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EU-Finanzen: Investieren trotz hoher Schulden?

30. Mai 2024

Klimawandel, Rüstung, Digitalisierung - die Länder der Europäischen Union stehen vor gewaltigen Investitionen. Doch ihre Kassen sind leer, die Schulden hoch. Wo soll das Geld herkommen?

Statue der Europa mit Euro-Symbol vor dem Europäischen Parlament
Die EU braucht Geld für Rüstung, Umweltmaßnahmen und Digitalisierung - doch woher nehmen?Bild: Uwe Kazmaier/imageBROKER/picture alliance

Der "Green New Deal", also das Ziel, die Europäische Union mit ihren 27 Mitgliedsländern bis 2050 klimaneutral zu machen, ist das größte Projekt der noch amtierenden EU-Kommission unter Ursula von der Leyen. Dafür sind jährlich bis zu einer Billionen Euro (1000 Milliarden Euro) an Investitionen nötig.

Schon in guten Zeiten ist das eine gewaltige Aufgabe. Doch die Zeiten sind nicht gut. Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat den Europäern gezeigt, dass sie mehr für ihre Sicherheit ausgeben müssen, hinzu kommen Engpässe bei der Energieversorgung, Inflation, Fachkräftemangel und eine schwache Konjunktur.

Wie sollen sie all das finanzieren? Viele EU-Länder haben Haushaltsdefizite und zu hohe Staatsschulden (siehe interaktive Grafiken).

Für die 20 Mitglieder der Eurozone mit der Gemeinschaftswährung Euro ist der Spielraum für weitere Ausgaben sogar noch enger. Für sie gelten klare Regeln: Die Schulden dürfen maximal 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftskraft (Bruttoinlandsprodukt BIP) ausmachen, für das Defizit im Regierungshaushalt gilt eine Obergrenze von 3 Prozent.

Stabilitätsregeln - reformiert, aber weiter gültig

Während der Corona-Pandemie wurden diese Grenzwerte ausgesetzt, inzwischen gelten sie aber wieder. Länder, die sie verfehlen, riskieren Strafen.

Daran hat auch die Reform aus dem Februar 2024 nichts geändert. Neu ist seitdem, dass die Regeln nun mehr Flexibilität erlauben. Jedes Land kann mit der EU aushandeln, wann und wie es seine Finanzen wieder in Ordnung bringt.

Nach monatelangen Verhandlungen war die Reform der Stabilitätsregeln ein typisch europäischer, aber dennoch guter Kompromiss, sagt Griechenlands Wirtschafts- und Finanzminister Kostis Hatzidakis. Er lässt aber eine Warnung folgen.

"Es sind die Finanzmärkte, die Länder zur finanziellen Vernunft zwingen. Wer das ignoriert, der muss es dann so lernen wie wir Griechen im vergangenen Jahrzehnt", so Hatzidakis auf dem Brussels Economic Forum im Mai.

Griechenland war ab 2010 so überschuldet, dass es sich an den Finanzmärkten kein Geld mehr leihen konnte, die Folgen waren Hilfspakete mit strengen Sparauflagen und ein Verlust von Souveränität.

Klimaschutz vs. Schuldenregeln?

Doch nicht alle sind der Meinung, dass fiskalische Vorsicht im Moment eine große Rolle spielen sollte.

Tea Jarc vom Europäischen Gewerkschaftsbund argumentiert, dass Ausgaben für den Kampf gegen den Klimawandel eben keine verantwortungslosen Konsumausgaben sind, sondern lebenswichtige Investitionen.

"Wenn wir nicht zu den nötigen Investitionen bereit sind, sondern Sparauflagen verhängen, dann hat der Green New Deal offenbar keine Priorität", so Jarc in Brüssel.

Ähnliche Debatten werden in jedem Mitgliedsland der EU auch über andere Themen geführt, von nötigen Militärausgaben über den Umbau der Gesundheits- und Rentensysteme bis zur Digitalisierung der Wirtschaft. Was also tun?

Kein einheitlicher EU-Kapitalmarkt

Eine Möglichkeit, die öffentliche Hand zu entlasten, sind mehr Investitionen der Privatwirtschaft. Doch auch hier merken die Europäer, dass sie den Anschluss verloren haben.

Wenn es um Bevölkerung (450 Millionen) und Wirtschaftsleistung (17 Billionen Euro im Jahr) geht, ist die EU ein Gigant. Geht es aber um die Mobilisierung privaten Kapitals, ist sie ein Zwerg.

"Es ist wirklich eine Schande, dass wir in Europa noch immer keinen voll entwickelten gemeinsamen Kapitalmarkt haben", klagt die polnische Ökonomin und EU-Parlamentarierin Danuta Hübner.

"Der US-Kapitalmarkt ist doppelt so groß. Unserer ist zersplittert und es fehlt an Liquidität." Hauptgrund dafür sei, dass jedes EU-Land seine eigenen Regeln aufstelle, vom Sparen bis zur Besteuerung.

EU-Kommissar Paolo Gentiloni bei einem Treffen europäischer Finanzminister in StockholmBild: TT News Agency/Caisa Rasmussenvia REUTERS

"Bei öffentlichen Diskussionsrunden findet man nicht einen europäischen Politiker, der gegen einen einheitlichen Europäischen Kapitalmarkt wäre", weiß EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni aus eigener Erfahrung.

"Aber wenn dann die nationalen Finanzminister zusammenkommen, sind schon kleinste Schritte in diese Richtung ungeheuer schwierig. Denn jedes Land will an seinen Traditionen und Regeln festhalten, an seiner eigenen Kapitalmarktaufsicht und den eigenen Sparwerkzeugen."

Gemeinsame Schulden?

Eine weitere Geldquelle wäre das gemeinsame Schuldenmachen der EU-Länder. Während der Corona-Pandemie wurde es erstmals erprobt, um Teile eines großen Konjunkturpakets zu finanzieren.

Nun wird das Schuldenmachen durch die EU zunehmend lautstark gefordert, auch vom Wirtschaftskommissar selbst. Nur die Bezeichnung hat sich geändert: die Rede ist nicht mehr von Eurobonds, sondern von "gemeinsamen Werkzeugen für gemeinsame Ziele".

"Noch vor fünf Jahren hätte man darüber nicht einmal diskutieren können, es galt in der EU als verrückte Idee", sagt Gentiloni. "Jetzt ist es möglich, und es ist höchste Zeit, dass wir gemeinsame Werkzeuge für gemeinsame Investitionsziele nutzen."

Solche Forderungen stoßen allerdings in einigen EU-Ländern, darunter Deutschland, den Niederlanden oder Finnland, auf starke Ablehnung. Sie fürchten, dass ihre Bonität leiden könnte, wenn sie sich mit der Gemeinschaft verschulden.

Vermögenssteuer auf EU-Ebene

Julia Cagé, Wirtschaftsprofessorin an der renommierten Hochschule Science Po in Paris, rät deshalb, bei der Suche nach Finanzquellen jene nicht zu vergessen, die mehr als genug Geld haben: die Reichen und Superreichen in Europa.

Julia Cagé, Wirtschaftsprofessorin an der Science Po Paris, fordert eine europäische VermögenssteuerBild: BERTRAND GUAY/AFP

Ihr Vorschlag: eine Steuer auf große Vermögen, die direkt von der EU erhoben wird. Das würde es den Reichen schwer machen, sich dieser Steuer zu entziehen. "Wir müssen es auf der europäischen Ebene machen, weil es nicht viele geben wird, die deswegen wirklich die EU verlassen wollen", so Cagé im DW-Gespräch.

"Klar würden viele Reiche diese Steuer lieber nicht zahlen. Aber wenn das den Verlust ihrer EU-Staatsangehörigkeit bedeuten würde, sähe es bestimmt anders aus", so die Ökonomin weiter. Es brauche also Sanktionen, Kontrollen und eine funktionierende Finanzverwaltung. "Wir sollten hier wirklich ernst machen."

Progressive CO2-Steuer

Auch an den Kosten im Kampf gegen den Klimawandel sollten reiche Menschen stärker als bisher beteiligt werden. "Mehrere Studien, darunter auch jene vom World Inequality Lab, haben gezeigt, dass Reiche die Umwelt viel stärker belasten als Arme", so Cagé. Mehr und größere Autos und Häuser, Yachten und Flugzeuge, all das führe zu einem wesentlich größeren CO2-Ausstoß.

Hafen von Monaco: Wer solche Yachten hat, verursacht mehr CO2 als der DurchschnittBild: Mandoga Media/picture alliance

Durch eine Umweltsteuer, die mit steigendem CO2-Fußabdruck zunimmt, könnten Reiche angemessener an der Finanzierung der Energiewende beteiligt werden - analog zur progressiven Einkommensteuer, bei der die Steuersätze mit dem Einkommen steigen, so Cagé.

Es wäre ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit bei den Klimakosten. Und es wäre ein Signal an die weniger Privilegierten, dass der Kampf gegen den Klimawandel kein Projekt urbaner Eliten sei, so die Professorin. Als solches werde es nämlich oft wahrgenommen, sagt sie. Die Folge: Zulauf für Populisten, oft von rechts.

Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.