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Politik

May geht, die EU lebt

10. März 2017

Mit dem Ausstieg Großbritanniens hat sich die EU inzwischen abgefunden. Aber wie soll es danach weitergehen? Beim Gipfel prallten die Vorstellungen aufeinander. Christoph Hasselbach berichtet aus Brüssel.

Großbritannien Theresa May beim EU Gipfel in Brüssel
Premierministerin Theresa May auf dem Weg zum AusgangBild: picture-alliance/AP Photo/G. Vanden Wijngaert

Für Theresa May war es der letzte Gipfel, bevor sie offiziell die Scheidung einreicht. Wenn sich das britische Oberhaus nicht noch quergestellt hätte, hätte May den Brief vielleicht schon hier in Brüssel abgeben können; aber auch so soll der berühmte Artikel 50 der EU-Verträge bis Ende des Monats aktiviert werden. Dann beginnen die Brexit-Verhandlungen. 

May reiste am Donnerstagabend ab, mit den Zukunftsplanungen der EU hat sie nichts mehr zu tun. Manche Gipfelteilnehmer hatten sich nach dem Streit mit der polnischen Regierung um die Wiederwahl von EU-Ratspräsident Donald Tusk schon auf einen weiteren Abschied eingestellt. Doch Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo ist zwar stocksauer – aber sie blieb bis zum Ende.

Umgekehrt regen sich andere über die Polen auf. Der luxemburgische Ministerpräsident Xavier Bettel etwa findet Szydlos Benehmen kindisch, er glaubt aber, dass sie schon wieder "zur Vernunft kommt". Auch andere hoffen, dass die Polen wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren.

Rückbau Europas kein Tabu mehr

Von Einigkeit kann jedenfalls in Brüssel im Moment keine Rede sein. Dabei hätte die EU diese im Moment bitter nötig. Schließlich geht es um die Frage, wie es nach dem Brexit mit den verbleibenden 27 Mitgliedern weitergehen soll. 

Darüber haben sich die Staats- und Regierungschefs am Freitag Gedanken gemacht. Sie bereiten sich bereits auf einen Sondergipfel Ende des Monats in Rom vor. Dort soll nicht nur über die Zukunft der EU beraten werden, sondern auch feierlich an den 60. Jahrestag der Römischen Verträge erinnert werden, also an die Gründung dessen, was später die Europäische Union wurde.

Früher waren Gedanken über eine Umkehrung der europäischen Integration tabu – heute wird diese Möglichkeit offen diskutiert. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte bereits vor dem Gipfel als Anregung fünf mögliche Wege aufgezeigt: 1. weitermachen wie bisher, 2. mehr Europa (für alle), 3. weniger Europa (für alle), 4. ein reiner Binnenmarkt oder 5. ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, in dem verschiedene Mitglieder in bestimmten Bereichen enger zusammenarbeiten.

Merkel: Brexit ist ein Weckruf für unsBild: Reuters/E. Vidal

Deutschland und Frankreich befürworten die letzte Möglichkeit. Einige der Osteuropäer – auch gerade die Polen – lehnen diesen Weg aber ab, weil sie befürchten, abgehängt und Mitglieder zweiter Klasse zu werden. Merkel versuchte nach dem Gipfel, diesen Eindruck zu zerstreuen. Vor Journalisten sagte sie, es gehe um "gemeinsame Projekte", die jedem Mitgliedsstaat offenstünden. Es sei wie in einer Familie: "Jedes Familienmitglied hat Zugang zu dem Projekt, aber nicht jedes macht Gebrauch davon."

Auch Juncker wollte der "Scheindebatte" vorgreifen; es gehe keinesfalls darum, einen neuen "eisernen Vorhang zwischen Ost und West" herunterzulassen. Immerhin gebe es auch heute schon Bereiche wie den Euro und den Schengenraum, bei denen nicht alle mitmachten.

Neue Krisen, neue Projekte

Dennoch räumt Merkel zur Debatte über die Zukunft der EU ein: "Der Ausgangspunkt ist negativ." Der anstehende Ausstieg Großbritanniens sei ein "Weckruf zu fragen: wie effizient sind wir?" Dabei gehe es nicht nur um Worte, sondern Taten. Doch wie in der Eurokrise, so Merkel, entstünden Projekte und damit auch Integrationsschritte "aus der Notwendigkeit heraus".

Als Beispiel für ein künftiges Projekt sieht sie eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Angesichts einer wachsenden russischen Bedrohung und einer USA, die sich mehr und mehr als Sicherheitsanker zurückzieht, sieht Merkel in einer engen europäischen Sicherheitszusammenarbeit eine Aufgabe, die sich praktisch von selbst aufdrängt.

Geert Wilders will den niederländischen Stern aus Europa herausschneidenBild: picture alliance/ANP/M. Beekman

Nicht nur die Vorstellungen über die Zukunft Europas gehen weit auseinander. Hinzu kommt die unübersichtliche politische Lage in den Mitgliedsstaaten. Im Moment weiß niemand, was in einem halben Jahr, geschweige denn, was in zehn Jahren sein wird.

Wie viel Einfluss haben die EU-Gegner?

In einer Woche wird in den Niederlanden ein neues Parlament gewählt, wenige Wochen später ein neuer Präsident in Frankreich; in beiden Ländern treten mit Geert Wilders und Marine Le Pen Leute an, die beide aus der EU aussteigen wollen.

Zwar glaubt kaum jemand, dass das passieren wird. Doch auch beim Brexit-Referendum und bei Donald Trump hatte die Mehrheit der Umfragen falsch gelegen. Und auch ohne solche Wahlsiege ist der Zeitgeist im Moment nicht auf seiten der Europafreunde.

Doch nichts währt ewig, auch nicht die vorherrschende Europaskepsis. Das glaubt jedenfalls Jean-Claude Juncker und äußerte einen kühnen Gedanken, der weit in die Zukunft weisen dürfte: "Ich hoffe, der Tag wird kommen, wenn die Briten wieder ins Boot steigen", gab er zum Besten, bevor er ins Wochenende entschwand.

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