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PolitikEuropa

EU-Gipfel: Wahrscheinlich noch einmal Ursula von der Leyen

18. Juni 2024

Das Personalkarussell dreht sich in der EU nach der Europawahl. Die Spitzen der Kommission, des Rates und des Parlaments müssen besetzt werden. Dabei ist viel zu beachten. Bernd Riegert aus Brüssel.

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, lacht in die Kamera. Im Hintergrund sind Fahnen zu sehen.
Ursula von der Leyen wird die EU-Kommission wahrscheinlich auch die kommenden fünf Jahre führen.Bild: Denis Balibouse/KEYSTONE/REUTERS/dpa/picture alliance

Abschließend entschieden haben die Staats- oder Regierungschefinnen und -chefs der 27 EU-Mitglieder am Montagabend noch nicht, teilte EU-Ratspräsident Charles Michel am  späten Abend mit. Das Personalkarussell für vier Spitzenposten dreht sich nach den Wahlen zum Europäischen Parlament von letzter Woche. Eine Tendenz ist klar erkennbar: Die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dürfte die gewünschte zweite fünf Jahre währende Amtszeit bekommen. Ihre christdemokratische Parteienfamilie (EVP) stellt wie gehabt die größte Fraktion im neuen Parlament und erhebt daher Anspruch auf den Präsidentenposten an der Spitze der mächtigen EU-Kommission.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ließ wenig Zweifel daran, dass die 27 EU-Staaten von der Leyen vorschlagen und sie dann von den drei großen Fraktionen, Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen gewählt werden wird. "Dadurch, dass die politische Plattform, die bisher im Parlament die Präsidentin getragen hat, erneut eine Mehrheit hat, wird es, glaube ich, auch gelingen, hier schnell zu einer vernünftigen Lösung zu kommen", sagte Olaf Scholz in Brüssel.

Siegessicher am Wahlabend (9. Juni): Ursula von der Leyen (re.) mit christdemokratischem Parteichef Manfred WeberBild: Geert Vanden Wijngaert/AP/dpa/picture alliance

Das Paket mit vier Posten

Die drei Fraktionen in der politischen Mitte des Parlaments haben zusammen 406 Abgeordnete. Die absolute Mehrheit im Europäischen Parlament liegt bei 361. Rein rechnerisch wäre von der Leyen also nicht auf Stimmen aus dem angewachsenen rechtspopulistischen bis rechtsextremen Lager angewiesen. Vor der Europawahl hatte es die Kommissionspräsidentin offen gelassen, ob sie eventuell auch mit rechtsnationalen Abgeordneten zusammenarbeiten würde, wenn diese pro Ukraine und pro Europa seien.

Kanzler Scholz im Gespräch mit Kandiat Costa (re.): Er könnte Ratspräsident Michel (Mi.) beerbenBild: Yves Herman/REUTERS

Am Rande des G7-Gipfels vergangene Woche in Bari hatten sich Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron, die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und die Kandidatin von der Leyen zu Vorgesprächen über das EU-Personalpaket getroffen. An diesem Montag wurden dann beim informellen Abendessen im Ratsgebäude in Brüssel von allen 27 "die Karten auf den Tisch gelegt", wie EU-Diplomaten berichten.

Danach zeichnet sich ab, dass den Vorsitz des Europäischen Rates, also der Gipfelrunde, der ehemalige portugiesische Ministerpräsident Antonio Costa übernehmen soll. Der Sozialdemokrat würde die südlichen Länder vertreten. Streit gibt es noch, ober er nach zweieinhalb Jahren Amtszeit von einem konservativen Politiker abgelöst werden sollte. Die liberale Ministerpräsidentin von Estland, Kaja Kallas, könnte zur neuen EU-Außenbeauftragten gemacht werden. Sie würde als Vertreterin der östlichen Mitgliedsstaaten verbucht. Die christdemokratische Parlamentspräsidentin Roberta Metsola könnte weitere zweieinhalb Jahre auf ihrem Posten bleiben und als Pfund für die kleinen südlichen Staaten zählen.

Künftige Chefdiplomatin der EU? Kaja Kallas ist manchen zu fixiert auf osteuropäische ThemenBild: Gaetan Claessens/European Union

Zusatzjoker NATO

Zur delikaten Balance zwischen Parteifamilien des Parlaments und der geografischen Herkunft der Kandidatinnen und Kandidaten gehört auch der Posten des NATO-Generalsekretärs, der im Herbst vakant wird. Diesen soll der scheidende liberale niederländische Premier Mark Rutte als Vertreter der nördlichen Mitglieder ergattern, falls Ungarn und Rumänien sich im NATO-Rat noch überzeugen lassen. Dort ist Einstimmigkeit nötig.

Frankreich schielt auf billiges Geld

Frankreichs umtriebiger Präsident Macron, der vor fünf Jahren Ursula von der Leyen auf ihren Posten als Kommissionspräsidentin hievte, hält sich diesmal zurück. Denn Frankreich ist mit der Präsidentschaft der Europäischen Zentralbank in Frankfurt a. M. postentechnisch noch gut bedient.

Die Amtszeit der Französin Christine Lagarde endet dort erst 2027. Allerdings möchte Emmanuel Macron als Preis für seine Zustimmung zum Personalpaket wohl die politische Zusage, dass die neue EU-Kommission sich stärker für gemeinsame Schulden der EU und lockere Finanzregeln einsetzt. Das berichten zumindest italienische Medien. Ob es stimmt, ist unklar. Vieles am Personalkarussell sind Gerüchte.

Klarheit soll es Ende nächster Woche beim regulären EU-Gipfel geben. Dann soll auch über inhaltliche Fragen gesprochen und eine Art Regierungsprogramm für das neue oder alte Spitzenpersonal festgelegt werden.

Präsident Macron (li.), Ministerpräsidentin Meloni (Mi.): Gegen Verlängerung für Parlamentschefin Metsola (re.) haben sie nichtsBild: Dursun Aydemir/AA/picture alliance

"Wir sind immer noch mitten im Krieg", mahnte die dänische Ministerpräsidentin Mette Fredriksen am Abend mit Blick auf den russischen Angriff auf die Ukraine. "Meiner Ansicht nach hat von der Leyen einen guten Job gemacht. Wir brauchen eine schnelle Entscheidung bei allem, was zur Zeit in der Welt los ist. Ich bin zuversichtlich, dass das klappt." Auch Bundeskanzler Olaf Scholz ging von einer zügigen Einigung aus. Es gebe drängendere Probleme. Der niederländische Premier Mark Rutte warnte vor einer "Tombola" bei der Postenvergabe wie 2019, als tagelang unklar, wer an der Spitze der EU-Kommission stehen könnte. 

Italien möchte mehr Gewicht

Italiens rechtsnationale Regierungschefin Giorgia Meloni will nach eigener Aussage, den Einfluss Italiens in der EU stärken, vor allem, weil ihre rechtsnationale Parteienfamilie EKR im Europäischen Parlament um einige Sitze auf 76 zugelegt hat. Sie verhandelte am Rande des EU-Gipfels mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban über eine mögliche gemeinsame Fraktion ihrer "Fratelli d'Italia" und Orbans nationalistischer Fidesz-Partei. Bei Personalfragen hält sich Giorgia Meloni aber zurück. Kein Italiener wurde für ein Spitzenamt vorgeschlagen, stattdessen fordert sie für ihr Land einen gewichtigen Posten in der noch zu formenden EU-Kommission. Ein Vizepräsident der Kommission, zuständig für Wirtschaft, Industrie und Finanzen wäre nach ihrem Geschmack.

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Der slowakische Präsident Peter Pellegrini, der den bei einem Mordanschlag im Wahlkampf schwer verwundeten Ministerpräsidenten Robert Fico in Brüssel vertritt, hat noch Zweifel. Die osteuropäischen Staaten seien in den letzten Jahren beim Spitzenpersonal unterrepräsentiert gewesen. "Ich will verstehen, wie Zentral- und Osteuropa im neuen Paket vertreten sind", meinte Pellegrini. Weder Polen noch Rumänien oder Bulgarien seien berücksichtigt, bemängelte ein osteuropäischer EU-Diplomat hinter vorgehaltener Hand.

Doppelte Mehrheiten nötig

Für eine Nominierung als Kommissionspräsidentin durch den Rat braucht Ursula von der Leyen die Zustimmung von 20 der 27 Mitgliedsstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung ausmachen, die sogenannte verstärkte doppelte Mehrheit. Diese Mehrheit müsste sie nach den Äußerungen, die aus dem Ratsgebäude zu hören waren, sicher haben. Auch die oder der EU-Außenbeauftragte braucht die verstärkte doppelte Mehrheit.

Die Parlamentspräsidentin zählt zwar auch zum verhandelten Paket, wird aber eigentlich unabhängig vom EU-Gipfel alleine vom Europäischen Parlament gewählt, und zwar mit absoluter Mehrheit. Wie immer bei politischen Entscheidungen in der EU gilt, alles hängt mit alles zusammen. Nur wenn alle vier Posten klar sind, wird eine Einigung verkündet.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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