1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Gefährliche "Einwanderer"

2. November 2016

Ausgesetzt oder eingeschleppt: In Europa gibt es Hunderte gebietsfremde Tier- und Pflanzenarten. Die EU will deren Verbreitung stoppen, denn die Arten beeinträchtigen Ökosysteme und schaden unserer biologischen Vielfalt.

Waschbär
Bild: picture-alliance/dpa/F.v.Erichsen

"Es ist ein heiß umstrittenes Thema", gibt Claus Mayr zu verstehen. Der Direktor Europapolitik beim NABU (Naturschutzbund Deutschland) kennt die Debatte um den Umgang mit invasiven Arten nur zu gut: "Die Liste, gegen die Arten vorzugehen, stammt aus dem Jahr 1992. Doch die Lobbygruppen der skandinavischen Pelzindustrie und der britischen Pflanzenindustrie traten jahrelang auf die Bremse", beklagt Mayr. "Die Liste ist ein Anfang, aber 37 Arten sind zu wenig."

Claus Mayr: "Lobbygruppen verhinderten raschere Einigung"Bild: NABU/B. Schaller

Ziel ist es, wildlebende Tiere - wie Waschbär oder Nutria - ausbruchsicher und kontrolliert zu halten. Aber das treibt die Kosten hoch, beklagen Pelzhändler. Neben dem nordamerikanischen Waschbär steht der Rote Amerikanische Sumpfkrebs auf dem EU-Index.

Globalisierung fördert Ausbreitung 

Das Indische Springkraut, der Japanische Staudenknöterich und der Kanadische Goldrute gehören nicht dazu. Deren Namen lassen allesamt erahnen, woher Pflanzen und Tiere stammen. Einige dieser sogenannten Neophyten (invasive Pflanzenarten) und Neozoen (invasive Tierarten) wurden als blinde Passagiere in Seeschiffen eingeschleppt. Andere wurden einfach eingeführt - wie die Goldrute im 19. Jahrhundert. Gut anderthalb Meter hoch wird die goldgelbe Staude, deren Nektar Bienen in Scharen anzieht. Doch sie hat auch eine Kehrseite: In ihrer Heimat Nordamerika hat sie Fressfeinde, während sie sich in Europa auf Brachflächen, besonders entlang von Bahnstrecken, breitmacht und hier andere Arten verdrängt.

Drüsiges Springkraut: ungezügelte Vermehrung durch Samenflug Bild: picture-alliance/dpa/W. Tilgner

Auch das Indische oder Drüsige Springkraut ist in vielen Gemeinden zum Ärgernis geworden: Die ursprünglich aus dem Himalaya importierte Pflanze zierte als Exot botanische Gärten. Heute wuchert die süßlich riechende Pflanze mit den rosaroten Blüten an Gewässerufern. Dort ist sie so dominant geworden, dass andere Arten in ihrer Nähe keine Überlebenschance haben. 

Die aus Nordamerika stammende Robinie bindet Stickstoff aus der Luft, mit der Folge, dass andere seltenen Arten wie Gräser, Kräuter und Orchideen in der stickstoffreichen Umgebung nicht mehr überleben können. Und feuchte Böschungen, die von den Wurzeln der Robinie durchzogen werden, können sogar aufweichen und abrutschen. 

Gesundheitsproblematische Plage 

Dem Kaukasischen Bärenklau rücken vielerorts alljährlich Gemeindearbeiter und ehrenamtliche Umweltschützer zu Leibe. Das Ungetüm von Pflanze wurde ursprünglich in der Forstwirtschaft angesalbt (Anm. Ansalbung bezeichnet das bewusste Ausbringen einer gebietsfremde Pflanze in der Natur), um dem Wild zusätzlich zu Bäumen und Büschen Schutz zu bieten. In Deutschland braucht es dafür laut Bundesnaturschutzgesetz inzwischen eine Genehmigung, denn der Riesenbärenklau zählt zu den sogenannten neophytischen Plagepflanzen. Sie verbreiten sich schnell, lassen sich schwer entfernen und sind giftig. Mensch und Tier können durch Berührungen Verbrennungen erleiden, ausgelöst durch photosensibilisierende Substanzen. Doch sie steht nicht auf der EU-Liste. "Sie gilt in einigen EU-Ländern als Zierpflanze und ist trotz ihrer Toxizität bei Imkern sehr beliebt", beschreibt Claus Mayr den schwierigen Kampf einer Einigung.

Soweit das Auge reicht: Riesen-Bärenklau in TschechienBild: Jan Pergl

"Ein anderes Argument sind die immensen Kosten für das Zurückdrängen, geschweige denn die Ausrottung."

Nach einer Studie des Bundesumweltamtes (UBA) betrug der Schaden, den 20 gebietsfremde Arten anrichteten, rund 167 Millionen Euro (Stand 2002). Bekannt sind allerdings etwa 170 Arten mit negativem Einfluss. Die EU-Kommission beziffert das Aufkommen zur Beseitigung der Schäden in der gesamten EU auf zwölf Milliarden Euro pro Jahr.

Blinde Passagiere aus Fernost

Eine Vielzahl von Organismen wurden schon unbemerkt über Seeschiffe eingeschleust. Seit mehr als 100 Jahren ist es üblich, im Hafen Wasser in Ballasttanks zu pumpen - zum Ausgleich der Ladung. Genau so lange gibt es die Wollhandkrabbe in norddeutschen Gewässern. Denn mit an Bord gelangen Keime, Krankheitserreger und Tiere. Da das Ballastwasser bei der Löschung im Zielhafen abgelassen wird, gelangt die illegale Fracht wieder ins Meer und in Binnengewässern, aber eben möglicherweise auf anderen Kontinenten. Auf diese Weise vermehrte sich die aus China stammende Wollhandkrabbe in ganz Europa. Während sie in der alten Heimat gezüchtet wird, gilt sie hier als Plage, die kaum natürliche Feinde hat. Und da die Spinnen-ähnlichen Tiere hier reichlich vorkommen, wurden sie übers Internet in China als Delikatesse "aus der unverschmutzten Elbe" zum Verkauf angeboten, ehe die staatlichen Behörden einschritten und wegen vermeintlicher Gesundheitsrisiken die Einfuhr verboten.

"Hässlich" befinden die einen. Von anderen heiß begehrt: Wollhandkrabbe Bild: Jan Schilling

Um dem Problem der illegalen Einwanderung beizukommen und die Schäden der maritimen Umwelt zu mindern, verabschiedete die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) 2004 ein Abkommen zur Behandlung von Ballastwasser. Dieses tritt allerdings erst am 8. September 2017 in Kraft. So lange hat es gedauert, die notwendige Menge an Staaten zur Ratifizierung zu gewinnen, die sich mit mindestens 35 Prozent am weltweiten Seetransport beteiligen. 

Bis 2050 will die Europäische Union "ihr Naturkapital zum Wohlergehen der Menschen und zum wirtschaftlichen Wohlstand schützen, wertschätzen und angemessen wiederherstellen", um dem Verlust der Arten zu begegnen. Dazu gehört die Bekämpfung der invasiven Arten. "Diese gefährden die biologische Vielfalt, verändern Lebensräume und verdrängen natürlich vorkommende Arten. Sie können auch wirtschaftliche Schäden verursachen und die menschliche Gesundheit gefährden", argumentierte Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) beim diesjährigen Naturschutztag in Magdeburg.

Mühsamer Kampf gegen die schleichende Invasion

Die EU-Mitgliedsstaaten müssen nun in den nächsten Jahren Managementpläne erstellen, die den Umgang mit den gebietsfremden Arten regeln. "Waschbär und Nutria sind in Deutschland so weit verbreitet, dass deren Bekämpfung schwierig wird", ist sich NABU-Manager Claus Mayr sicher. Für andere Arten seit der Zeitpunkt überschritten, sie in den Griff zu bekommen, so der Biologe. Die Asiatische Stechmücke kam - durch den Klimawandel begünstigt - über die Alpen nach Süddeutschland. Sie überträgt die gefährliche Schlafkrankheit. Auf der EU-Liste steht sie indes nicht.

Gefahr gebannt! Riesenschildkröte auf den Galapagos-Inseln Bild: Adalgisa Caccone/Handout via Reuters

Auch auf anderen Kontinenten herrscht ein Verdrängungskampf: Auf den Galapagos-Inseln im Pazifik sollen beim weltgrößten Ausrottungsprogramm 140.000 Ziegen getötet werden. Sie waren vor 80 Jahren eingeschleppt worden und vermehrten sich ohne natürliche Feinde. Doch da sie den Riesenschildkröten Gras und Kräuter wegfraßen und deren Gelege zerstören, die Vegetation zerstören und Erosion befördern, wurden sie massenweise niedergemetzelt. In der EU gibt es noch keine derartigen Pläne, um gegen fremde Arten vorzugehen. 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen