1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

EU-Gipfel auf einem Berg von Problemen

Bernd Riegert Brüssel
10. Dezember 2020

Mitten in der Corona-Pandemie endet die deutsche EU-Präsidentschaft an diesem Donnerstag mit einem Gipfeltreffen, das viele Fragen offen lassen wird. Immerhin gibt es beim Haushalt Hoffnung auf eine Lösung.

Brüssel EU Sondergipfel Merkel Orban
Diesmal wieder persönlich vor Ort: EU-Gipfel in Brüssel in der zweiten Corona-WelleBild: Johanna Geron/dpa/picture-alliance

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft von Juli bis Dezember verlief nicht wie geplant und bringt mit dem EU-Haushalt inklusive Corona-Fonds wahrscheinlich nur ein durchschlagendes Ergebnis. Das hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am Tag vor dem heutigen Gipfeltreffen in Brüssel bereits eingeräumt.

"Vieles konnte nicht umgesetzt werden, und das ist schade", sagte Merkel im Bundestag am Mittwoch. Der letzte EU-Gipfel des Jahres sollte der glanzvolle Abschluss der zweiten Ratspräsidentschaft Merkels in ihrer zu Ende gehenden politischen Karriere werden.

Doch die Corona-Pandemie, die Briten, Ungarn, Polen und die türkische Regierung machten ihr einen Strich durch die Rechnung. Ungelöste Probleme, die die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsstaaten bei einem physischen Treffen abräumen sollen, türmten sich kurz vor Ultimo auf.

Merkel: Nicht alles geschafft als RatspräsidentinBild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Rechtsstaatlichkeit und Haushalt

Ungarn und Polen, deren Rechtsstaatlichkeit nach Einschätzung der EU-Kommission und des EU-Parlaments ernsthaft bedroht ist, pokern hoch. Um eine ihnen nicht genehme Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit vor Auszahlung von Haushaltsmitteln zu verhindern, blockierten sie mit einem Veto den gesamten sieben Jahre währenden EU-Haushalt (MFR) mit einem Volumen von 1,1 Billionen Euro.

Ungarns Premier Viktor Orban, behauptet, es ginge darum, die Unabhängigkeit Ungarns zu verteidigen, da die EU sich anschicke, wie die frühere Sowjetunion Staaten zu unterjochen. Außer Polen konnten 25 andere EU-Staaten diese Argumentation nicht nachvollziehen und bestanden auf dem Mechanismus zur Rechtsstaatlichkeit im Haushalt. Der war schließlich bei einem vier Tage währenden Haushalts-Gipfel schon Anfang Juli vereinbart worden.

Besonders ärgerlich aus Sicht der Bundeskanzlerin: Ungarn und Polen blockieren auch den Corona-Hilfsfonds in Höhe von 750 Milliarden Euro, der dringend gebraucht wird, um die Konjunktur in der EU nach der Pandemie wieder anzuschieben.

Am Ende handelte der deutsche Botschafter bei der EU, Michael Clauss, mit seinen Kollegen aus Ungarn und Polen eine Zusatz-Erklärung zum Rechtsstaatsmechanismus aus, die auf die Bedenken der beiden Staaten eingeht. Die Erklärung sieht zusätzliche Schritte und das Eingreifen des europäischen Gerichtshofes vor, um tatsächlich gegen einen Mitgliedsstaat vorgehen zu können.

Der Vorschlag wurde in der Nacht vor dem Gipfel noch geprüft und soll an diesem Donnerstag besiegelt werden. Der Haushalt könnte dann doch noch wie geplant am 01. Januar in Kraft treten. Der ehemalige Ratsvorsitzende der EU, der polnische Christdemokrat Donald Tusk, freute sich in Brüssel, dass "die Erpressung" durch Polen und Ungarn am Ende keinen Erfolg hatte.

Der liberale Europaabgeordnete Moritz Körner nannte die zusätzliche Erklärung "halbseiden". Damit werde der Rechtsstaatsmechanismus etwas verschoben, aber nicht aufgehoben. Das werde das Europäische Parlament nicht zulassen. Wichtig sei, dass der eigentliche Mechanismus zur Kontrolle der Rechtsstaatlichkeit nicht verändert werde.

Türkei

Auch bei einem weiteren Konflikt - dem angespannten Verhältnis zwischen der EU und der Türkei - zeichnet sich keine Lösung ab. "Der türkische Präsident Erdogan ist nicht zum Dialog bereit", bescheinigte ihm der deutsche Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth.

Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich enttäuscht darüber, dass der türkische Machthaber in den letzten drei Monaten nicht bereit war, mit den EU-Mitgliedern Griechenland oder Zypern über umstrittene Gasvorkommen und deren Ausbeutung im östlichen Mittelmeer zu sprechen. Im Gegenteil: Recep Tayyip Erdogan ließ bis kurz vor dem EU-Gipfel ein Bohrschiff in den umstrittenen Hoheitsgewässern operieren.

Die deutsche Ratspräsidentschaft schlägt nun vor, einige türkische Bürger und Unternehmen, die an der Gas-Exploration beteiligt sind, mit Sanktionen zu belegen. Diese sehr begrenzte Strafaktion dürfte Griechenland und Zypern kaum ausreichen.

Der türkische Präsident ließ bereits erklären, er fürchte solche EU-Sanktionen nicht. Einige EU-Staaten, allen voran Österreich, können sich auch den Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vorstellen. Trotz aller Spannungen in den vergangenen Jahren will die Türkei offiziell immer noch der EU beitreten.

Klimaziele

Auf dem Verhandlungstisch liegt der Vorschlag, das Klimaziel der EU für das Jahr 2030 bei 55 Prozent festzuschreiben. Gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 soll der Ausstoß von schädlichem Kohlendioxid um 55 Prozent sinken. Im Jahr 2050 will die EU dann völlig klimaneutral wirtschaften.

Vor allen das von Kohleverstromung abhängige Polen ist skeptisch. Es ist nicht klar, ob der polnische Ministerpräsident beim Gipfel in Brüssel ein Veto einlegen wird. Aus Kreisen des Europäischen Rates hieß es nur, einige Mitgliedsländer wollten mehr Klarheit darüber haben, was dieses Klimaziel für sie wirtschaftlich bedeutet. Anders ausgedrückt, sie wollen im Falle eines Falles mehr Zuschüsse aus dem EU-Haushalt für den Umbau ihres Energiesektors.

Nach dem Pariser Klimaschutz-Abkommen hätte die EU bis zum Februar 2020 ihr Klimaziel benannt haben müssen. Umweltverbände kritisieren bereits, dass das 55 Prozent-Ziel nicht ausreichen wird, um die Erderwärmung wie gewünscht zu verlangsamen.

Brexit

Die Staats- und Regierungschefs der EU lassen sich von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über den Stand der Verhandlungen über ein Handelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich informieren. "Eine Diskussion ist nicht geplant", schrieb EU-Ratspräsident Charles Michel in seiner Einladung zum Gipfel. "Wir halten uns an unser Verhandlungsmandat."

Damals Vize, jetzt Präsident. Hoffnungsträger Joe Biden (re.) in Brüssel 2015. Damals mit Kommissionspräsident Juncker.Bild: Emmanuel Dunand/AFP/Getty Images

Migration, Zukunftskonferenz, USA...

Bei der angestrebten Neuregelung der Migration ist die EU im letzten halben Jahr nicht weitergekommen. Zwar hat die EU-Kommission veränderte Regeln für Asylverfahren und die Verteilung von Flüchtlingen vorgeschlagen, die die Mitgliedsstaaten trotz des Drängen des deutschen Innenministers Horst Seehofer bis zum Gipfeltreffen nicht einmal diskutiert haben.

Die größten Bremser auch hier: Polen, Ungarn zusammen mit anderen östlichen Mitgliedsstaaten. Die großartig angekündigte "Konferenz zur Zukunft Europas", die sich über eine Reform der EU Gedanken machen sollte, hat nicht angefangen. Die Pandemie verhinderte persönliche Treffen. Die Politiker hatten eher das Krisenmanagement daheim als die Zukunft der EU auf dem Schirm. Ausgefallen sind Fortschritte bei der Afrika-Strategie oder einer einheitlichen China-Politik.

Einig werden sich die Gipfelteilnehmer immerhin beim Thema USA sein. Alle plädieren für einen Neustart in den Beziehungen zum wichtigsten Verbündeten nach der Wahlniederlage des als unberechenbar geltenden US-Präsidenten Donald Trump. Handel und Sicherheitspartnerschaft mit den USA sollen mit dem künftigen Präsidenten Joe Biden neu austariert werden.

Wie stark strategisch autonom allerdings Europa dabei agieren soll, ist schon wieder umstritten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron strebt eine weitgehende Unabhängigkeit eines "souveränen Europas" an. In Deutschland, Polen und anderen Mitgliedsstaaten möchte man das lieber eine Nummer kleiner. Ohne die USA, so etwa die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, lasse sich Sicherheit gegenüber Russland in der EU nicht gewährleisten.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen