Gespaltener Gipfel
18. Oktober 2012Das deutsch-französische Duo versucht gar nicht mehr, seine Differenzen zu verbergen. Zwar haben sich die christdemokratische Bundeskanzlerin Angela Merkel und der sozialistische Präsident Francois Hollande kurz vor Gipfelbeginn zu einem Zweiergespräch zusammengesetzt, das nach deutschen Delegationskreisen "in guter Atmosphäre" verlaufen ist. Doch die Unterschiede sind deutlich. Merkel goss schon gleich bei ihrer Ankunft in Brüssel Wasser in den Wein derer, die sich von diesem Gipfel einiges erwarten: "Dies wird ja kein Rat sein, auf dem wir schon Entscheidungen treffen, sondern wir bereiten die Entscheidungen für Dezember vor." Es gelte jetzt, die Weichen richtig zu stellen. "Und deshalb werden wir gut zu tun haben."
Schnell, gründlich oder lieber gar nicht?
Die Deutschen wollen vor allem mehr Haushaltsdisziplin durchsetzen. Am liebsten würden sie dazu den EU-Währungskommissar so aufwerten, dass er unsolide nationale Haushalte zurückweisen kann. Sie wissen aber, dass das eine Idee für die Zukunft ist. Dagegen bremst Berlin bei dem einzigen konkreten Punkt, bei dem der Gipfel ein Ergebnis bringen könnte, nämlich bei der Bankenaufsicht. Erst wenn eine europäische Bankenaufsicht steht, kann der Rettungsfonds ESM auch Banken direkt unterstützen, worauf vor allem Spanien hofft.
Merkel geht hier Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Doch sie hat auch grundsätzliche Bedenken und die Sorge, letztlich könnten zum Beispiel deutsche Sparer für wankende spanische Banken geradestehen müssen. Hollande stellte sich bei seiner Ankunft offen gegen die deutsche Agenda: "Das Thema für diesen Gipfel ist die Bankenunion und nicht die Haushaltsunion." Die Bankenunion will er "bis zum Jahresende umsetzen". Als Erklärung für die Meinungsunterschiede sieht Hollande den Wahlkalender: "Wir hatten im Mai eine Wahl, Frau Merkel hat im September 2013 ihre Wahl. Ich kann diese Unterschiede verstehen, die sich aus den Wahlterminen ergeben." Frankreich und Deutschland hätten aber eine gemeinsame Verantwortung, aus der Krise herauszukommen.
Zwei Lager
Der Gipfelbeginn zeigte auch schon gleich die beiden informellen Lager, die sich jeweils um Deutschland und Frankreich gebildet haben. Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann, Sozialist wie Hollande, riet dazu, ohne Deutschland namentlich zu nennen, die Bankenaufsicht "nicht bewusst zu verzögern, sondern eher zu beschleunigen". Und der belgische Ministerpräsident Elio di Rupo, ebenfalls Sozialist, sprach vom "Teufelskreis schwachen Wirtschaftswachstums". Stattdessen solle "jedes Mitgliedsland dem anderen helfen, zu einer wirtschaftlichen Verbesserung zu kommen."
Die Deutschen legen dagegen mehr Wert auf solide Staatsfinanzen. Diese Position wird zum Beispiel vom konservativen schwedischen Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt geteilt. Gemeinsamen Euro-Anleihen, einem Lieblingsprojekt Hollandes, erteilte er indirekt eine Absage: "Für mich geht es in Europa nicht darum, die Schulden der Vergangenheit zu teilen. Für mich geht es darum, wettbewerbsfähiger zu werden."
Briten auf dem Rückzug
Auch der britische Premierminister David Cameron sieht Europa vor allem in einem weltweiten Wettbewerb, den es zu verlieren drohe. Er forderte "Deregulierung, Kostensenkung für Unternehmen, Unterstützung der Wirtschaft". Vor allem werde der europäische Binnenmarkt zu wenig genutzt. Der sei das wichtigste in Europa und könne ein Wachstumsmotor sein. Doch die Äußerung zeigt schon: An politischer Integration ist Cameron nicht gelegen. Die Briten haben zwar mit London den mit Abstand wichtigsten Finanzplatz Europas. Sie wollen aber keinerlei weitere Kompetenzen an Brüssel abtreten und befinden sich insgesamt auf dem Rückzug aus Europa.
Stabilitätspakt: War da was?
Einen vielleicht überraschenden Verbündeten hat Frau Merkel in Martin Schulz gefunden, dem Präsidenten des Europaparlaments, der trotz seiner neutralen Position aus seiner früheren Funktion als Chef der sozialistischen Fraktionen keinen Hehl macht. Schulz erinnerte daran, dass sich die Mitgliedsstaaten ja einmal einen Stabilitätspakt gegeben, ihn aber nicht eingehalten hätten. Ob nun ein Währungskommissar oder der Präsident der Eurozone für mehr Disziplin sorgen solle, sei letztlich nicht so wichtig. "Aber das Ziel, durchzusetzen, dass es irgendwann mal ein Bekenntnis zur Einhaltung der eigenen Kriterien gibt, das finde ich richtig."