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Politik

EU-Gipfel lässt Balkan-Länder warten

18. Oktober 2019

Erweiterung, Türkei, Finanzen: Am zweiten Gipfeltag wurde viel Zwist und Frust in der EU offenkundig. Zwei Neu-Ruheständler nehmen kein Blatt vor den Mund. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Brüssel | Zweiter Tag des EU Gipfel | Jean-Claude Juncker und Donald Tusk
Kein Happy-End: Juncker (li.) und Tusk verlassen die EU-Bühne frustriertBild: Reuters/P. van de Wouw

Zum Abschied winken EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der Ratspräsident der EU, Donald Tusk, in den gut gefüllten Presseraum des Ratsgebäudes in Brüssel. "Bye-bye!" rufen sie. Einige Journalisten applaudieren, was im Pressesaal eigentlich verpönt ist. Für Juncker und Tusk, die beide Ende November aus dem Amt scheiden, geht an diesem Freitag der letzte EU-Gipfel zu Ende. "Das war mein 148. Gipfel", sagt Jean-Claude Juncker anschließend im kleineren Kreis. "Das reicht." Juncker war fünf Jahre Chef der EU-Kommission und davor mehrere Jahrzehnte als Finanzminister und Regierungschef des Großherzogtums Luxemburg auf dem Brüsseler Parkett unterwegs. "Viele von Ihnen", sagt Juncker, an die Reporter gewandt, "haben mich Jahre, wenn nicht Jahrzehnte erlebt. Ich danke für Ihre Fragen. Ich habe viel gelernt."

"Historischer Fehler"

Weniger zufrieden zeigten sich Juncker und auch Ratspräsident Donald Tusk mit dem Ergebnis ihres letzten EU-Gipfeltreffens. Den Staats- und Regierungschefs warf Tusk Versagen vor, weil sie es nicht schafften, Nord-Mazedonien und Albanien zu Beitrittsverhandlungen einzuladen. "Diese beide Länder sind bereit, wir sind es nicht", sagte er. 25 Staats- und Regierungschef befürworteten in einer sechs Stunden langen Diskussion, nach jahrelanger Vorbereitung Beitrittsgespräche mit den beiden Balkan-Ländern zu beginnen; nur Frankreich, die Niederlande und Dänemark lehnten das ab. Da Einstimmigkeit gefordert ist, gab es kein grünes Licht für die beiden Länder, die nach Meinung der EU-Kommission alle Voraussetzungen erfüllen und alle Reform-Hausaufgaben erledigt haben.

Werben für den Beitritt: Tusk besucht Albaniens Präsidenten Edi Rama im September in TiranaBild: DW/A. Ruci

Das derzeitige Nein sei "ein historischer Fehler, ein wirklich historischer Fehler", sagte Juncker. Die Zurückweisung, vor allem vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron vorangetrieben, sei zwar ein Fehler, aber kein "endgültiges Scheitern", sagte Tusk. "Ich bitte Sie, geben Sie jetzt nicht auf! Halten Sie weiter an dem Vorhaben fest", sagte Tusk, an alle Menschen in Nord-Mazedonien und Albanien gewandt. "Ich schäme mich", fügte er hinzu.

Macron will Reform des Beitrittsverfahrens

Die EU-Staats- und Regierungschefs würden sich spätestens beim West-Balkan-Gipfeltreffen im Mai 2020 wieder mit der Erweiterung befassen, versprach die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Ich bedauere das sehr", sagte Merkel. "Die deutsche Position konnte sich nicht durchsetzen."

Die Kanzlerin hatte schon zuvor am Mittwoch bei ihrem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Toulouse versucht, diesen umzustimmen. Der Präsident erklärte sein einsames Veto nach dem Gipfeltreffen damit, dass Nord-Mazedonien und Albanien noch nicht alle Reformen umgesetzt hätten, die nötig seien. "Der ganze Beitrittsprozess ist viel zu bürokratisch. Es ist ja nicht so, dass es nur die Erweiterung als einzige Form der Nachbarschaftspolitik gibt", kritisierte Macron. "Außerdem gilt nicht, dass wir besser zusammenarbeiten, wenn wir immer mehr werden. Die Zusammenarbeit klappt ja jetzt schon nicht besonders gut." Bevor er Beitrittsgesprächen zustimmen könne, wolle er eine Reform der EU erreichen, so Macron. 

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte, die EU verspiele ihre Glaubwürdigkeit. "Wer respektiert werden will, muss seine Versprechen einhalten", sagte Juncker. Die EU hatte Nord-Mazedonien 2009 und Albanien 2018 die Reife für Beitrittsverhandlungen zugebilligt. Allen Westbalkan-Staaten war bereits 2003 die Beitrittsperspektive eröffnet worden. Mit Serbien und Montenegro wird bereits verhandelt. Bosnien-Herzegowina und Kosovo, das nicht von allen EU-Staaten anerkannt wird, sind noch nicht so weit, meint die EU-Kommission in ihren aktuellen Bewertungen.

Mahnungen und Hilfe für die Türkei

Mit der Türkei laufen bereits seit 2005 Beitrittsverhandlungen, die aber seit Jahren auf Eis liegen. Mit diesem Beitrittskandidaten hat die EU aktuell ganz andere Sorgen. Die Staats- und Regierungschefs verurteilten einhellig, die Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien. "Wir müssen jetzt sehen, ob die mit der USA ausgehandelte Waffenruhe zu einer Konfliktbeilegung führen kann. Das würden wir uns natürlich wünschen, gerade mit Blick auf die vielen Menschen und die vielen Kinder", sagte Kanzlerin Merkel zum Abschluss des EU-Gipfels. Konkrete Sanktionen gegen die Türkei sind allerdings nicht diskutiert worden.

Merkel will die Türkei nicht wegen ihrer Syrien-Offensive bestrafenBild: Reuters/J. Geron

Die Militäraktion der Türkei müsse auch ganz klar von der Flüchtlingspolitik getrennt werden, so Merkel. Die Türkei versorgt rund 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge im eigenen Land und sorgt nach dem Flüchtlings-Abkommen mit der EU dafür, dass nicht allzu viele von ihnen nach Griechenland und damit in die EU weiterreisen. "Wir haben uns für eine Unterstützung all der Länder ausgesprochen, die im östlichen Mittelmeer von der Migration in ganz besonderer Weise betroffen sind. Dazu gehört auch die großartige Arbeit, die die Türkei mit Blick auf die syrischen Flüchtlinge unternimmt. Hierfür wollen wir weitere finanzielle Unterstützung gewähren", sagte Merkel.

Keine Bewegung beim Geld

Für heftigen Streit sorgen die künftigen Finanzen der EU. Von 2021 an muss die EU ohne den Nettozahler Großbritannien wirtschaften und will doch mehr Geld ausgeben. Wo die Schwerpunkte für Ausgaben liegen sollen und wo gespart werden soll, ist völlig offen. "Es war eine erste Diskussion. Es ist klar, dass es da keine Einigung geben kann", sagte der französische Präsident Macron nach dem Gipfel. Jean-Claude Juncker, dessen Haushaltsentwurf abgeschmettert wurde, sagte es deutlicher. Für ihn war das Zeitverschwendung: "Jeder hat seinen bekannten Standpunkt wiederholt. Es gab keine Richtung für die Verhandlungen und keine Leitlinien. Nichts!"

Eine Entscheidung über das Budget ist auf das nächste Jahr verschoben. Damit wird sich dann Junckers Nachfolgerin, die künftige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beschäftigen müssen. Ob er einen guten Ratschlag für sie habe, wird Juncker beim Verlassen der Gipfel-Arena gefragt. "Nein, ich gebe keine Ratschläge öffentlich. Was ich jetzt sagen würde, wäre mehr Schlag als Rat", sagt Juncker, grinst und steigt in sein Auto.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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