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PolitikEuropa

EU-Gipfel: Schwache Antwort auf Omikron-Warnungen

17. Dezember 2021

Mehr Impfen! - empfiehlt der EU-Gipfel gegen die aggressive Omikron-Variante. Das reicht nicht - sagt die EU-Seuchenbehörde. Viele Appelle, wenig konkrete Beschlüsse zur Pandemie. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Symbolbild | Coronavirus | Impfstoff EU
Auffrischen: Impfstoff ist ausreichend vorhanden, heißt von der EU-KommissionBild: Thiago Prudencio/ZUMAPRESS/picture alliance

Bei seinem ersten EU-Gipfel in Brüssel konnte der neue Bundeskanzler Olaf Scholz die Debattenkultur der Staats- und Regierungschefs gleich einmal am eigenen Leib erfahren. Um 10 Uhr morgens ging es los - und dann saß man 14 Stunden beisammen, nahm gemeinsam zwei Mahlzeiten ein und redete viel, obwohl die Gipfelregie von EU-Ratspräsident Charles Michel vorgesehen hatte, dass keine harten Beschlüsse gefasst werden. Man wollte sich nur austauschen über die Bekämpfung von Corona, die Bedrohung durch Russland und die EU-Verteidigungspolitik.

Doch schon beim Thema COVID-19 biss man sich fest. Wenn jeder der Gipfelteilnehmer nur fünf Minuten zu einem Thema spricht, sind bei 27 EU-Mitgliedern gleich mal gut zwei Stunden herum. Kontroverse Debatten können also dauern. Er habe schon an vielen solcher Veranstaltungen teilgenommen, "deshalb war ich nicht überrascht. Ich habe mich wohl gefühlt", kommentierte Scholz den Gipfel.

Erster Gipfel als Kanzler gleich ein Marathon: Olaf Scholz (l.)Bild: Dursun Aydemir/AA/picture alliance

Bei Corona alle gemeinsam und jeder für sich

Bei der Eindämmung der Pandemie beschworen die Staats- und Regierungschefs die Notwendigkeit, sich untereinander abzusprechen, welche Maßnahmen verhängt werden. Gegenseitig müsse man sich informieren. Die konkrete Arbeit wird der EU-Kommission zugeschoben. Die kann aber nur feststellen, dass einige EU-Mitglieder zum Bespiel wieder aus der Reihe tanzen und zusätzliche Reisevoraussetzungen fordern.

Portugal, Irland, Griechenland und Italien verlangen neben einer Impfung gegen Corona jetzt auch einen negativen Test für die Einreise. Frankreich will ab Sonntag keine Menschen aus Großbritannien mehr ohne Impfung und Test einreisen lassen. Begründet wird die neue Testpflicht mit der rasanten Ausbreitung der Omikron-Variante in der EU.

Andere Mitgliedsländer halten hingegen an dem COVID-Zertifikat der EU als Reisevoraussetzung fest, das eine Impfung, Genesung oder negative Testung vorsieht. Einig war man sich in der Gipfelrunde wiederum, dass die Gültigkeit des COVID-Zertifikats bei den Impfungen auf maximal neun Monate begrenzt werden soll. Spätestens dann wäre eine dritte Auffrischungsimpfung nötig, um die Gültigkeit zu verlängern.

Ebenso einig waren sich die versammelten Regierungschefs, dass sich die epidemiologische Lage in der EU mit der Omikron-Variante rapide verschlechtert. "Wir unterstreichen wie lebenswichtig die Impfung im Kampf gegen die Pandemie ist", schreibt der EU-Gipfel in sein Protokoll. Doch noch immer sind die Impfquoten in der EU sehr ungleich verteilt. Viele Staaten vor allem in Osteuropa hätten Quoten unter 60 Prozent, mahnte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Auch die Auffrischungen, das Boostern, müssten massiv vorangetrieben werden, forderten die Gipfelteilnehmer. Gegen Impfmüdigkeit und Fehlinformationen müsse man vorgehen. Organisieren müssen sie das zuhause allerdings selbst.

Andrea Ammon: Impfen alleine reicht nicht - die Zeit ist zu knappBild: Jessica Gow/picture alliance

Alarm von den eigenen Experten

Während die Beratungen in Brüssel liefen, formulierte die Leiterin der Europäischen Seuchenbehörde (ECDC), Andrea Ammon, in Stockholm dringende Warnungen. Es sei unabwendbar, dass die hochansteckende Omikron-Variante in wenigen Wochen das Infektionsgeschehen in der EU in ungeahnte Höhen treiben werde, mahnt die Seuchenbehörde.

"Omikron wird zu einer Zunahme der Hospitalisierungen führen. Die Staaten sollten ihre Impf- und Boosterkampagnen enorm verstärken", forderte Ammon. "Impfungen alleine werden die Auswirkungen der Omikron-Variante nicht begrenzen können, denn es fehlt schlicht die Zeit. um die Impflücken zu schließen, die immer noch bestehen." Die Leiterin der EU-Behörde empfiehlt deshalb europaweite Einschränkungen bei Reisen, Feiern, Veranstaltungen und allen möglichen Kontakten, sprich einen "Lockdown". Auf diese Forderung gab es vom EU-Gipfel keine erkennbare Antwort.

Im Gegenteil. Der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel ist gegen mehr Einschränkungen. "Ich glaube nicht, dass Reisebeschränkungen die richtige Antwort sind. Seit zwei Jahren müssen wir alle mit dem Virus leben. Jetzt allen zu sagen, bleibt zuhause? Irgendwann reichts es!", sagte Bettel in Brüssel. Auch in Luxemburg demonstrieren Menschen gegen Corona-Maßnahmen und 3G-Regeln. Vor Bettels Haus hatten sich vor zwei Wochen Impfgegner zu Protesten versammelt.

In einigen Ländern nicht mehr ausreichend: einheitliches COVID-Zertifikat der EUBild: Jakub Porzyck/ NurPhotoi/picture alliance

Provisorische Krankenhäuser nötig?

In den Empfehlungen der EU-Seuchenbekämpfungsbehörde, die parallel zum Gipfel veröffentlicht wurden, findet sich auch der Satz: "Die sofortige Planung für einen Ausbau der Kapazitäten im Gesundheitswesen, um die hohe Zahl an neuen Fällen behandeln zu können, sollte erwogen werden." Die ECDC empfiehlt also den Aufbau von provisorischen Krankenhäusern und Lazaretten, um die Behandlung von COVID-Patienten in den nächsten Wochen sicherzustellen.

Auf diese Empfehlung der eigenen EU-Fachleute hat der Gipfel der Staats- und Regierungschefs nicht erkennbar reagiert. Sollte sich bewahrheiten, dass sich die Infektionen mit Omikron wie in Großbritannien alle zwei bis drei Tage verdoppeln, könnte es schon um die Jahreswende Hunderttausende von neuen Fällen in der EU geben. Die Omikron-Variante führe wegen ihrer rasanten Verbreitung und der enormen Fallzahlen zu einer Krise, auch wenn der Krankheitsverlauf milder sein sollte, meinte Behördenchefin Ammon in ihrer Videobotschaft an den Gipfel und die Öffentlichkeit.

Bettel, der Premier von Luxemburg, drückte seine Stimmung bei den Beratungen zu Corona so aus: "Das Schreckliche mit dieser Krise ist ja, man kann nichts planen. Ich kann nichts planen. Ich kann Ihnen nicht sagen, was in sechs Monaten los ist."

Vor zwei Jahren gab es den letzten Dialog mit Russland zu den Konflikten mit der Ukraine: Die EU bietet neue Gespräche anBild: Alexei Nikolsky/TASS/picture alliance

Signal an Putin

Wie mehrfach angekündigt, schickte der EU-Gipfel eine ernste Warnung in Richtung Moskau wegen des russischen Truppenaufmarsches an der ukrainischen Grenze. Man sei sich einig, dass "es von allergrößter Bedeutung ist, dass Grenzen in Europa nicht verschoben werden", sagte Bundeskanzler Scholz in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Die EU droht ernste Konsequenzen an, sollte Russlands Präsident Putin sich zu einer Aggression entschließen. Beschlossen wurden neue Wirtschaftssanktionen noch nicht. Sie werden aber vorbereitet. Im Falles eines Falles könnte die EU innerhalb weniger Stunden in der Lage sein, Russland zum Beispiel vom internationalen Zahlungssystem "Swift" abzukoppeln. Die von vielen Staaten geforderte Einbeziehung der russisch-deutschen Gaspipeline Nord Stream 2 in das Sanktionspaket ist noch nicht vereinbart. Scholz ließ eine Entscheidung darüber noch offen.

Die vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geforderten "präventiven" Sanktionen bereits jetzt schloss die EU aus. Sie möchte weiter versuchen, einen Dialog mit dem Kreml zustande zu bringen. Scholz und Macron sprachen sich für eine Wiederbelebung des "Normandie"-Formats unter Einbeziehung des russischen und des ukrainischen Präsidenten aus. Putin hatte ja direkte Verhandlungen über "Sicherheitsgarantien" für Russland verlangt. Die Militärallianz NATO bot erneut Gespräche im "NATO-Russland-Rat" an. 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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