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Politik

EU: Gemeinsame Schulden für Wiederaufbau?

23. April 2020

Nächste Runde im Solidaritätspoker: Die Staats- und Regierungschefs beraten über den Wiederaufbau nach der Pandemie und streiten über die Rechnung. Bernd Riegert aus Brüssel.

Symbolbild Coronavirus - EU-Videogipfel
EU-Gipfel per Video: Ratspräsident Michel (Mitte) sitzt wieder an den SchalthebelnBild: picture-alliance/ANP

Nennenswerte Entscheidungen seien vom vierten virtuellen Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs nicht zu erwarten, warnen EU-Diplomaten in Brüssel im Vorfeld der Videokonferenz am Donnerstag. Offenbar wollen sie die Erwartungen möglichst niedrig halten.

Höchstwahrscheinlich werden sich die 27 EU-Mitglieder nur dazu durchringen, der ebenfalls zugeschalteten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen schwierigen Auftrag zu erteilen. Sie soll bis Ende des Monats einen Plan vorlegen, der aufzeigt, wie groß ein Wiederaufbaufonds für die von Corona gebeutelte Wirtschaft sein sollte und vor allem, wie er finanziert werden sollte. Von der Leyen hatte von rund einer Billion (1000 Milliarden) Euro für einen "Marshallplan" gesprochen, die durch Kredite im gemeinsamen EU-Haushalt finanziert werden könnten.

Suche nach Gemeinsamkeiten

Vor vier Wochen konnten sich die Staats- und Regierungschefs auf keinen dieser Punkte einigen. Seitdem haben sich die Standpunkte kaum verändert, heißt es in Brüssel. Am Montag hatten sich fünf Regierungschefs im Streit um den Wiederaufbaufonds telefonisch zusammengeschaltet. Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Premier Giuseppe Conte, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte und der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez konnten sich nach Angaben der italienischen Nachrichtenagentur ANSA nicht auf eine mögliche Kompromisslinie einigen.

Conte, dessen Land nach den USA die zweitmeisten Corona-Toten in der Welt verzeichnet, besteht darauf, dass die EU-Staaten gemeinsam Schulden aufnehmen, um den Wiederaufbau zu finanzieren. Der italienische Premier hatte in Interviews und in einer Pressekonferenz in Rom noch einmal vehement für gemeinsame Anleihen plädiert, auch Corona- oder Eurobonds genannt. Conte versprach, dass mit diesem gemeinschaftlichen Instrument nicht die alten Staatsschulden Italiens, die bei 2,4 Billionen Euro liegen, finanziert werden sollen.

"Es geht nicht um die Vergemeinschaftung von Schulden aus der Vergangenheit oder in der Zukunft, sondern um eine begrenzte Maßnahme", sagte Conte. Die EU müsse der Welt ein starkes Signal geben, dass man gemeinsam aus der Pandemiekrise herausfinden werde. "Wir werden für Eurobonds kämpfen", sagte Conte in einer Fernsehansprache schon zu Ostern. "Ich werde keine Erklärung der EU-Staaten unterschreiben, die nicht die Instrumente enthält, die wir brauchen, um der Krise zu begegnen."

Giuseppe Conte in einer Fernsehansprache: Kampf für gemeinsame SchuldenBild: picture-alliance/NurPhoto/M. Ujetto

Italien will keine ESM-Kredite

Der parteilose italienische Regierungschef steht innenpolitisch unter großem Druck, weil beide Regierungsparteien, die populistischen "Fünf Sterne" und die Sozialdemokraten, für Corona-Bonds eintreten, die inzwischen auch "Wiederaufbau-Bonds" genannt werden. Die Finanzminister der Euro-Währungsgemeinschaft hatten vor zwei Wochen ein 540 Milliarden schweres Hilfspaket für bedrängte Mitgliedsstaaten geschnürt. In dem Paket ist auch eine vorsorgliche Kreditlinie für Italien in Höhe von 37 Milliarden Euro aus dem Europäischen Rettungsschirm (ESM) vorgesehen. Dieses Angebot empfindet der italienische Ministerpräsident geradezu als ehrenrührig. Der ESM sei stigmatisierend und würde harte Bedingungen für seine Kredite diktieren, argumentiert Conte. Die Zusicherung der Finanzminister, dass an die Kredite, anders als im Falle Griechenlands vor fünf Jahren, keine Auflagen gebunden sind, reichen Conte nicht.

Der Rettungsschirm ESM wird von der Regierungspartei "Fünf Sterne" und auch vom rechtsradikalen Oppositionsführer Matteo Salvini kategorisch abgelehnt. Deshalb ist unklar, ob Italien beim Gipfeltreffen an diesem Donnerstag dem bereits geschnürten Hilfspaket inklusive ESM-Krediten überhaupt zustimmen wird. Premier Conte hatte laut italienischen Medien sogar erneut damit gedroht, die ganze Videokonferenz platzen zu lassen. Conte weiß sich bei seiner Forderung nach gemeinschaftlichen Schulden für den Wiederaufbau in guter Gesellschaft mit Frankreich und Spanien. Auch diese beiden von der Pandemie schwer getroffenen Länder und sechs weitere haben für Corona-Bonds argumentiert.

Merkels Mantra: Solidarität ja, aber keine gemeinsame Haftung für alle (Archiv)Bild: Reuters/Y. Herman

Die Sparsamen sind gegen Corona-Bonds

Auf der anderen Seite des europäischen Grabens stehen Deutschland, Österreich, die Niederlande, Estland, Lettland und Finnland, die gemeinschaftliche Schulden ablehnen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Montag zwar im Prinzip einer Ausweitung des gemeinsamen EU-Haushalts zugestimmt. Wie genau aber die 1000 Milliarden für den Wiederaufbauplan zusammenkommen sollen, ließ sie offen. Sie sagte nur: "Deutschland wird sich an solidarischen Antworten beteiligen." In Berlinlehnen die konservativen Regierungsparteien CDU und CSU eine Haftung für gemeinsame Anleihen aus Prinzip und aus legalen Gründen ab. Der sozialdemokratische Koalitionspartner SPD kann sich für Corona-Bonds erwärmen, nicht aber ihr Finanzminister Olaf Scholz.

Osteuropäer fürchten Einbußen

Neben dem Graben zwischen Nord und Süd in der EU tut sich ein weiterer auf, berichten EU-Diplomaten aus den vorbereitenden Sitzungen für den Gipfel. Die osteuropäischen EU-Mitglieder, die bislang großen Nutzen aus dem EU-Haushalt gezogen haben, fürchten, dass die Mittel jetzt von Ost nach Süd umgeleitet werden sollen. Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und andere bestehen darauf, dass weder an den Zuschüssen für die Bauern noch an Strukturhilfen für schwache Regionen irgendwas gekürzt werden dürfe.

Die östlichen EU-Staaten sind im Moment von der Pandemie etwas weniger gebeutelt und würden aus einem Wiederaufbaufonds weniger stark bedacht werden als Italien. Die Kriterien, nach denen das Geld verteilt werden soll, das noch gar nicht eingenommen ist, sind ebenfalls heftig umstritten. Zudem soll der Wiederaufbaufonds zusammen mit dem sieben Jahre währenden Haushaltsrahmen (MFR) der EU beschlossen werden. Auf den konnten sich die Staats- und Regierungschefs schon vor der Corona-Krise im Februar nicht einigen. "Das wird durch diese Krise nicht unbedingt einfacher", sagte dazu ein EU-Diplomat.

Ratspräsident Michel (li.) will den Zankapfel Wiederaufbau an Kommissionspräsidentin von der Leyen weiterreichenBild: Reuters/J. Thys

Heißes Eisen weiterreichen

Der Ratspräsident der EU, Charles Michel, der von Brüssel aus die Videokonferenz moderiert, hat das übliche Einladungschreiben verfasst. Darin schreibt er, der Wiederaufbaufonds müsse so schnell wie möglich beschlossen werden und schiebt das heiße Eisen weiter: "Ich schlage vor, dass die EU-Kommission analysiert, was genau nötig ist, und einen Entwurf vorlegt, der den Herausforderungen gerecht wird." Charles Michel schreibt dann weiter, er wünsche sich eine offene Dikussion im Kreise der Regierungschefs. Die wird er sicherlich bekommen.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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