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Politik

EU-Gipfel ohne klare Haltung

20. Oktober 2016

Die EU sucht ein Rezept für den Umgang mit Moskau, einen Weg zum Brexit und einen Kompromiss mit Wallonien. Wallonien? Ja. Es geht um die Handlungsfähigkeit der EU. Aus Brüssel Bernd Riegert.

EU Gipfel in Brüssel - Bundeskanzlerin Angela Merkel
Bild: picture-alliance/dpa/Y. Valat

Während sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Brüssel zum Gipfeltreffen versammelten, verlängerte Moskau die einseitige Feuerpause rund um die syrische Stadt Aleppo scheibchenweise bis zum Samstag. Ein Zeichen guten Willens oder Ergebnis der Gespräche zwischen Bundeskanzlerin Merkel, Präsident Hollande und dem russischen Staatschef am Mittwochabend in Berlin? Das konnte in Brüssel niemand so genau beurteilen, denn Wladimir Putin gilt, so sehen das EU-Diplomaten, schon lange als schwer berechenbar. "Diese Unberechenbarkeit der Außenpolitik Russlands ist eine Gefahr", sagte der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz. Russland breche in Syrien alle internationalen Regeln, weil es die Versorgung der Bevölkerung unterbinde.

Sanktionen gegen Russland bleiben "auf dem Tisch"

Darum steht auf der Tagesordnung der Gipfelteilnehmer auch eine grundsätzliche Aussprache über eine Strategie, wie der als aggressiv empfundenen Politik Putins auf der Krim, in der Ostukraine und in Syrien begegnet werden kann. Der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, sagte zu Beginn des Brüsseler Treffens, man könne Russland nicht beurteilen, ohne auch immer das Leid in den zerbombten Städten Syriens zu sehen, wo die russische Luftwaffe den syrischen Machthaber Assad im Bürgerkrieg unterstützt. "Die EU sollte sich alle Optionen offen halten. Das schließt Sanktionen gegen Russland mit ein", sagte Tusk.

Die Meinungen unter den 28 Staats- und Regierungschefs zu neuen Sanktionen gegen den Kreml sind unterschiedlich. Ungarn, Italien und Griechenland sehen sie aus eigenen wirtschaftlichen Interessen heraus eher kritisch. Deutschland droht ab und an damit. Deshalb findet sich in einem Entwurf der Gipfelerklärung die weiche Kompromissformel, dass die Sanktionen, die als "weitere Maßnahmen" beschrieben werden, als Möglichkeit auf dem Tisch liegen. "Da bleiben sie aber auch liegen, auch nach diesem Gipfel", sagte ein deutscher Diplomat dazu. Beschlüsse sind von diesem Gipfel nicht zu erwarten. Eine Erleichterung der Sanktionen, die gegen Russland wegen dessen militärischen Eingreifens in der Ukraine verhängt wurden, schloss der niederländische Premier Marc Rutte aus. Darüber war noch beim letzten Gipfel im Juni spekuliert worden.

Merkel will klare Haltung der EU

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande sollen dem Rest des Europäischen Rates von ihren Eindrücken nach der Begegnung mit Wladimir Putin in Berlin berichten. "Ich glaube, es ist richtig, miteinander zu reden", sagte Merkel zu ihrem Gespräch mit Putin. "Aber es geht nicht um das Reden um des Reden willen. Es geht auch darum, eine klare Haltung zu verdeutlichen." Das Bombardement von Zivilisten in Aleppo mit Unterstützung Russlands sei völlig unmenschlich. Sie hoffe, dass die EU sich auf eine gemeinsame Haltung einigen könne, sagte Merkel. "Wir wollen nicht nur einen stundenweisen, sondern einen dauerhaften Waffenstillstand."

Brexit wird nur gestreift

Theresa May beim ersten EU-Auftritt: Großbritannien will verlässlicher Partner bleibenBild: Picture-Alliance/AP Photo/A. Grant

Eine Premiere ist das Gipfeltreffen für die neue britische Premierministerin Theresa May, die ihren Kolleginnen und Kollegen im Ratsgebäude, ihren Weg zum Austritt Großbritanniens aus der EU erklären will. May äußerte sich beim Betreten des Gebäudes nur kurz. Lächelnd sagte sie, Großbritannien wolle auch nach dem Verlassen der EU ein verlässlicher Partner bleiben. "Wir warten auf den Antrag Großbritanniens. Es ist an Großbritannien zu sagen, wie sie diesen Antrag stellen wollen. Also brauchen wir uns damit heute nicht vertieft zu beschäftigen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Verhandlungen in der Sache könne es erst geben, wenn der Artikel 50 des Lissabon-Vertrages von der britischen Regierung gezogen werde, betonte auch der Vorsitzende des Europäischen Rates, Donald Tusk. Deshalb gab es keinerlei inhaltliche Äußerungen zum künftigen Verhältnis zwischen EU und Großbritannien. Die Briten sollten das Verfahren so schnell wie möglich, noch vor März 2017, in Kraft setzen, empfahl der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz.

Die große Unbekannte: Wallonien

Überschattet wird der Herbstgipfel der EU von einem Thema, das eigentlich gar nicht auf der Tagesordnung stand: CETA. Das unterschriftsreife umfassende Handelsabkommen der EU mit Kanada hängt in der Luft, weil die wallonische Regionalregierung in Belgien ihre Zustimmung verweigert. Intensive Verhandlungen der belgischen Föderalregierung und der EU-Kommission mit den störrischen Wallonen brachten bisher keine Fortschritte. Dabei wird die Zeit knapp. Der kanadische Premierminister Justin Trudeau will bis spätestens Montagmittag wissen, ob er in sein Flugzeug steigen kann, um das CETA-Abkommen am kommenden Donnerstag in Brüssel feierlich zu unterzeichnen. Die EU-Staats- und Regierungschefs können nicht viel tun, außer ihren belgischen Kollegen Charles Michel zu drängen, Druck auf die Wallonen auszuüben. Die Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der Europäischen Union hänge von CETA ab, mahnte der Ratspräsident der EU, Donald Tusk. "Wenn wir es nicht schaffen, CETA durchzubringen, dann wird CETA das letzte Handelsabkommen sein, das wir jemals verhandelt haben."

Proteste gegen CETA in der Wallonie: Das Provinz-Parlament sagt Nein zu dem Abkommen mit KanadaBild: picture-alliance/dpa/Belga/L. Dieffembacq

Walloniens Premier bei CETA unbeugsam

Derweil hatte der belgische Ministerpräsident Charles Michel Mühe, das innerbelgische Problem den anderen EU-Regierungschefs in Brüssel plausibel zu machen. "Das ist ein heikler Moment für ganz Belgien", gestand Michel zu. EU-Diplomaten und der wallonische Ministerpräsident Magnette sind sich zumindest in einem Punkt einig: Mit den Verhandlungen über CETA hätte man früher anfangen können, denn schon vor einem Jahr hatte die südliche Provinz Belgiens erste Bedenken angemeldet.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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