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EU hilft Kurden im Nordirak

Georg Matthes3. August 2016

Die Kurden kämpfen gegen den IS, doch sie müssen auch für Flüchtlinge sorgen. Auf den letzten Metern geht das Geld aus. Kann der EU-Kommissar für humanitäre Krisen helfen? Georg Matthes hat ihn nach Erbil begleitet.

EU-Kommissar Christos Stylianides besucht das Flüchtlingslager Debaga im Nordirak (Foto: DW/G. Matthes)
EU-Kommissar Christos Stylianides in ErbilBild: DW/G. Matthes

Im Sinkflug über dem Nordirak legt sich die Stirn des EU-Kommissars für humanitäre Hilfe in tiefe Falten. Am Fenster zieht unter ihm eine gelbbraune Hügellandschaft vorbei. Christos Stylianides lehnt über einem Stapel Berichte von Hilfsprojekten. Gerade erst hat der 56-Jährige dem Irak zusätzliche 200 Millionen Euro zugesagt, doch er weiß schon jetzt, es wird wieder nicht reichen. "Das ist keine regionale, keine europäische, sondern eine globale Herausforderung", sagt der Kommissar und steigt in einen der gepanzerten Jeeps, die bereits auf dem Rollfeld warten.

Im Konvoi geht es bei fast 50 Grad Celsius zum Flüchtlingslager Debaga im Nordirak. Eigentlich gäbe es ja positive Entwicklungen, meint Stylianides. Die islamistische Terrormiliz IS werde täglich zurückgedrängt. "Doch der Kampf um Mossul, die zweitgrößte Stadt des Landes, wird eine riesige Flüchtlingswelle auslösen, eine Million Menschen könnten fliehen", fürchtet er.

Sunnitisches Mädchen im Flüchtlingslager DebagaBild: DW/G. Matthes

Das Lager platzt aus allen Nähten

27.000 Flüchtlinge sind bereits im Lager Debaga. Vor allem der Teil, in dem die Neuankömmlinge auf mögliche Verbindungen zu den Terroristen überprüft werden, ist hoffnungslos überfüllt. Hinter einem Stacheldrahtverhau warten hunderte Männer darauf, das Flüchtlingslager betreten zu dürfen. Flohen die Menschen einst vor dem IS, kommen sie jetzt aus Gebieten, die seit fast zwei Jahren von der Terrormiliz kontrolliert werden. Vian Rasheed Younis, die Vertreterin der kurdischen Regionalregierung im Lager, verteidigt die scharfen Kontrollen: "Wir haben schon schlechte Erfahrungen gemacht. Vor einem Monat kam eine Familie. Ein Familienmitglied sprengte sich dann in die Luft. Zwölf Menschen wurden verletzt. Die Frage ist immer, wer ist Flüchtling und wer Terrorist?"

Bild: EU/ECHO/Peter Biro

Im Gedränge von Sicherheitskräften und Flüchtlingen schlägt sich eine ältere Frau zur EU-Delegation durch. Weinend fällt sie Stylianides in den Arm. "Es sind zu viele Menschen hier. Die Schlange für Lebensmittel ist einfach zu lang, manchmal bekomme ich nichts", klagt sie und drückt dem großgewachsenen Zyprer einen Kuss auf die Wange. "Das geht einem schon an die Nieren, es schmerzt, die Menschen leiden zu sehen. Aber ich bin zuversichtlich, dass unsere Präsenz hier den Menschen wieder Hoffnung und Würde gibt", sagt der EU-Kommissar.

Profit schlagen aus dem Elend

Doch Hoffnung und Würde haben offenbar einen stolzen Preis im Nordirak. Schnell sind sich die Hilfskräfte einig: Das Lager muss noch weiter ausgebaut werden. Öffenliche Grundstücke stehen aber nicht zur Verfügung, und für private Flächen verlangen die kurdischen Besitzer Wucherpreise. Der Vertreter der UN erklärt, dass er mit bis zu einer Million Euro Miete pro Jahr ein grundsätzliches Problem hat. Auch die Vertreterin der kurdischen Regionalregierung winkt ab.

In der Hauptstadt der autonomen kurdischen Provinz Erbil versucht Stylianides zu vermitteln. Vielleicht gibt es ja öffentlichen Grund, um das Lager zu erweitern. Der Kommissar trifft Präsident Masoud Barzani und den für auswärtige Angelegenheiten zuständigen Minister Falah Mustafa Bakir. Bakir fasst die Stimmung so zusammen: "Wir haben getan, was wir konnten, aber jetzt brauchen wir mehr Hilfe von der EU. Unsere Zuschüsse wurden von Bagdad zusammengestrichen, der Ölpreis ist im Keller, der Krieg gegen die Islamisten ist teuer. Dann zahlen wir 150 Millionen Euro pro Monat für rund eine Million innerirakische und syrische Flüchtlinge hier im Norden. Es reicht."

Verhandeln über Flüchtlingshilfe: EU-Kommissar Stylianides und kurdischer Präsident BarzaniBild: EU/ECHO/Peter Biro

Drohkulisse Flüchtlingswelle

Wie Minister Bakir seinen Forderungen nach mehr Geld Nachdruck verleiht, weiß der kurdische Politiker natürlich ganz genau: "Wenn sie die Flüchtlinge hier versorgen, klopfen sie erst gar nicht an die europäische Pforte. Aber wenn wir das Grundproblem hier nicht lösen, kommt ein Flüchtlingsstrom auf Europa zu."

Um das zu verhindern, sagt EU-Kommissar Stylianides, müssten die Menschen wieder Hoffnung schöpfen können. "Wir haben die Chance, einen anderen Irak zu schaffen. Der IS wird auf dem Schlachtfeld geschlagen, aber wir müssen die vergiftete Ideologie entzaubern", so der EU-Vertreter. Dass das schwierig wird, weiß er auch. Die große Herausforderung sei es, das Land nach der ethnischen Säuberung in Mossul wieder zu einen. Nach der Befreiung von Falludschah aus den Fängen der Dschihadisten kam es zu Racheakten an Sunniten. Das müsse im Fall von Mossul verhindert werden, zum Beispiel durch mehr Bildungsprojekte. Stylianides ist überzeugt, dass informeller Schulunterricht in den Lagern mindestens ebenso wichtig ist wie Lebensmittel und Unterkünfte. Gemischte Schulklassen könnten die ethnische und religiöse Spaltung der Gesellschaft überwinden helfen und Eltern davon überzeugen, dass ihre Kinder auch im Irak eine Zukunft haben.

Doch dazu müssten sich auch andere Akteure wie die Golfstaaten mehr engagieren. "Die Not ist so groß, dass sie unsere Hilfsbereitschaft und unsere Möglichkeiten überfordert. Wir brauchen für den Irak eine globale Antwort", erklärt der EU-Kommissar auf dem Weg zum Flughafen. Dass sieht Minister Falah Mustafa Bakir genauso. Er ist zum Flughafen gekommen um Stylianides auf dem Rollfeld zu verabschieden. Die EU ist der größte Geldgeber in der Region. Minister Bakir winkt noch einmal, bevor sich die Tür schließt. Er hofft, dass der gelernte Zahnchirurg bei seinem nächsten Besuch wieder eine ordentliche Finanzspritze mit im Gepäck hat.

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