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Politik

EU-Gipfel: Der lange Weg zur Einigung

Barbara Wesel
29. Juni 2018

Die schwelende Krise scheint entschärft. Europa will Hotspots für Bootsflüchtlinge innerhalb der EU, Auffanglager in Nordafrika und mehr Grenzschutz. Italien wird Solidarität versprochen. Barbara Wesel aus Brüssel.

Belgien EU-Gipfel in Brüssel
Bild: Reuters/S. Lecocq

Am Ende dauerte die Einigung mehr als acht Stunden und die Regierungschefs verließen müde und nicht mehr besonders auskunftsfreudig am frühen Morgen das Ratsgebäude. "Wir hatten viel zu tun, um die verschiedenen Ansätze zu überbrücken", fasst die Bundeskanzlerin die Mühen der langen Nacht zusammen. Das heißt, es wurde heftig gestritten. Erst beim dritten Entwurf der gemeinsamen Abschlusserklärung konnten sich am Ende alle wiederfinden.

Hotspots in der EU, Lager in Afrika und Frontex

Die EU-Regierungschefs wollen mit einem oder mehreren afrikanischen Staaten Abkommen schließen, die Lager für Flüchtlinge bauen. Bisher haben zwar schon verschiedene Länder in Nordafrika abgewunken, aber es könnte eine Frage des Geldes sein. "Wir wollen das mit UNHCR und IOM machen", betont Angela Merkel und es müsse dabei internationales Recht beachtet werden. Beide UN-Organisationen hatten ihre Bedingungen dafür schon klar gemacht. Sie wollen sowieso nur Lager übernehmen, in denen humanitäre Grundsätze gewahrt werden. Diese neuen Einrichtungen sollen "Plattformen" genannt werden. Man will wohl die Schlagzeile "EU baut Lager in Afrika" vermeiden. Das Vorhaben wird seit dem Beginn der Flüchtlingskrise diskutiert, blieb bisher allerdings immer in praktischen Problemen stecken.

Innerhalb der EU-Grenzen sollen, ebenfalls nach inzwischen jahrelanger Diskussion, nun mehrere Hotspots errichtet werden, in denen per Schiff über das Mittelmeer eintreffende Migranten untergebracht werden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron spricht dabei ausdrücklich von "geschlossenen" Einrichtungen. Hier soll bereits in ersten Schnellverfahren festgestellt werden, wer tatsächlich politisch schutzbedürftig ist. Allerdings haben sich noch keine Freiwilligen dafür gemeldet, obwohl Macron mit Italiens Regierungschef Giuseppe Conte im Laufe der Nacht diesen Vorschlag erarbeitet hatte. Einzelheiten sollen später folgen. Aber immerhin veranlasst dieses Vorhaben den Premierminister zu dem Satz: "Ab heute ist Italien nicht mehr allein".

Und schließlich geht es um die Aufrüstung der Grenzschutzbehörde Frontex, die bis 2020 verstärkt und besser finanziert zu einer Grenzpolizei ausgebaut werden soll. Auch dieses Vorhaben hat schon die Mühlen mehrerer Gipfeltreffen durchlaufen. Jetzt wollen es "alle endlich umsetzen, damit so wenige Migranten wie möglich europäischen Boden erreichen", wie es der österreichische Kanzler Sebastian Kurz formuliert. Die Einigung in Brüssel bezieht auch die Rettungsschiffe der NGOs mit ein, die vor Libyen keinesfalls die Arbeit der dortigen Küstenwache behindern dürften. Was das konkret bedeutet, ist noch offen.

Wedeln mit der Gipfel-Erklärung: Am Ende war Italiens Premier Giuseppe Conte zufriedenBild: Reuters/E. Vidal

Auftritt Guiseppe Conte

Der Weg zur Einigung war lang in dieser Nacht. Schon vor Beginn des Abendessens hatte der neue italienische Premierminister sein Veto eingelegt. Von Migration hatte da noch niemand gesprochen, es ging um Handel und Verteidigung. Aber Giuseppe Conte erklärte plötzlich, er werde die Abschlusserklärung des Gipfels dazu nicht mittragen. Er spiele nicht mehr mit, wenn nicht endlich Italien mit seinen Problemen bei der Migration zur Sprache komme. Ratspräsident Donald Tusk musste die Pressekonferenz zur Zwischenbilanz der eigentlich unstrittigen Gipfelpunkte absagen. Diese "Blockadekarte" war gelegentlich schon einmal bei EU-Gipfeln gezogen worden. Aber man ist sich einig, dass jeder Regierungschef das nur einmal tun kann. 

Ein italienischer Vertreter begann daraufhin eine eifrige Shuttle-Diplomatie zwischen dem Verhandlungs- und dem Pressesaal, um seine Version der Geschichte zu verbreiten. Es gehe Italien nicht um die sekundäre Migration, die Deutschland als Problem betrachte, also die eigentlich unerlaubte Weiterreise von Flüchtlingen, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden. Rom gehe es ums Prinzip: "Wer nach Italien kommt, kommt nach Europa" ist die Formel, in die Conte selbst seit Tagen das italienische Anliegen fasst. Wenn hundert Migranten nach Italien kommen, müssten 90 in der EU umverteilt werden.

Im Kreis der Regierungschefs kommt die Szene nicht so gut an. Der französische Präsident und andere fallen über den Italiener her. Zu Hause aber ist die italienische Positionierung ein Erfolg: "Conte diktiert das Geschehen" schreibt die italienische Presseagentur am Abend. Die populistische Regierung in Rom erfüllt ihren Auftrag und zeigt vor allem Deutschland, dass man sie nicht mehr übergehen kann.

Am Ende findet sich bei der Beschreibung der neuen Hotspots innerhalb der EU der Hinweis, der weitere Umgang mit den schutzbedürftigen Flüchtlingen solle im Geist der "Solidarität" erfolgen. Das ist der Absatz speziell für Italien, dessen Details aber noch offen sind.

Trotz des immensen Drucks, der auf den Teilnehmern lastet, wird zwischendurch auch mal gelacht, etwa als Conte irgendwann nachts seinen Kollegen erklärt, er wisse, wie man Abkommen schließt, weil er Anwalt sei. "Und ich war mal Schweißer", konterte der schwedische Premier, während sich der bulgarische Regierungschef als früherer Feuerwehrmann outet.

Kurz warnt Seehofer

Einige Zeit später verbreitet der österreichische Kanzler seine eigene Botschaft vor der Presse. Er übernimmt am 1. Juli für sechs Monate die Ratspräsidentschaft der EU und hat bereits angekündigt, dass er dann die Migration zum Hauptthema machen will. Das kommt auch den Anliegen seiner eigenen Regierungskoalition mit der rechtspopulistischen FPÖ entgegen.

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz schickte eine klare Warnung Richtung DeutschlandBild: Getty Images/AFP/L. Marin

Sebastian Kurz will schon auf diesem Gipfel eine Einigung mit möglichst scharfen Beschlüssen zur Verhinderung jeglicher Art der Migration nach Europa. Gleichzeitig aber schickt er Innenminister Horst Seehofer einen Warnschuss: Wenn Deutschland damit beginnen würde, bereits registrierte Migranten von der deutsch-österreichischen Grenze zurückzuschicken, "dann werde ich notgedrungenerweise auch handeln". Das bedeutet, dass er sie nicht zurück nach Österreich lassen will und Seehofer die Menschen ausfliegen lassen müsste - nach Italien oder Griechenland, also in ihr jeweiliges Erstaufnahmeland.

Und der österreichische Kanzler fügt gleich noch eine Spitze hinzu und erklärt, dass er die Ankunft registrierter Flüchtlinge überhaupt für ein zu "vernachlässigendes Problem" halte. Es gehe eher um die Migranten, die noch nicht erfasst worden sind.

Merkel und ihre Helfer

Am Ende war es eine Gruppe von elf Ländern, die in stundenlanger Arbeit an der Kompromissbildung arbeitete. Frankreich, Spanien, Schweden, Griechenland, Deutschland und andere feilten immer wieder an konsensfähigen Formulierungen. Herausgekommen ist ein schwer verklausulierter Text, in dem jeder Halbsatz für einzelne Teilnehmer seine Bedeutung hat.

Auch ein besonderer Absatz für die Bundeskanzlerin und ihre Schwesterpartei CSU fand schließlich Eingang: Die sekundäre Migration gefährde das europäische Asylsystem und das Schengen-Abkommen. "Die Mitgliedstaaten sollen alle Maßnahmen ergreifen, um solche Bewegungen zu unterbinden, und dafür miteinander eng zusammenarbeiten". Damit öffnet die EU die Tür für bi- und multilaterale Abkommen zwischen den Ankunftsländern und den Staaten, in die die Migranten weiterziehen. Damit muss der Koalitionspartner in Berlin zunächst zufrieden sein. Aber Spanien und Griechenland sowie Frankreich hatten sich schon vor dem Gipfel bereit erklärt, hier mit Deutschland zusammenzuarbeiten. Mit Italien dürfte das schwieriger werden.

"Es ist eine gute Botschaft, dass wir am Ende einen gemeinsamen Text haben", war das höchste Lob, das Angela Merkel am Ende für die mühsamen Verhandlungen fand. Sie weiß, dass der Teufel im Detail und in der Ausführung der Pläne steckt.

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