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Politik

Eine tiefgekühlte Beitrittsperspektive

23. November 2016

Die Signale aus dem Europaparlament sind eindeutig: Die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei sollten auf Eis gelegt werden. Den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan scheint das nicht zu kümmern.

Recep Tayyip Erdogan
Bild: Reuters/Handout Presidential Palace/M. Cetinmuhurdar

Offiziell ist noch nichts. Bislang hat das Europaparlament noch gar nicht darüber abgestimmt, ob die Beitrittsgespräche mit der Türkei eingefroren werden sollten. Doch der türkische Präsident macht bereits klar, was er von dem Votum hält: nichts. "Ich rufe allen, die uns vor den Bildschirmen zusehen, und der ganzen Welt zu: Egal wie das Resultat ausfällt, diese Abstimmung hat für uns keinen Wert", sagte Recep Tayyip Erdogan bei einer Wirtschaftskonferenz islamischer Staaten in Istanbul.

Anlass ist, dass sich die vier maßgeblichen Fraktionen im Europaparlament auf einen Entschließungsentwurf geeinigt haben. Darin fordern sie "ein vorläufiges Einfrieren der laufenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei". Begründet wird dies mit den "unverhältnismäßigen Repressionen", die seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli von der Regierung in Ankara ergriffen worden seien.

Abstimmung am Donnerstag

Hinter dem Text stehen die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), die sozialdemokratische Fraktion, die Liberalen und die Grünen. Sie stellen zusammen 523 der 751 Abgeordneten - damit gilt eine Zustimmung im Plenum am Donnerstag als sicher. Die Entschließung nennt auch Bedingungen für eine Wiederaufnahme der Beitrittsgespräche: Dazu gehören die Aufhebung des nach dem Staatsstreich verhängten Ausnahmezustands, die Wiederherstellung des Rechtsstaats und die Einhaltung der Menschenrechte.

Europaparlamentarierin Piri: "Keine neuen Verhandlungskapitel"Bild: picture alliance/AA/M. Kamaci

Der Text unterstreicht zwar, dass die Türkei ein "wichtiger Partner der EU" ist. Zugleich machen die vier Fraktionen aber darin auch deutlich, dass es in einer Partnerschaft auf beiden Seiten den Willen zur Zusammenarbeit geben müsse. Derzeit stelle die Türkei diesen Willen nicht unter Beweis, da das Handeln der Regierung das Land weiter "vom europäischen Pfad" abbringe.

Eisiger Empfang

"Das heißt, wir hören auf, über offene Verhandlungskapitel zu sprechen, und öffnen keine neuen", sagte die Türkei-Berichterstatterin des Europaparlaments, Kati Piri über die Resolution. Piri wollte in der vergangenen Woche Regierungsvertreter in Ankara treffen. Aber sie musste ihre Reise absagen, die türkische Seite wollte mit ihr nicht reden. Ähnlich eisig war zuvor bereits Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in der Türkei empfangen worden.

Der türkische Staatschef Erdogan reagierte unbeeindruckt auf den Entschließungsentwurf und konterte mit erneuten Vorwürfen in Richtung EU: "Alleine dass das Europaparlament sich an so eine Abstimmung macht, ist Ausdruck dafür, dass es Terrororganisationen in Schutz nimmt und sich an deren Seite stellt", sagte Erdogan. Er kritisierte erneut, die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK könne in der EU ungehindert agieren. "Ohnehin laufen im Moment in vielen europäischen Ländern Terroristen frei herum. Viele europäische Länder helfen Terroristen und gewähren ihnen Unterschlupf."

Kanzlerin Merkel: "Verhaftung von Abertausenden nicht zu rechtfertigen"Bild: Reuters/F. Bensch

Entsprechende Vorwürfe hatte Erdogan zuvor besonders an Deutschland gerichtet. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wies diese Beschuldigungen zurück. Die Bundesregierung sei genauso wie jeder in Europa dem Kampf gegen Terrorismus verpflichtet. Im Bundestag kritisierte sie Erdogans Politik scharf, sprach sich aber gegen einen Abbruch der Kontakte aus.

Die Kanzlerin fügte hinzu, die Einschränkung der Pressefreiheit und die Verhaftung von Abertausenden von Menschen seien nicht zu rechtfertigen. "Insofern müssen wir das deutlich kritisieren." Zugleich werbe sie aber dafür, den Gesprächsfaden mit der Regierung in der Türkei nicht abreißen zu lassen.

Allenfalls ein Signal an die EU-Kommission

Fraglich scheint, ob die von den vier maßgeblichen Fraktionen im Europaparlament angestrebte Resolution jemals in die Tat umgesetzt wird. Die Forderung nach einem Einfrierung der Beitrittsverhandlungen ist an die EU-Kommission und die 28 EU-Staaten gerichtet. Diese sind auch bei einem Parlamentsbeschluss aber nicht verpflichtet, dem nachzukommen.

Seit dem gescheiterten Putschversuch am 15. Juli geht die Regierung unter Präsident Erdogan mit großer Härte gegen vorgebliche Gegner in allen Bereichen der Gesellschaft vor. Nach einem kürzlich veröffentlichten Bericht der EU-Kommission wurden rund 40.000 Menschen festgenommen, darunter an die 2400 Richter und Staatsanwälte, rund 150 Journalisten und zehn Abgeordnete der prokurdischen Oppositionspartei HDP. Mehr als hunderttausend Beamte und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst wurden entlassen oder suspendiert.

AR/qu (afp/dpa)

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