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Politik

EU-Gericht kippt Westsahara-Beschlüsse

29. September 2021

Abkommen, die Brüssel mit der Regierung in Rabat geschlossen hat, sind hinfällig - weil die Bewohner der Westsahara übergangen wurden, so die Richter am EuG in Luxemburg.

Anhänger von Westsahara Polisario-Führer Brahim Ghali
Die Westsahara war bis 1975 eine spanische Kolonie (Archivbild einer Demonstration in Spanien)Bild: Alvaro Barrientos/AP/picture alliance

Die EU muss nach einem Urteil des Gerichts der Europäischen Union (EuG) Abkommen mit Marokko nachbessern, weil die "Zustimmung des Volkes der Westsahara" fehlte. Wie das Gericht mitteilte, sind Entscheidungen in den Bereichen Landwirtschaft und Fischerei des EU-Ministerrats mit Marokko nichtig. Teile der Beschlüsse dürfen aber für einen bestimmten Zeitraum aufrechterhalten werden, um die Rechtssicherheit in Bezug auf internationale Verpflichtungen zu wahren.

Die Unabhängigkeitsbewegung Polisario, die einen Teil des Gebietes beherrscht, hatte 2019 gegen die Beschlüsse Klage erhoben. Die von Algerien unterstützte Gruppe strebt seit langer Zeit einen Abzug Marokkos aus der Westsahara und einen eigenen Staat an. Die Westsahara war  bis 1975 eine spanische Kolonie und wurde nach Abzug der Spanier zum Großteil von Marokko annektiert, was von den meisten Staaten jedoch nicht anerkannt wird.

"Sieg für das saharauische Volk"

Bei den Vereinbarungen ging es um die Änderung eines Abkommens über die Einfuhr landwirtschaftlicher Produkte aus Marokko in die Europäische Union und um die Neufassung eines Fischereiabkommens. Dabei war geplant, die an die Westsahara angrenzenden Gewässer in den Geltungsbereich des Abkommens aufzunehmen.

Der EU-Beauftragte der Polisario, Oubi Bachir, sprach von einem "großartigen Sieg für das saharauische Volk". Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) begrüßte das Urteil des EU-Gerichts. "Die Westsahara ist nicht einfach ein Teil Marokkos, über den die Regierung in Rabat frei verfügen kann", so GfbV-Referentin Nadja Grossenbacher. "Durch die Importe von Produkten aus der Westsahara unter marokkanischer Flagge macht sich die EU mitschuldig an der fortdauernden Verletzung des Völkerrechts."

"Klima der Gelassenheit"

Marokko und die EU bekräftigten in einer gemeinsamen Mitteilung ihren Willen zur Kooperation. "Wir sind weiterhin voll und ganz bereit, die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko in einem Klima der Gelassenheit und des Engagements fortzusetzen", erklärten der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und der marokkanische Außenminister Nasser Bourita.

Die spanischen Exklaven Ceuta - hier im Archivbild - und Melilla haben die einzigen Landgrenzen der EU in AfrikaBild: Bernat Armangue/AP/picture alliance

Gleichwohl könnte das Urteil die Beziehungen der EU zu dem Maghrebstaat weiter belasten. Marokko hatte jüngst seine Grenze zur spanischen Nordafrika-Exklave Ceuta faktisch für Migranten aus Afrika geöffnet und damit eine Massenflucht ausgelöst. Die beiden spanischen Exklaven Ceuta und Melilla haben die einzigen Landgrenzen der EU auf afrikanischem Boden. Sie sind durch Zäune abgeriegelt, die mit Stacheldraht und Kameras versehen sind.

Strafverfahren gegen Polisario-Chef

Unterdessen entschied der Nationale Gerichtshof in Madrid, dass ein im Juli eingestelltes Strafverfahren wegen Völkermordes gegen Polisario-Chef Brahim Ghali in Spanien wiederaufgenommen werden muss. Der Untersuchungsrichter, der die Einstellung verfügt hatte, habe einen Rechtsfehler begangen, hieß es zur Begründung.

In Spanien droht juristisches Ungemach: Polisario-Chef Brahim Ghali (Archivbild)Bild: Fateh Guidoum/AP/picture alliance

Ghali war von der Menschenrechtsorganisation ASADEH aus Westsahara angezeigt worden, die Beobachtern zufolge der Regierung Marokkos nahesteht. Der inzwischen 72-Jährige hielt sich von April bis Juni zu einer COVID-19-Behandlung in Spanien auf, konnte dann aber wieder ausreisen. Dies hatte zu Spannungen zwischen Spanien und Marokko geführt.

Die Menschenrechtler beschuldigen Ghali, für Völkermord, Terrorismus und Folter in den Jahren 1975 bis 1990 verantwortlich zu sein. Der Untersuchungsrichter sah die Vorwürfe nicht hinreichend belegt; mögliche Taten seien zudem verjährt. Überdies habe es den Straftatbestand des Völkermordes im spanischen Recht damals noch nicht gegeben. Nach dem Rückwirkungsverbot darf niemand für ein Verhalten verurteilt werden, das erst später unter Strafe gestellt wurde.

jj/AR (dpa, afp)