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Politik

EU-Gipfel: Scholz in der Defensive

Barbara Wesel
30. Mai 2022

Der Bundeskanzler lobt die Einigkeit der EU in der Ukraine-Politik, während er international wegen Zauderns bei Waffenlieferungen angegriffen wird. Ein Öl-Embargo gegen Russland scheitert derweil weiter an Ungarn.

Belgien Brüssel | EU GIpfeltreffen - Olaf Scholz
Olaf Scholz bei seiner Ankunft auf dem GipfelBild: Geert Vanden Wijngaert/AP/picture alliance

Olaf Scholz zeigte sich zum Auftakt des Gipfeltreffens in Brüssel ungewöhnlich gesprächig und optimistisch. Europa habe bereits gezeigt, dass es gemeinsam gegen die russische Aggression in der Ukraine handeln könne und er sei zuversichtlich, dass es auch so bleiben werde, erklärte der Bundeskanzler. Damit widerspricht er jenen, die tiefer werdende Risse in der europäischen Einigkeit sehen wollen. Scholz zeigte sich sogar optimistisch hinsichtlich eines Kompromisses beim aufgeschobenen Öl-Embargo. 

Es ist bei Gipfeltreffen verpönt, dass die Regierungschefs sich gegenseitig offen kritisieren. Sogar der ungarische Premier Viktor Orban, der ein wochenlanges Polittheater um seine Zustimmung zum Ölembargo gegen Russland aufführt, wird verschont. Da lässt sich allenfalls aus den Bemerkungen des Letten Arturs Karins ableiten, dass er mit der Richtung der gemeinsamen Politik nicht glücklich ist: "Erst wenn Russland besiegt ist, können wir uns in Europa sicher fühlen." Die baltischen Länder sind neben Polen die größten Kritiker von Vorschlägen, für eine Einigung und einen Waffenstillstand mit Präsident Putin auch Gebietsverluste in Kauf zu nehmen.

Kritische Kommentare

Ein Blick in die internationale Presse aber müsste Olaf Scholz aufgeschreckt haben. Die britische Zeitung "The Times" attestiert ihm am Montag in einem Leitartikel, Deutschland erscheine als klarer Verlierer in der diplomatischen Arena. "Deutschlands Zögerlichkeit bei der Lieferung von Waffen und Hilfe für Kiew und seine Zweideutigkeit bei den Bedingungen für einen Waffenstillstand und das Kriegsende sind für Verbündete und viele Deutsche eine Quelle der Frustration geworden." Der Mangel an entschlossener Führungskraft in Berlin ermutige Putin und die widersprüchlichen Botschaften gegenüber der Ukraine verschlechterten die Sicherheitslage.

Ähnlich kritische Kommentare waren auch schon in anderen einflussreichen Medien und bei internationalen Thinktanks zu lesen und zu hören. "Zu Beginn dieser Krise schien es Olaf Scholz' Strategie zu sein, so wenig wie möglich so spät wie möglich zu tun, um nicht auf der falschen Seite der Geschichte zu landen", kritisierte Jessica Berlin vom German Marshall Fund. Der polnische Präsident Andrzej Duda wiederum wunderte sich öffentlich, warum der Ringtausch bei Panzern, die Warschau an die Ukraine geliefert hatte, nicht klappen würde. Deutschland habe die Ersatzlieferung an Polen doch versprochen.

Am Wochenende erntete Olaf Scholz dann einen Twittersturm, als er beim Katholikentag zum Krieg in der Ukraine eher philosophische Fragen aufzuwerfen schien.

Es schlug ihm der Zorn derer entgegen, die ihm vorwerfen, dass Berlin die versprochenen Waffenlieferungen an die Ukraine mit fadenscheinigen Begründungen verzögere.

Auch aus dem Europaparlament gibt es scharfe Töne gegen den Kanzler:

"Von einem demokratischen Deutschland erwarte ich eine völlig andere Haltung. Nach dem Schrecken des zweiten Weltkriegs ist es seine Verantwortung, die Führung zu übernehmen dabei der Ukraine militärisch und finanziell zu helfen", schrieb der liberale Abgeordnete und ehemalige belgische Premier Guy Verhofstadt auf Twitter.

In diesem Klima wird Olaf Scholz es bei den Gipfeldiskussionen über die gemeinsame Ukraine-Politik schwer haben, seine Ziele zu verfolgen oder gar die Rolle des Vermittlers zwischen den großen Lagern in der EU zu spielen.

Viktor Orban blockt und pokert

Seit fast vier Wochen streitet die EU, vor allem mit der Regierung in Budapest, über das Ölembargo und das sechste Sanktionspaket gegen Russland. Inzwischen liegt eine abgeschwächte Fassung auf dem Tisch, wonach zum Jahresende die Öllieferungen per Tankschiff auslaufen, die Lieferungen über die Druschba-Pipeline aber für die nächsten Jahre weiterlaufen sollen. Die Pipeline ist wichtig vor allem für Ungarn, die Slowakei und die tschechische Republik, die keinen Zugang zu Häfen haben. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen war dennoch skeptisch, dass der peinliche Streit beim Gipfel würde beigelegt werden können. 

Während der slowakische Premier vor dem Gipfel noch einmal an seinen Kollegen Orban appelliert hatte, das Sanktionspakt bitte mitzutragen, nutzte der die Gelegenheit zum großen Auftritt. "Es gibt keine Einigung, es gibt keinen Kompromiss", sagte Orban. Ungarn sei in seiner sehr schwierigen Position. "Wir haben keine Lösung", sagte er weiter, obwohl Brüsseler Diplomaten in unendlichen Verhandlungsstunden eine Lösung für ihn maßgeschneidert hatten. Schließlich erklärte er, er werde die Sanktionen nur dann mittragen, wenn ihm zugesichert werde, dass Ungarn bei einen Pipeline-Unfall russisches Öl auch per Schiff beziehen könne.

Immer wieder hatten EU-Diplomaten versichert, es gehe bei diesem Zank nicht um politische Grundsatzfragen sondern um technische Probleme einzelner Mitgliedsländer. Allerdings bezweifeln viele Beobachter, dass Viktor Orban nur Sorge um seine Öllieferungen hat. Sie vermuten, dass er die Gelegenheit zu einem politischen Schaukampf nutzt, bei dem er sich als starker Mann in der EU und treuer Freund von Wladimir Putin zeigen kann. Die Niederlande reagierten verschnupft und wiesen darauf hin, dass das Gleichgewicht unter den EU-Ländern erhalten werden müsse. Auch deshalb solle es Ungarn zumindest verboten werden, billige Ölprodukte aus Russland in der EU weiterzuverkaufen.

Zerstörungen im Donbass in der OstukraineBild: Alex Chan/ZUMA Wire/IMAGO

Das Sondertreffen in dieser Woche soll den Boden bereiten für den regulären Gipfel Ende Juni, bei dem dann Grundsatzentscheidungen fallen sollen. Dazu gehört die Beitrittsfrage. Soll der Ukraine wenigstens der Kandidatenstatus gewährt werden oder nicht? Frankreich und die Niederlande etwa sind dagegen, viele Osteuropäer unterstützen den Antrag Kiews. "Der Kandidatenstatus ist eine politische Entscheidung", sagt der Lette Karins, sie verpflichte nicht zur Aufnahme und sei ein Signal. Die EU solle sich offen zeigen für neue Mitglieder. Aber da auch hier Einstimmigkeit herrscht, sieht es derzeit nicht nach einer positiven Entscheidung aus.

Der lettische Premier erinnerte auch noch einmal daran, worum es eigentlich geht: "Wir bleiben in den Details stecken und vergessen, das Bild im Großen: Die Ukraine kämpft für unsere Werte (…) und wir müssen sie unterstützen." Dazu gehört aber die offene Frage, wie das Endspiel aussehen solle. Die drei großen Länder Frankreich, Deutschland und Italien wollen eine baldige Friedenslösung, selbst wenn die Ukraine auch auf Gebiete verzichten müsste. Die Osteuropäer und die USA wollen den Krieg weiterführen, bis Russland entscheidend geschwächt wäre. Dieser Grundwiderspruch dürfte die Einigkeit der EU in den nächsten Monaten noch auf eine schwere Probe stellen.

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