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EU streitet weiter um Asyl-Reform

20. Juli 2023

Die EU-Innenminister haben ein letztes Detail der Reform der Asylverfahren beraten. Allerdings kamen sie beim "Krisenmechanismus" nicht voran. Die Zeit drängt. Bernd Riegert aus Logroño.

Spanien | Treffen der EU-Innenminister
Wie eine Festung: Tagungsgebäude der EU im spanischen Logrono, Hauptstadt der Weinbauregion RiojaBild: Bernd Riegert/DW

Noch vor sechs Wochen lobten fast alle EU-Innenminister ihre Einigung auf reformierte Gesetze zu Migration und Asylverfahren als "historisch". Endlich war nach Jahren der Verhandlungen eine Einigung in der hochemotionalen Migrationsfrage gefunden worden, wenn auch gegen die Stimmen Polens und Ungarns.

Die beiden Staaten machten beim EU-Gipfel noch einmal klar, dass sie den sogenannten Migrationsdeal auf keinen Fall umsetzen werden. Er verlangt von ihnen nämlich Ausgleichszahlungen in einen EU-Topf, weil sie sich weigern, im Rahmen der europäischen Solidarität Migranten aufzunehmen, die in Italien oder Griechenland ankommen. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban sagte Ende Juni klipp und klar: "Wir zahlen nicht."

Jetzt ist das ganze Paket von sechs Gesetzen wieder in Gefahr. Die EU-Ministerinnen und Minister konnten sich bei erneuten informellen Beratungen im spanischen Weinanbauort Logroño nicht auf das letzte noch fehlende Detail einigen.

Doch nur, wenn alles beschlossen und wasserdicht ist, geht das gesamte Paket in die nicht einfachen Verhandlungen mit dem skeptischen Europäischen Parlament. Ziel ist eine Gesetzgebung im Frühjahr nächsten Jahres, bevor die Parlamentarier sich in den Wahlkampf für die Europawahl im Juni verabschieden.

EU-Kommissarin Ylva Johansson: Menschenrechte für Migranten müssen geltenBild: Bernd Riegert/DW

Krisenmechanismus gefährdet Asylkompromiss

Was ist das letzte Problem? Eine Notfallregelung soll gefunden werden, die einsetzt, falls an den Außengrenzen unerwartet viele Migranten einreisen und Asyl beantragen wollen. Dieser Krisenmechanismus soll nach Meinung der "Frontstaaten" im Süden, also Griechenland, Italien, Spanien, Malta und Zypern, so aussehen, dass Migranten im Fall übergroßer Ankunftszahlen ohne Prüfung nach Nordeuropa weiterreisen können.

Außerdem solle in der Krisenzeit eine Rückführung von Migranten in die Staaten im Süden, die nach den Dublin-Asylregeln eigentlich zuständig wären, ausgesetzt werden. Die deutsche Bundesinnenministerin Nancy Faeser lehnte diesen Krisenmechanismus ab. "Nein, damit kann Deutschland nicht leben", erklärte sie beim Treffen in Spanien, das im Moment den Vorsitz in der EU führt.

Deutschland ist nämlich das hauptsächliche Ziel von Asylsuchenden in der EU. 2022 wurden 250.000 Erstanträge auf Asyl gestellt. Erklärtes Ziel von Nancy Faeser ist es aber, die Zahlen von Ankünften in Deutschland zu senken.

Die Menschen sollen möglichst in den Staaten der Ersteinreise, also an den Außengrenzen betreut und beschieden werden, also in Griechenland oder Italien. Deshalb hatten sich die Ministerinnen und Minister auf neue schnellere "Grenzverfahren" in Lagern an den Außengrenzen geeinigt, um chancenlose Asylsuchende schneller wieder abschieben zu können.

Deutsche Innenministerin Nancy Faeser: Beschlüsse wurden - wie erwartet - nicht gefasstBild: Bernd Riegert/DW

Zur Entlastung der Grenzstaaten sollen, so sieht es das Asylgesetzespaket der EU vor, dann einige Zehntausend Menschen, die wahrscheinlich ein Anrecht auf Asyl haben, nach einem Schlüssel auf alle EU-Staaten verteilt werden. Staaten, die zugewiesene Menschen nicht aufnehmen, müssten pro Person 20.000 Euro an Ausgleichszahlung leisten.

Zurückschieben in der Krise?

Polen und die baltischen Staaten wollen den umstrittenen Krisenmechanismus auch anwenden, wenn an ihren EU-Außengrenzen große Zahlen von Migranten auftauchen, die von Russland oder Belarus an die Grenze geleitet werden. Sie wollen die Migranten dann über längere Zeit an den Grenzen internieren oder sie ohne Prüfung des Einzelfalls nach Belarus zurückschieben können.

Hohe EU-Beamte weisen darauf hin, dass das jetzt zu finalisierende Gesetzespaket noch einige Jahre brauchen wird, bis es vor Ort Wirkung entfaltet. Sofortige Hilfe für Ertrinkende auf dem Fluchtweg übers Mittelmeer oder eine abschreckende Wirkung zur unmittelbaren Absenkung der Ankunftszahlen sei nicht zu erwarten, so Experten der EU-Kommission.

Grenzzaun Kuznice: Polen will Migranten, die über Belarus kommen, am liebsten gleich wieder abschieben - ohne EinzelfallprüfungBild: Michal Dyjuk/AP Photo/picture alliance

Abkommen mit Tunesien als Muster

Parallel setzt die EU auf mehr Abkommen mit Transitstaaten und Herkunftsländern von Migranten. Die schwedische Migrationsministerin Malmer Stenegard lobte die am Wochenende mit Tunesien ausgehandelte Absichtserklärung, einen Migrationsvertrag zu schließen.

"Tunesien ist ein exzellentes Beispiel dafür, wie wir vorgehen sollten, um den Verlust von Menschenleben zu vermeiden", sagte Stenegard in Logroño. Kritiker der Vereinbarung mit Tunesien, die im Prinzip Wirtschaftshilfe für das Zurückhalten von Migranten vorsieht, sehen das natürlich anders.

Über 100 europäische Hilfsorganisationen, die im Europäischen Rat für Flüchtlinge und Exil zusammengeschlossen sind,  argumentieren, die EU würde ihre Migrationspolitik in Drittstaaten verschieben, egal, ob sie von Autokraten, wie im Falle Tunesiens regiert werden.

Die zuständige EU-Kommissarin für Innenpolitik, Ylva Johansson wies diesen Vorwurf empört zurück. "Wir lagern unsere Verantwortlichkeit für die Einwanderung nicht aus, aber es ist wichtig, den Verlust von Menschenleben zu vermeiden. Es ist daher absolut notwendig mit Partnerländern zusammenzuarbeiten, und Tunesien ist eines von ihnen", sagte die EU-Kommissarin. Man werde Tunesien helfen, den Grenzschutz zu verbessern, Menschenhandel zu bekämpfen und Menschen freiwillig in ihre Herkunftsländer zurückzubringen.

Mehr Geld für UN in Tunesien

Berichte, über Hunderte Menschen, die von tunesischen Sicherheitskräften ohne Wasser in der Wüste ausgesetzt wurden, werden auch von den Innenministern der EU wahrgenommen. Direkte Kritik am "Partnerland" bleibt aber aus. "Wir müssen mit Tunesien kooperieren. Es gibt keinen anderen Weg", meinte die schwedische Migrationsministerin Malmer Stenegard.

Libysche Grenztruppen greifen Migranten auf, die offenbar von Tunesien in der Wüste ausgesetzt wurden (16.07.2023)Bild: Mahmud Turkia/AFP

Es sei klar, so EU-Beamte, dass man keinen direkten Einfluss auf die tunesischen Behörden habe. Stattdessen setzt die deutsche Ministerin Nancy Faeser auf Zusammenarbeit. "Ordnen und steuern", meinte Nancy Faeser, sei wichtig. "Die Menschen, die leider nicht bei uns bleiben können, müssen auch wieder zurückgenommen werden. Deshalb sind wir mit eigenen Projekten der Bundespolizei da unten, um die dortige Polizei auszubilden, damit Menschenrechtsstandards eingehalten werden. Das halte ich für den zielführendsten Weg."

Menschen in der Wüste auszusetzen, sei nicht hinzunehmen, sagte die EU-Kommissarin Ylva Johansson. Sie kritisierte aber nicht die tunesische Regierung, sondern kündigte mehr Hilfsgelder an. "Es gibt Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. In einigen Tagen werden wir eine neue Vereinbarung mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) schließen, um Hilfe für die Menschen zu finanzieren, die in der Wüste sich selbst überlassen wurden. Es ist absolut nötig, ihnen zu helfen."

Verhandlungen gehen weiter

In den nächsten Wochen sollen nun die EU-Botschafter in Brüssel die letzten Stolpersteine für das große Asylreform-Paket einschließlich der Notfallregelung aus dem Weg räumen. Die Ministerinnen und Minister reichten das heiße Eisen weiter.

"Man wird sehen, wie weit man da kommt", war die Prognose, die Bundesinnenministerin Faeser zu den Verhandlungen abgeben wollte. Dass Polen und Ungarn darauf beharren, das Asylpaket, wenn es in ein, zwei Jahren wirklich in Kraft tritt, auf keinen Fall zu implementieren, stört die EU-Kommissarin für Innenpolitik nicht.

Ylva Johansson sagte auf eine Frage der DW: "Deshalb werde ich jetzt nicht nervös." Denn dann ist wahrscheinlich schon eine neue EU-Kommission gebildet und Johansson nicht mehr im Amt.

Hetze gegen Migranten aus Subsahara

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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