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Politik

EU-Gipfel: Volles Programm, auch ohne Brexit

17. Oktober 2019

Nicht nur der Brexit sorgt beim EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag für heftige Debatten, sondern auch Themen wie Personal, Geld und die EU-Erweiterung. Wird es Antworten geben?

Symbolbild Europäische Währungseinheit
Bild: picture-alliance/blickwinkel/McPHOTO/C. Ohde

Auch ohne das Brexit-Drama, die laufenden Verhandlungen über den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU, hat die Union genügend Probleme, um die beiden Gipfeltage in Brüssel zu füllen. "Das ist ein sehr ungewöhnlicher Gipfel, weil alle großen Fragen offen sind", meinte ein EU-Diplomat im Vorfeld. "Das einzige, was klar ist, ist der Anfang des Gipfeltreffens am Donnerstag Nachmittag." Der Entwurf der normalerweise sehr umfangreichen Gipfel-Erklärungen ist diesmal nur zwei Seiten lang und umfasst hauptsächlich Überschriften ohne wirklichen Inhalt.

Was sind die großen Baustellen, vom Brexit abgesehen?

Frankreichs Präsident Macron erwartet mehr von der künftigen Kommissionspräsidentin von der Leyen (Archivbild)Bild: Getty Images/AFP/L. Marin

Eine Personalie sorgt für schlechte Stimmung

Der französische Präsident Emmanuel Macron kommt einigermaßen beleidigt nach Brüssel. Seine Kandidatin für das Amt einer EU-Kommissarin wurde vom Europäischen Parlament abgelehnt - ein Affront, den Macron der neuen deutschen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in die Schuhe schiebt. Am Rande des Gipfels wollen der liberale Macron und die konservative von der Leyen ausloten, für welchen neuen französischen Kandidaten sich eine Mehrheit im zersplitterten EU-Parlament finden ließe.

Ist deshalb das deutsch-französische Verhältnis belastet? Schließlich ist von der Leyen eine enge Vertraute der deutschen Bundeskanzlerin. EU-Diplomaten winken ab. Die Ablehnung von Macrons Kandidatin Sylvie Goulard sei wohl eher die Rache des konservativen Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber. Den hatte wiederum Frankreichs Präsident Macron im Juli als neuen EU-Kommissionspräsidenten verhindert und stattdessen Ursula von der Leyen auf den Schild gehoben. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte versucht, sich aus den jüngsten Personalquerelen herauszuhalten. Die konservative EVP-Fraktion im Europaparlament hat sie offenbar nicht unter Kontrolle. Von der Leyen muss sich im November im Parlament einer Abstimmung mit ihrer neuen Mannschaft stellen. Eine Mehrheit ist nicht sicher.

Merkel und Macron versprechen sich harmonische Zusammenarbeit, aber nicht bei allen ThemenBild: Imago-Images/PanoramiC/JB Autissier

Erweiterung belastet deutsch-französische Zusammenarbeit

Ziemlich einsam wird der französische Präsident Macron beim Thema Osterweiterung der EU da stehen. Die Bundeskanzlerin will unbedingt für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Nord-Mazedonien und Albanien werben. Macron lehnt Beitrittsverhandlungen strikt ab, obwohl die EU-Kommission, das EU-Parlament und auch fast alle übrigen EU-Mitgliedsstaaten alle Bedingungen erfüllt sehen. Hier geht es also nicht um einen Konflikt zwischen Merkel und Macron, sondern um Frankreich gegen den Rest der EU. Bei den vorbereitenden Sitzungen des Ministerrates zeigte sich der deutsche Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, sehr enttäuscht über die französische Haltung.

Meinungsverschiedenheiten in einzelnen politischen Fragen gehören aber laut Emmanuel Macron zu einer Partnerschaft dazu. Das hatte er zuletzt im April gesagt, als Deutschland und Frankreich leicht unterschiedliche Positionen im Brexit-Drama vertraten. Der Dialog zwischen den beiden Nationen erfordere es, "manchmal fruchtbare Konfrontationen zu akzeptieren, aber immer mit dem Wunsch, letztlich einen Kompromiss zu finden", sagte Macron. EU-Diplomaten gehen nicht davon aus, dass die deutsch-französische Lokomotive in der EU stottert, zumal die EU nach langem Ringen das Euro-Zonen-Budget für Investitionen gebilligt hat, für das Macron lange gestritten hatte und das Deutschland auf eine überschaubare Größe zurückgestutzt hat.

Die Eintracht beim West-Balkan-Gipfel in Berlin trügt: Macron will Nordmazedonien und Albanien weiter warten lassenBild: Getty Images/M. Schmidt

Beim Geld endet jede Freundschaft

Keine Einigkeit herrscht beim Geld. Die Staats- und Regierungschefs aller Mitgliedsstaaten werden heftig über das sieben Jahre währende EU-Budget für 2021 bis 2027 streiten. Deutschland gehört zu einer großen Gruppe von Nettozahlern, die das EU-Budget bei 1,0 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung deckeln wollen. Frankreich kann sich 1,03 Prozent vorstellen. Die EU-Kommission hatte 1,13 Prozent vorgeschlagen. Wegen des Austritts der Briten wird bei den Einnahmen eine große Lücke klaffen, die durch Einsparungen und höhere Beiträge für die Nettozahler geschlossen werden soll. Frankreich möchte die Zuschüsse für seine Bauern nicht antasten. Deutschland argumentiert, es müsse mehr Geld für Innovation, Migration und Zukunftsausgaben aufgewendet werden. Die Nettoempfänger wehren sich gegen Kürzungen bei Zuschüssen für schwache EU-Regionen, von denen sie am meisten profitieren. Eine Einigung auf den Haushaltsrahmen wird wahrscheinlich erst in einem Jahr möglich sein, wenn Deutschland, der mit Abstand größte Nettozahler, auch turnusmäßig die EU-Ratspräsidentschaft innehaben wird.

Die Türkei soll weiter Flüchtlinge zurückhalten, wie hier in Cesme, wünscht sich die EUBild: picture-alliance/abaca/D. Guzel

Türkei und Flüchtlinge

Der Einmarsch des EU-Beitrittskandidaten Türkei in Nordsyrien wird einhellig verurteilt und die Türkei dazu aufgefordert, sich wieder zurückzuziehen. Ein einheitliches Waffenembargo gegen den NATO-Verbündeten Türkei hat die Europäische Union aber nicht beschlossen; einige Staaten, darunter Deutschland und Frankreich, erklärten, sie wollten in Zukunft keine Waffen mehr liefern. Der französische Vorstoß, auch über Wirtschaftssanktionen zu beraten, wird von der EU nicht weiter verfolgt. Aus deutscher Sicht müsste vor allem darüber gesprochen werden, wie man die Türkei bei der Versorgung von über drei Millionen Flüchtlingen und Migranten weiter unterstützt. Der "Flüchtlingsdeal" von 2016, der zu einer rapiden Abnahme der Einreisen nach Griechenland geführt hatte, soll aufrecht erhalten werden, trotz aller Drohungen aus Ankara. Konkrete Entscheidungen seien auf diesem Gipfel nicht zu erwarten, aber zumindest eine politische Absicht, wie grundsätzlich mit der Türkei und den Migranten umgegangen werden soll, müsste erkennbar werden, hoffen EU-Diplomaten.

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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