dann kommt der Beitritt nicht in zwei Jahren. Alle wissen sowieso, dass das in der näheren Zukunft nicht kommen wird. Damit ist dieses Druckmittel sehr stark eingeschränkt.

Florian Bieber, Professor an der Karl-Franzes Universität GrazBild: DW/S. Padori-Klenke

Die EU-Außenbeauftragte Mogherini sagte vor wenigen Tagen, der westliche Balkan habe "unvorstellbaren Fortschritt in Richtung EU" gemacht. Die EU will, wenn wir diese Rhetorik richtig verstehen, unbedingt dass dieser Prozess weiter geht. Es passiert aber wenig.

Die Vertreter der EU-Institutionen wissen sehr wohl, dass es innerhalb der Mitgliedsstaaten sehr starke Stimmen gibt, die sagen wollen, dass man den gesamten Erweiterungsprozess begraben sollte. Deswegen auch diese Rhetorik. Der Prozess geht weiter, es gibt Erfolge. Das passiert einfach aus der Angst: wenn man nämlich zu sehr die Misserfolge und die Schwierigkeiten betont, wird dieser Prozess vielleicht auf einmal endgültig begraben. Mit möglicherweise noch schlechteren Konsequenzen.

Ist das nicht ein bisschen heuchlerisch?

Nicht unbedingt. Dahinter steckt auch ein gewisser Pragmatismus. Besser so, als gar kein Prozess. Was dann vielleicht zu einer Verschlechterung der Lage auf dem westlichen Balkan führen könnte.

Wie strategisch wichtig ist der westliche Balkan überhaupt für die EU?

Leider wird das derzeit eher aus der sicherheitspolitischen Perspektive betrachtet. Aus der Perspektive der Flüchtlingskrise, aus der Perspektive der Stabilität und weniger aus der Perspektive der Integration. Es gibt nicht mehr diesen Enthusiasmus zu sagen, die Erweiterung auf dem westlichen Balkan ist ein strategisches Ziel. Die Region ist irgendwie ein Überbleibsel, das nicht richtig gelöst wurde und wo man nicht bereit ist, wirklich den Schritt zu machen und es von der Agenda runter zu bringen. Der westliche Balkan wird, glaube ich, in voraussehbarer Zukunft aus der EU-Perspektive eher ein vernachlässigter Aspekt bleiben.

Florian Bieber ist Professor für Südosteuropa und Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien an der Karl-Franzens-Universität Graz. Er hat fünf Jahre für das Europäische Zentrum für Minderheitenfragen in Sarajevo und Belgrad gearbeitet. Sein Forschungsschwerpunkt sind die Zeitgeschichte und die politischen Systeme Südosteuropas, sowie Demokratisierung und ethnische Konflikte.

Das Interview führte Srecko Matic