1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

EU-Gipfel streitet über Gaspreis und Energiekrise

15. Dezember 2022

Nur einen Tag soll der EU-Gipfel an diesem Donnerstag dauern. Doch die Liste der Probleme ist sehr lang: Energiekrise, Russlands Krieg, Querulant Ungarn und Westbalkan-Staaten. Aus Brüssel Bernd Riegert.

EU Flagge vor Hochhäusern
Flagge zeigen zum Jahresende: Die Staats- und Regierungschefs wollen Europas Energieversorgung sichern - nur wie?Bild: picture-alliance/NurPhoto/N. Economou

Normalerweise dauert der Dezember-Gipfel der Europäischen Union zwei Tage. In diesem Jahr hat Ratspräsident Charles Michel das Treffen der Chefinnen und Chefs aus den 27 Mitgliedsstaaten auf den Donnerstag beschränkt. Warum, ist vielen EU-Diplomaten in Brüssel nicht klar, denn die Liste der Probleme, die es abzuarbeiten gilt, ist am Ende dieses Krisen- und Kriegsjahres lang.

Deshalb geht man in Brüssel von einer quälenden Nachtsitzung bis zum Freitagmorgen aus. Schlafentzug ist bei EU-Verhandlungen eine bewährte Taktik, um störrische Regierungschefs oder -Chefinnen mürbe zu machen und am Ende einen irgendwie vertretbaren Kompromiss zu finden.

Denn ein Ziel gilt auch für diesen Gipfel: "Einigkeit ist der Schlüssel", schrieb Ratspräsident Charles Michel in seiner Einladung für das Treffen. Die EU will souverän und geschlossen auftreten, um Russland zu demonstrieren, dass die Antwort der EU auf den russischen Krieg gegen die Ukraine klar bleibt.

Fokus auch bei diesem Treffen: Der russische Krieg gegen die Ukraine, die Folgen für das Land und die EUBild: Philip Reynaers/BELGA/dpa/picture alliance

"Die Ukraine ist, wie immer, der Mittelpunkt unserer Bemühungen", so Charles Michel. Die EU müsse auf die russische Eskalation und den Winter als Waffe eine entsprechende Antwort geben. Neben humanitärer Hilfe brauche die Ukraine langfristige Zusagen für militärische Ausrüstung und Finanzmittel. Darüber werde der Gipfel debattieren. Welche Punkte stehen auf der Tagesordnung?

EU debattiert Finanzhilfen für die Ukraine

Nachdem Ungarn seinen Widerstand aufgegeben hat, kann die EU der Ukraine im kommenden Jahr 18 Milliarden Euro an direkten Haushaltshilfen gewähren, damit der Staat Gehälter und Renten zahlen kann. Hinzu kommen noch einmal 5,5 Milliarden Euro, die in die "Europäische Friedensfazilität" eingezahlt werden, um weiter Waffen und Munition für die ukrainische Armee finanzieren zu können.

Die Ukraine wünscht sich mehr Raketenabwehrsysteme - wer wird liefern?Bild: Simon Jankowski/NurPhoto/picture alliance

Die EU-Kommission schlägt vor, die Budgetbeihilfen für die Ukraine für mehrere Jahre zuzusagen, damit Kiew sicherer planen kann. Es gilt der Satz von allen EU-Gipfeln dieses Jahres: "Die EU hilft der Ukraine, solange es nötig ist." Die Frage, welche Waffen geliefert werden können, ist allerdings umstritten. Sollen Patriot-Abwehrsysteme aus Bundeswehrbeständen dabei sein?

Brüssel will Sanktionen gegen Russland ausweiten

Trotz intensiver Verhandlungen hatte die EU Mühe, sich bis zum Beginn des Gipfels auf das mittlerweile neunte Sanktionspaket gegen Russland zu einigen. Nach Angaben von EU-Diplomaten versuchte die ungarische Regierung, einige Personen in Russland von der Sanktionsliste herunterzunehmen. Rund 200 russische Funktionsträger sollen wegen der Angriffe auf die Infrastruktur der Ukraine mit Einreisesperren und dem Einfrieren ihres Vermögens bestraft werden.

Ungarn, das immer noch gute Beziehungen zum Kreml unterhält, schert immer wieder aus. Im Juni hatte der ungarische Premier Viktor Orban durchgesetzt, dass der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill nicht sanktioniert wurde. Der Kirchenfürst gilt als enger Verbündeter von Russlands Machthaber Wladimir Putin.

Wie lässt sich die Energiekrise in der EU abmildern?

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat die EU im Laufe des Jahres den Import von Kohle und Öl aus Russland drastisch reduziert und mit Sanktionen belegt. Russland hat den Export von Gas in die EU drastisch zurückgefahren, obwohl Erdgas von Sanktionen nicht betroffen ist.

Dies hat zu einer Explosion der Preise auf den Energiemärkten geführt. Die EU reagiert mit dem Ausweichen auf andere Lieferanten, mehr Flüssiggas aus den USA und Katar sowie Sparmaßnahmen. Die hohen Preise wollen die EU-Mitgliedsstaaten mit einem ganzen Bündel von verschiedenen Preisdeckeln, Preisbremsen und direkten Beihilfen abfedern.

Sehnsuchtsort Brunsbüttel: Das erste deutsche Flüssiggas-Terminal geht in BetriebBild: Marcus Brandt/dpa/picture alliance

Auf eine EU-weite Deckelung des Einkaufpreises für Erdgas auf dem Weltmarkt konnten sich die 27 Mitgliedsstaaten trotz monatelanger Verhandlungen nicht einigen. Die Hälfte der EU-Staaten, darunter Frankreich und Italien, fordern einen Preisdeckel für den Einkauf.

Die andere Hälfte, dazu gehören Deutschland und die Niederlande, lehnen einen strikten Preisdeckel ab, weil dann die Versorgung gefährdet sein könnte. Gaslieferanten könnten ihre Schiffe nach Asien lenken, um dort höhere, ungedeckelte Preise zu erreichen.

Die EU-Kommission hat als Kompromiss eine Gaspreis-Begrenzung  bei 275 Euro pro Megawattstunde vorgeschlagen, die nur bei extrem hohen Preisen tatsächlich angewendet würde. Auf diese "Notbremse" konnten sich die Regierungen bisher nicht einigen. Es werden lange Diskussionen bei diesem Gipfeltreffen erwartet.

Immer noch nicht beschlossen ist die gemeinsame Einkaufs-Plattform für Gas-Anbieter in der EU. Sie sollen ihre Marktmacht bündeln und mit gemeinsamer Nachfrage die Preise drücken. Bei der Einkaufsgemeinschaft sollen auch die Beitrittskandidaten auf dem Westbalkan mitmachen.

Macht Europa noch mehr Schulden?

Die Kritik vieler EU-Mitglieder an den deutschen Milliarden-Hilfspaketen für private Haushalte und Unternehmen hat Bundeskanzler Olaf Scholz bei vorangegangenen Gipfeln zurückgewiesen. Insbesondere Frankreich hatte kritisiert, der "Doppelwumms" von 200 Milliarden Euro führe zu Verzerrungen im EU-Binnenmarkt.

Nicht ganz so farbenfroh wie beim EU-Westbalkan-Gipfel letzte Woche wird es in Brüssel am Donnerstag zugehenBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bringt nun einen neuen europäischen "Souveränitäts-Fonds" ins Gespräch, aus dem Investitionen in neue Energiequellen und Infrastruktur finanziert werden könnten. Im Europäischen Parlament fiel dieser Vorschlag auf ein geteiltes Echo.

"Der Investitionsfonds braucht die Größenordnung des EU-Wiederaufbauprogramms NextGenerationEU", schlägt der grüne Europaabgeordnete Rasmus Andresen vor. Das wären 750 Milliarden Euro, die für den Aufbaufonds nach Corona erstmals über gemeinsame Schulden der EU finanziert werden.

Europa-Abgeordnete Markus Ferber von den Christdemokraten ist gegen einen solchen Fonds: "Es kann nicht sein, dass die Antwort der EU-Kommission auf jedes Problem darin besteht, ein neues schuldenfinanziertes Investitionspaket vorzulegen. Auch wenn die Kommission das vielleicht anders sieht: durch neue Schulden werden wir sicherlich nicht souveräner", kritisierte er.

Investitionsprogramme und staatliche Beihilfen werden auf dem Gipfel diskutiert werden. Beschlüsse werden noch nicht erwartet.

Der Westbalkan wartet auf die EU-Aufnahme

In der vergangenen Woche hatten sich die EU-Spitzen zudem mit den Vertretern der sechs Westbalkan-Staaten in Tirana getroffen und eine Beschleunigung der als geostrategisch wichtig erkannten Beitrittsprozesse versprochen. Jetzt könnte Bosnien-Herzegowina als fünftem Staat aus der Balkangruppe der "Kandidaten-Status" zuerkannt werden.

Das hieße, der relativ labile Staat käme Beitrittsverhandlungen einen Schritt näher. Kosovo, das von Serbien und fünf EU-Mitgliedern als Staat nicht anerkannt wird, könnte offiziell seinen Antrag auf Mitgliedschaft in der EU stellen. Der erste von vielen Schritten zum Beitritt.

Die EU erwartet von Serbien und Kosovo eine Lösung des Konflikts um nationale Souveränität. Nachdem die EU-Mission "EU-Lex" im Kosovo angegriffen wurde, hat der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell beide Seiten dringend zu Verhandlungen aufgerufen, die eigentlich bis zum Gipfeltreffen der EU an diesem Donnerstag konkrete Ergebnisse bringen sollen.

Der Artikel wurde korrigiert. In einer ersten Fassung stand die Aussage, dass Serbien und fünf andere EU-Mitgliedsstaaten den Kosovo anerkennen. Richtig ist, dass Serbien und die fünf EU-Mitglieder den Kosovo nicht anerkennen. 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen