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PolitikEuropa

EU-Gipfel: Ukraine-Hilfen gebilligt, Probleme vertagt

16. Dezember 2022

Das Wesentliche hat der EU-Gipfel geschafft: Die Ukraine erhält weitere Hilfen. Andere Themen wurden verschoben, und Streit vertagt - so etwa der um den Gaspreisdeckel. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Der derzeitige EU-Vorsitzende Petr Fiala (Tschechien), EU-Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionschefin Ursula  von der Leyen reden auf einer Pressekonferenz
Dreifaltigkeit der EU: der derzeitige Vorsitzende Petr Fiala (Tschechien), Ratspräsident Charles Michel und Kommissionschefin Ursula von der LeyenBild: Olivier Matthys/AP/picture alliance

Da waren selbst erfahrene EU-Diplomaten und langjährige Gipfelteilnehmer erstaunt. Die 27 Staats- und Regierungschefinnen und -chefs beendeten ihr vorweihnachtliches Treffen viel schneller als erwartet. Nach zwölf Stunden war am Abend alles besprochen. Gerechnet hatten Diplomaten mit einem Hickhack bis zum frühen Freitagmorgen. Der Trick, den die tschechische Ratspräsidentschaft und der Ratsvorsitzende Charles Michel angewendet haben, war einfach: Kritische Themen und heiße Eisen wurden an die Ministerräte weitergereicht oder ins nächste Jahr verschoben.

Die Ukraine erhält mehr Hilfe

Was unbedingt gelingen musste, gelang. Die EU fasste einstimmig Beschlüsse zur weiteren Hilfe für die angegriffene Ukraine und zu einem weiteren Sanktionspaket gegen den Aggressor Russland. "Wir sind vereint und wir senden ein starkes Signal", freute sich Charles Michel.

Die Ukraine erhält im kommenden Jahr 18 Milliarden Euro an Finanzhilfen für den Staatshaushalt, um das Funktionieren ihrer staatlichen Einrichtungen zu garantieren, Löhne und Pensionen zahlen zu können. In diesem Jahr betrug die Hilfe rund 20 Milliarden Euro.

Präsident Selenskyj war aus Kiew zum EU-Gipfel per Video zugeschaltet (Archivbid)Bild: Ukraine Presidency/Planet Pix via ZUMA Press Wire/dpa/picture alliance

Außerdem zahlen die Mitgliedsstaaten im kommenden Jahr zwei Tranchen von zwei und dreieinhalb Milliarden Euro in einen Topf ein, mit dem die Ukraine Waffen und Munition kaufen kann. Auf die Forderung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der per Video aus Kiew zugeschaltet war, nach schweren und weitreichenden Abwehrwaffen gingen die Staats-und Regierungchefs nicht direkt ein. Man einigte sich aber die Rüstungsindustrie in Europa zu stärken, die Produktion von Munition anzukurbeln und eigenen Armeen mittelfristig besser auszustatten.

Das mittlerweile neunte Sanktionspaket gegen die russischen Kriegsherren wurde genehmigt. Rund 200 Personen, die für die Zerstörung der Infrastruktur in der Ukraine verantwortlich sein sollen, wurden auf die Sanktionslisten gesetzt. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte angekündigt, dass es weitere Sanktionspakete geben wird, falls Russland seine Kriegstaktik nicht ändert. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte Staaten wie Indien und China auf, ihrerseits mehr Druck auf Russland auszuüben.

Polen und Ungarn geben Blockadehaltung auf

Sowohl der Beschluss zu den Finanzhilfen als auch der zu den Sanktionen war von Polen und Ungarn zunächst blockiert worden, um eigene Interessen durchzusetzen. Doch am Ende stimmten die beiden Staaten zu, obwohl es dabei bleibt, dass Ungarn zunächst 12 Milliarden Euro an EU-Beihilfen wegen Verstößen gegen die rechtsstaatlichen Normen der EU nicht erhält. Polen muss weiter auf Auszahlungen aus dem Corona-Aufbaufonds verzichten, weil es ebenfalls gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstößt.

Unerwartet friedlich: Ungarns Premier Orban beschwerte sich nicht über Mittelkürzungen und legte kein Veto einBild: Olivier Matthys/AP/dpa/picture alliance

Diese Erpressung und Gegenerpressung durch die EU komme immer mal wieder vor, beschwichtigte der tschechische Premierminister Petr Fiala. "Den Prozess zu kommentieren, lohnt nicht. Was zählt ist das Ergebnis", sagte Fiala lächelnd vor der Presse in Brüssel. "Wir haben 27 unterschiedliche Ausgangspunkte", sagte der EU-Ratspräsident, "aber heute ist es uns gelungen, innerhalb von Stunden eine gemeinsame Position zu finden."

Österreich blockiert weiterhin die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien in die Schengen-Zone, in der Reisen ohne systematische Personen- und Warenkontrollen möglich sind. Kroatien wird aber aufgenommen und wird am 1. Januar auch den Euro als Währung einführen.

Italiens neue rechtsradikale Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verzichtete bei ihrem ersten Gipfeltreffen darauf, wegen der Migrationspolitik ein Fass aufzumachen. Sie wurde mit einem Sondergipfel zu dem Thema Anfang Februar 2023 zufriedengestellt. Die Ukraine-Politik der EU trug Meloni ohne Murren mit.

Den Streit um den Gaspreisdeckel sollen die Energieminister lösen

Das heiße Eisen "Preisdeckel für den Einkauf von Gas auf dem Weltmarkt" reichten die Staats- und Regierungschefs an die Energieminister der EU weiter. Die müssen nun am Montag bei ihrer siebten Sitzung zur Energiekrise in diesem Jahr eine Lösung finden. Die Hälfte der EU-Staaten plädiert für eine strikte, möglichst niedrige Preisgrenze für den Einkauf von Gas. Die andere Gruppe möchte einen Mechanismus, der nur bei absolut überhöhten Preisen in den Markt eingreift, weil aus ihrer Sicht sonst die Versorgungssicherheit gefährdet werden könnte - Gasverkäufer könnten sich vom europäischen Markt abwenden, so die Befürchtung.

Nach deutschen Vorstellungen sollte der Interventionspreis für die Notbremse nahe bei 275 Euro pro Megawattstunde liegen, wie es die EU-Kommission vorgeschlagen hatte. Andere Staaten wie Spanien setzen sich für einen Preis von etwa 180 Euro ein. Der derzeitige Marktpreis liegt bei 150 Euro.

Bange Blicke auf den Zähler: Die EU will die extremen Gaspreise senken - nur wie?Bild: Jens Niering/picture alliance

Am Montag sind die Energieminister beim Feilschen am Zuge. Sie sollen sich dann auch auf eine Einkaufsplattform für europäische Gas-Versorgungsunternehmen verständigen, die schon seit vielen Monaten angekündigt wird.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte an die Adresse von Verbrauchern und Unternehmen gerichtet, dass der Gaspreis trotz aller Maßnahmen der EU hoch bleiben werde. "Das ist der Preis, den wir für den Krieg zahlen", so von der Leyen.

Die gute Nachricht aber sei, dass es der EU in diesem Jahr gelungen sei, 80 Prozent des Pipeline-Gases, das Russland nicht mehr liefere, zu ersetzen. Mittelfristig müsse man schneller auf erneuerbare Energie setzen, die man selbst zu einem annehmbaren Preis erzeugen könne.

EU soll die eigene Wettbewerbsfähigkeit stärken

Einig waren sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in ihrer Ablehnung des amerikanischen "Inflationsreduzierungsgesetzes", das nach europäischer Lesart unfaire Subventionen für US-Unternehmen enthält. Die EU will nicht mit einem Handelskonflikt reagieren, sondern ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit stärken. Dazu sollen die strikten Beihilferegeln im europäischen Binnenmarkt gelockert werden.

Mittelfristig sei ein neuer "Souveränitätsfonds" nötig, um Investitionen von umweltfreundlichen und technologisch führenden Firmen in der EU zu fördern, kündigte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen an. Konkrete Beschlüsse fasste der Gipfel bei diesem umstrittenen Thema nicht. Die Kommission soll im Januar erst einmal Vorschläge vorlegen. Das US-Gesetz tritt allerdings schon am 1. Januar in Kraft. Verhandlungen mit der US-Regierung über mögliche Ausnahmeregelungen sollen weitergehen.

Eine Herzensangelegenheit: Bundeskanzler Scholz freut sich über die MindeststeuerBild: Nicolas Landemard /Le Pictorium/IMAGO

Globale Mindeststeuer kann kommen

Nachdem Ungarn sein Veto zurückgezogen hat, kann jetzt auch die weltweite Mindeststeuer für Unternehmen in Höhe von 15 Prozent in Kraft treten. Die EU war die letzte Weltregion, die dem Vorhaben der G20 noch zustimmen musste.

Die Mindeststeuer soll Steueroasen für internationale Konzerne austrocknen und für mehr globale Steuergerechtigkeit sorgen. "Wir setzen ein Herzensprojekt von mir nun final um in Europa", freute sich Bundeskanzler Olaf Scholz am Abend schon in vorweihnachtlicher Besinnlichkeit. Er empfinde "einen seltenen Moment der Zufriedenheit."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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