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EU-Finanzminister versuchen Quadratur des Kreises

9. September 2022

Die Inflation drastisch zu senken, ist das Ziel. Doch welcher Weg ist richtig? Mehr oder weniger Schulden? Mehr oder weniger Beihilfen des Staates? Die Finanzminister beraten in Prag. Bernd Riegert berichtet.

Treffen der EU-Wirtschafts- und Finanzminister in Prag | Bruno Le Maire und Christian Lindner
Arm in Arm aus der Wirtschaftskrise: Finanzminister Lindner (li.) und Le Maire in PragBild: Michal Cizek/AFP

Untergehakt betraten der französische und der deutsche Finanzminister das Kongresszentrum in Prag, in dem sich an diesem Freitag die EU-Minister treffen. "Das ist ein Symbol dafür, dass wir Schulter an Schulter stehen, nicht nur hier, sondern auch in unserer Politik", sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) lächelnd auf dem roten Teppich am Eingang. Bruno Le Maire, sein französischer Kollege, säuselte ähnliche Nettigkeiten und sagte dann auf Deutsch: "Die Bekämpfung der Inflation ist das Wichtigste für alle Mitgliedsstaaten." Das bejahte auch Christian Lindner uneingeschränkt.

Damit geben die beiden größten EU-Staaten Deutschland und Frankreich den finanzpolitischen Kurs vor, den die übrigen 25 Mitgliedsländer in der größten wirtschaftlichen Krise seit dem Zweiten Weltkrieg einschlagen sollten. Die Europäische Zentralbank habe mit ihrer Leitzinserhöhung am Donnerstag das ihre getan, meinte Finanzminister Lindner, jetzt seien die EU-Minister mit einer soliden Fiskalpolitik am Zuge. Lindner meint damit, den Abbau von Schulden in den Haushalten der Mitgliedsländer, die Förderung von Investitionen und gleichzeitig "fiskalische Neutralität", wie er das nennt. Der Staat solle das Wirtschaftswachstum und damit die Inflation nicht mit eigener Nachfrage anheizen.

Wie das genau funktionieren soll, wenn viele Staaten, auch Deutschland, finanzielle Hilfspakete zur Abmilderung der Preissteigerungen schnüren und damit neue Kosten schultern müssen, ist dem italienischen EU-Kommissar für Wirtschaft, Paolo Gentiloni, nicht ganz klar. Die Hilfspakete müssten "gezielt" verteilt werden und dürften nicht als Gießkanne für allgemeine Kaufkraft missverstanden werden, so Gentiloni.

EU soll Energieunternehmen retten

Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, gelobte, sie wolle mit ganzer Kraft und höheren Zinsen gegen die externen Schocks ankämpfen, jetzt seien aber die Finanzminister an der Reihe. Es brauche eine ausgewogene Fiskalpolitik, zum Bespiel bei den angedachten Finanzhilfen für Energieversorgungsunternehmen, die kein Geld mehr haben, um Energie für die nächsten Monate auf den Märkten einzukaufen.

"Es ist wichtig, dass diese Maßnahmen aus staatlichen Haushalten erfolgen, um Liquidität für die Marktteilnehmer zu gewährleisten, speziell die Versorger. Diese Maßnahmen sollten darauf zielen, systemrelevante Firmen zu retten und finanzielle Stabilität zu gewährleisten", sagte Lagarde.

Die EU-Kommission hatte ähnliches vorgeschlagen, um einen Zusammenbruch des Elektrizitätsmarktes in der EU im Winter abzuwenden. Klammen Energieversorgern sollen Kredite oder Staatsbeteiligungen gewährt werden. "Idealerweise sollten die EU-Mitgliedsstaaten das dann auch gemeinsam auf EU-Ebene unternehmen", mahnte Lagarde.

Lagarde: Ideal wäre ein gemeinsames VorgehenBild: Michael Probst/AP/picture alliance

Große Unsicherheiten

Paolo Gentiloni warnte vor einem "Herbst der nie dagewesenen Unsicherheiten". Die Inflation in der EU werde weiter steigen, eine Rezession, also ein Schrumpfen der Wirtschaft drohe und niemand wisse, wie sich der Krieg Russlands gegen die Ukraine weiter auf Energiepreise und Lieferketten auswirken werde. "Mehrere Schocks, die zu den bereits hohen Schuldenständen hinzukommen, erfordern eine entschlossen Reaktion", schreibt nicht irgendein Analyst, sondern der Internationale Währungsfonds (IWF) in einem aktuellen Bericht den Europäern ins Stammbuch.

Das Leben wird teurer

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Zu höheren Staatsausgaben und höheren Schulden haben die EU-Staaten durchaus unterschiedliche Auffassungen. Die nördlichen Länder lehnen eine Aufweichung der Schuldenregeln aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt ab. Die südlichen Länder können sich eine Aufweichung der Regeln und ein weiteres Aussetzen des Paktes vorstellen.

Wegen der Corona-Krise hatte die EU die Regeln für Neuverschuldung von drei Prozent der Wirtschaftsleistung und einer Gesamtverschuldung von maximal 60 Prozent vorübergehend ruhen lassen.

Das Problem ist aus Sicht der EU-Kommission, dass die Schuldenquoten - also die Höhe der Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung - innerhalb des Euro-Währungsraum so weit auseinander liegen. Italien liegt bei einer Quote von 152 Prozent, Deutschland bei 68 Prozent, Estland nur bei  17,6 Prozent. Mit steigenden Leitzinsen und Risikoaufschlägen auf Staatsanleihen aus hoch verschuldeten Ländern steigt die Gefahr, dass diese ihre Schulden immer schlechter refinanzieren können. Wird nicht gegengesteuert, könnte am Ende wieder eine veritable Euro-Krise drohen, wie die EU sie bis 2015 mit Griechenland erlebt hatte.

Weichere Schuldenregeln?

Bei den Beratungen der EU-Finanzminister drängen Deutschland und Frankreich darauf, mittelfristige Haushaltsziele für die Mitgliedsstaaten verbindlich zu machen, um einen Pfad zum langsamen Schuldenabbau zu eröffnen. Andere Staaten wie Italien und Spanien könnten sich weitere gemeinsame Schuldenaufnahme durch die Europäische Union vorstellen, um Preisdeckel bei Gas und Strom zu finanzieren.

Die gemeinsame Schuldenaufnahme sollte eigentlich eine einmalige Ausnahme für den Wiederaufbau-Fonds von 750 Milliarden Euro nach der Corona-Krise bleiben. Doch an diesem Grundsatz wird jetzt gerüttelt - nicht nur von klammen EU-Staaten, sondern auch vom Internationalen Währungsfonds, der in seiner Euro-Analyse einen dauerhaften gemeinschaftlichen Investitionsfonds in der EU empfiehlt.

Die niederländische Finanzministerin Sigrid Kaag, deren Land noch Wirtschaftswachstum verzeichnen kann, meinte dazu, sie mache sich Sorgen um die ökonomische Kraft einiger EU-Länder. Daraus zieht sie aber nicht den Schluss, dass man gemeinsame Schulden brauche, um diese Länder zu unterstützen.

"Eine Art Kriegssteuer"

Am Ende werden die Finanzminister einsehen müssen, dass sie die Folgen der Inflation und der kommenden Rezession für die Menschen in der EU nicht werden ausgleichen können, höchstens ein wenig dämpfen.

"Am Ende zahlen sowieso die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die Rechnung für die Umverteilung an sozial Schwache und die Rettung von Unternehmen", meinte ein EU-Diplomat, der nicht genannt werden will, in Prag.

Keit Pentus Rosimannus ist Finanzministerin von Estland, wo die Inflation mittlerweile den EU-Rekordwert von 20 Prozent aufweist. Sie sagte ganz klar, Augen zu und durch: "Die Inflation ist unglücklicherweise der Preis, den wir ertragen müssen für den Krieg, den Russland angezettelt hat. Das ist eine Art Kriegssteuer, die unsere Länder jetzt zahlen." Man müsse für die Ukraine vielleicht noch einige Jahre viele Milliarden an Haushaltshilfen aufbringen.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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