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Politik

Gemeinsam gegen Erdogan?

13. März 2017

Erste europäische Politiker fordern, die EU-Staaten sollten die türkische Regierung gemeinsam daran hindern, Wahlkampfveranstaltungen auch in Europa durchzuführen. Der Vorschlag birgt Chancen und Risiken zugleich.

Recep Tayyip Erdogan
Bild: Getty Images/AFP/O. Kose

Wer sollte sich durch die Wahlkampfauftritte türkischer Politiker herausgefordert fühlen: die einzelnen europäischen Länder oder die EU als ganzes? Die Union insgesamt, sagte der österreichische Bundeskanzler Christian Kern in einem Interview mit der Tageszeitung "Welt am Sonntag" und stieß damit eine Debatte an, deren Konturen sich dieser Tage abzuzeichnen beginnen. "Eine gemeinsame Vorgehensweise der EU, um solche Wahlkampfauftritte zu verhindern, wäre sinnvoll", so Kern.

Damit umriss er die Dimension der Herausforderung: Wahlkampfauftritte ausländischer Politiker sind in den EU-Staaten ein vergleichsweise junges Phänomen. Und da es sich um Politiker eines großen Landes handelt – die Türkei hat rund 80 Millionen Einwohner – sind diese Auftritte von erheblichem politischem Gewicht. Darum müsse Europa gemeinsam handeln, so Kern. Ein Verbot solcher Auftritt in ganz Europa könne verhindern, dass einige Länder wie Deutschland unter den Druck der Türkei gerieten.

Für eine gemeinsame europäische Haltung: der österreichische Bundeskanzler Christian Kern, hier mit Angela Merkel Bild: picture-alliance/AP Photo/F. Ostrop

Plädoyer für einheitliche Linie

Ähnlich äußerte sich nach dem am Wochenende eskalierten Streit zwischen den Niederlanden und der Türkei auch der Vizepräsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lambsdorff. "Die Europäische Union sollte sich auf die einheitliche Linie verständigen, dass türkischen Ministern Wahlkampfauftritte in der EU nicht erlaubt werden", so Lambsdorff in der Zeitung "Die Welt". Ähnlich äußerte sich auch der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir.  Er forderte ein koordiniertes europäisches Vorgehen, "damit uns der Diktator aus Ankara nicht gegeneinander ausspielen kann".

Doch wie wahrscheinlich ist eine gemeinsame Position der EU gegenüber der Türkei? Ausgeschlossen sei sie nicht, zum derzeitigen Zeitpunkt aber eher unwahrscheinlich, sagte Raphael Bossong von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik gegenüber der DW. Er nehme nicht an, dass eine Mobilisierung dieser Art zu einer regelmäßigen Strategie der türkischen Regierung werde. "Sollte sich dergleichen aber wiederholen und sollte daraus eine mittelfristige Krise, befeuert zudem durch ernsthafte Sanktionen gegen die Niederlande werden, ist eine gemeinsame europäische Position unabdingbar."

Scharfe Worte

Insbesondere in Deutschland wolle man die Lage nicht noch weiter eskalieren lassen, so Bossong. Eben darum habe sich Bundeskanzlerin Merkel zur Frage einer gemeinsamen europäischen Position noch nicht geäußert. Merkel hat zwar ihre Solidarität mit den Niederlanden geäußert und diese gegen die Beschimpfungen Erdogans in Schutz genommen. Doch gemeinsamen Handlungen - wie etwa Einreiseverweigerungen - stehe sie wohl eher reserviert gegenüber, vermutet Bossong. Die Gründe lägen auf der Hand: "Das befeuert die türkischen ebenso wie die europäischen Populisten."

Denn antworteten die Europäer mit solchen Instrumenten, könne Erdogan sie einmal mehr einer angeblich antiislamischen Haltung bezichtigen. Und den europäischen Populisten komme ohnehin jede Auseinandersetzung mit islamischen Politikern entgegen. Schon jetzt sei es schwierig, wieder zu normalen Umgangsformen zurückzufinden: "Angesichts der Schärfe der Sprache weiß man kaum, wie man aus diesem Zug, wenn er einmal in Bewegung gekommen ist, wieder herauskommt", so Bossong.

Erregte Minderheit: niederländische Erdogan-Anhänger in Rotterdam Bild: DW/K. Brady

Außenpolitischer Missbrauch von Minderheiten

Zugleich trifft der Konflikt mit der EU aber einen Punkt, der für eine ganze Reihe ihrer Mitgliedsstaaten heikel werden könnte: die politische Instrumentalisierung von Minderheiten. Die - zahlenmäßig kleinen - Ausschreitungen in Rotterdam wie auch die euphorische Stimmung während der Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland deuten an, dass einige Politiker die Präsenz von Landsleuten im Ausland durchaus als Druckmittel einsetzen könnten.

Als erste bekamen das nun Deutschland, Österreich und die Niederlande zu spüren - die EU-Länder mit den größten türkischen Minderheiten. Wie Minderheiten zum außenpolitischen Spielball werden können, zeigte sich auch während des Ukraine-Konflikts. Bis heute begründet Russland seine Politik gegenüber dem Nachbarland auch mit dem "Schutz" russischer Staatsbürger. Auch in Estland und Lettland herrscht die Sorge, die russische Minderheit - sie stellt rund ein Drittel bzw. ein Viertel der Gesamtbevölkerung - könne von Moskau als Vorwand einer härteren Gangart gegenüber dem kleinen Nachbarn missbraucht werden.

Im Namen der russischen Minderheit? Panzer unter russischer Flagge im ukrainischen Donetsk, Juli 2015Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Ghirda

Pragmatische Zurückhaltung

Viele EU-Staaten haben stark multikulturelle Gesellschaften. Dass dies Konfrontationen mit großen Staaten der Nachbarschaft befeuern kann, beschäftigt Europa zunehmend. Insbesondere mit Blick auf Falschmeldungen und staatlich gesteuerte Medien werden mögliche Gegenstrategien schon intensiv disktutiert. Vielleicht münden diese Diskussionen in einigen Monaten in verbindliche Positionen und Handlungen der EU.

Vorerst aber, vermutet Raphael Bossong, werden sich die EU-Staaten nicht auf gemeinsame Maßnahmen verständigen – die propagandistische Sprengkraft eines solchen Schrittes wäre einfach zu groß: "Am besten ist es darum, eine gewisse Zurückhaltung zu zeigen."

Die Türkei wird zeigen müssen, ob sie diese Zurückhaltung zu schätzen weiß.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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