1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

EU: Kaum Bewegung beim Thema Migration

10. Februar 2023

Die Zahl der irregulären Einwanderer soll in der EU sinken. Nur wie? Dem Gipfel fehlten neue Ideen. Die EU setzt auf bessere Zusammenarbeit mit Herkunftsländern und mehr Rückführungen. Bernd Riegert aus Brüssel.

Europäische Flüchtlingspolitik | Grenze zwischen Griechenland und Türkei
Die Länder an den Außengrenzen der EU - wie Griechenland, Italien, Kroatien, Bulgarien, Malta und Zypern - klagen seit Jahren über eine zu hohe BelastungBild: Nicolas Economou/NurPhoto/picture alliance

Nachdem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beim Gipfeltreffen der Europäischen Union mit fast jedem der 27 Staats- und Regierungschefinnen und -chefs Vier-Augen-Gespräch geführt hatte und auch noch vom König der Belgier, Philippe, empfangen wurde, reiste er am Abend in Richtung Kiew ab. Die Gipfelrunde hatte ihm die Solidarität und Unterstützung der EU versichert und widmete sich nach Selenskyjs Abreise den Themen, die sonst noch auf der politischen Tagesordnung standen. Der Sondergipfel war für diesen Donnerstag ursprünglich im Dezember einberufen worden, um über die verfahrene gemeinsame Migrationspolitik der EU zu beraten.

Zahl der Migranten steigt

EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen hatte einige Schautafeln vorbereitet, um den Regierungschefinnen und -chefs noch einmal den Ernst der Lage vor Augen zu führen. Die Zahl der Asylbewerber ist im Jahr 2022 in der EU um 46 Prozent im Vergleich zum Vorjahr angestiegen. Zu den 924.000 Asylsuchenden kommen die etwa vier Millionen ukrainischen Kriegsflüchtlinge hinzu. Staaten wie Deutschland, Österreich, die Niederlande und Belgien sehen sich bei der Unterbringung der vielen Menschen überfordert. "Migration ist eine europäische Herausforderung, die eine europäische Antwort braucht", sagte von der Leyen. Das habe der Gipfel noch einmal klar benannt. 

Olaf Scholz: Ein bewegender Gipfel, nicht wegen der Ergebnisse zu Migration, sondern wegen des Treffens mit dem ukrainischen Präsidenten SelenskyjBild: Yves Herman/REUTERS

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sagte in Brüssel, es sei wichtig "gemeinsame Perspektiven" zu entwickeln. Er halte das für möglich. Es sei jetzt nicht die Zeit, in der von Konferenz zu Konferenz neue Beschlüsse gefasst würden, sondern wo am Ende gemeinsame Zielsetzungen definiert würden, die in diesem Jahr in praktische Politik übersetzt werden könnten. Die Europäische Union versucht allerdings schon seit mindestens sechs Jahren, bereits definierte Zielsetzungen - nämlich die Absenkung der Migrationszahlen - in praktische Gesetze umzusetzen. Die EU-Kommission hat dazu immer wieder eine Reihe von Gesetzesvorschlägen und Pakten auf den Tisch gelegt. Bislang konnten sich die Mitgliedsstaaten aber nicht auf wesentliche neue Regelungen einigen.

Ungelöste Konflikte innerhalb der EU

Die Länder an den Außengrenzen der EU, also Griechenland, Italien, Kroatien, Bulgarien, Malta und Zypern, klagen seit Jahren über eine zu hohe Belastung - während die Zielländer der Geflüchteten und Migranten wie Deutschland, Österreich und Frankreich seit Jahren darauf pochen, dass die Länder der Ersteinreise an den Außengrenzen für die Migranten und Asylverfahren zuständig seien. Die Verteilung von Migranten - nach Quoten oder freiwillig - ist immer wieder gescheitert. Die Verlagerung der Asylverfahren in Asylzentren im Süden Europas oder gar nach Nordafrika ist über die Planungsphase nicht hinausgekommen. Länder wie Schweden, Dänemark, Polen oder Ungarn fahren seit Jahren eine restriktive Politik gegenüber Migranten aus dem Mittleren Osten oder Afrika. Dänemark hat seinen Plan, Asylverfahren nach Ruanda zu verlagern, wegen zu großer praktischer und legaler Hindernisse allerdings gerade wieder aufgegeben.

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen (li.) sieht den Willen zur Einigung in Migrationsfragen (hier mit Gast Selenskyj und Ratspräsident Michel)Bild: Virginia Mayo/AP Photo/picture alliance

Die EU-Kommission versuchte bei diesem Gipfel in Brüssel einen neuen Anlauf und schlug vor, die Außengrenzen der EU besser zu schützen. Das heißt, Grenzübertritte außerhalb von Grenzübergangsstellen an der "grünen Grenze" zu verhindern. Außerdem sollen mit den Herkunftsstaaten und Transitländern Rückführungsabkommen ausgehandelt werden. Auch dies ist wahrlich kein neuer Ansatz. Zum ersten Mal empfiehlt die EU-Kommission ausdrücklich Entwicklungshilfe, Handelsabkommen und Visaregelungen als Hebel einzusetzen, um Rückführungsabkommen abschließen zu können. Die Bundesregierung wehrt sich bislang gegen dieses Vorgehen. Bundeskanzler Scholz sagte, Rückführungen könnten nur gelingen, wenn man "faire Abkommen" mit den Herkunftsstaaten zustande bringe. 

Mehr Abschiebungen als Lösung?

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gipfels sprachen sich zum wiederholten Male dafür aus, die Zahl der Abschiebungen und Rückführungen von abgelehnten Asylbewerbern zu erhöhen. Insgesamt liegt die Rückführungsquote bei 21 Prozent. Das heißt von 340.000 ausreisepflichtigen Ausländern haben im Jahr 2021 nur 70.500 die EU verlassen. Wie mehr Abschiebungen erreicht werden sollen, bleibt aber auch nach Lektüre der Gipfelbeschlüsse eher unklar. So wird die EU-Asylagentur "EASO" mit Sitz in Malta aufgefordert, Richtlinien für die Abschiebungen und Kriterien für eine gegenseitige Anerkennung von Abschiebe-Entscheidungen zu verfassen. An die sollten sich alle Mitgliedsstaaten dann auch halten, heißt es in der Gipfelerklärung.

Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Brandenburg: Deutsche Kommunen klagen über zu hohe ZahlenBild: Patrick Pleul/ZB/dpa/picture alliance

Bundeskanzler Olaf Scholz sprach sich dafür aus, statt irregulärer Migration mehr legale Einwanderung zuzulassen, weil die alternden Gesellschaften in der EU schließlich Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt brauchten. Einzelheiten zu einem möglichen Verfahren nannte er nicht. "Wir sind noch nicht zusammen in allen Punkten", sagte Scholz. Aber insgesamt diskutiere man weniger aufgeregt als 2014 und 2015, als mehr als eine Million Menschen aus dem Bürgerkriegsland Syrien in die EU kamen. 

Die EU-Kommission schlägt auch vor, das heikle Thema der solidarischen Verteilung von Migranten und Flüchtlingen in der EU noch einmal anzugehen, was seit Jahren zu bitterem Streit zwischen den Mitgliedsstaaten führt. Auch die sogenannte Binnenmigration, also das Weiterziehen von Migranten von Griechenland durch zahlreiche EU-Staaten bis nach Deutschland oder Österreich, sollte besprochen werden, empfiehlt die Kommission. In den Gipfelbeschlüssen taucht diese Anregung nicht auf.

Mehr Zäune?

Der Bundeskanzler von Österreich, Karl Nehammer, verlangte beim Gipfel auch, dass die EU Zäune an den Außengrenzen, zum Beispiel zwischen Bulgarien und der Türkei, mitfinanzieren sollte. Die EU-Kommission, Luxemburg, Deutschland und andere lehnen es bislang ab, Mauern und Zäune zu finanzieren. Allerdings zahlt die EU seit Jahren Zuschüsse für Überwachungstechnik, für die Ausrüstung von Grenzposten, für Kommunikationsmittel und für das Personal der Grenzschutzagentur Frontex. Die EU-Kommission soll demnächst eine "umfassende Strategie für das Management der Grenzen" vorlegen. Kommissionspräsidentin von der Leyen kündigte zwei Pilot-Projekte an, in denen Grenzkontrollen und Registrierung von Asylbewerben erprobt werden sollen.

Grenzzaun zwischen der Türkei und Griechenland. Hier schottet sich die EU schon lange ab.Bild: Alexandros Avramidis/REUTERS

Zäune und befestigte Grenzanlagen wachsen bereits seit Jahren an verschiedenen Außengrenzen der EU, insbesondere in Griechenland, Bulgarien, Ungarn, Kroatien, Polen, Litauen und auch Spanien. Inzwischen sind es rund 2000 Kilometer. Vor zehn Jahren waren es nur 300 Kilometer. Italien will seine Häfen für Einwanderer möglichst dicht machen und den privaten Seenot-Rettungsschiffen striktere Regeln verpassen.

Der Beauftragte für Außenpolitik der Europäischen Union, Josep Borrell, sagte beim Gipfel in Brüssel, der Bau einer "Festung Europa" werde auf Dauer nicht weiterhelfen. "Die Menschen verlassen ihre Länder, weil sie dort keine Zukunft, keinen Frieden, keine Stabilität haben", so Borrell. Deshalb müsse es mehr legale Wege nach Europa geben.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen