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Politik

Atomabkommen am Abgrund

Barbara Wesel
14. Januar 2020

Im Kampf um das iranische Atomabkommen haben die beteiligten EU-Staaten den vertraglich vereinbarten Streitschlichtungs-Mechanismus ausgelöst. Ist das der letzte Rettungsversuch - oder gar der Todesstoß für den Vertrag?

Frankreich EU l Borrell will am Iran-Atomabkommen festhalten
Bild: Reuters/V. Kessler

"Man stelle sich vor, wie die jüngste Eskalationsrunde zwischen den USA und dem Iran verlaufen wäre, wenn das Land bereits über nukleare Waffen verfügen würde", sagt EU-Chefdiplomat Josep Borrell. Man müsse Wege finden, um das Land wieder zur Einhaltung seiner Verpflichtungen aus dem Atomabkommen zu bringen. Und er hofft, dass mit der Auslösung des Mechanismus zur Streitschlichtung, der im Vertrag enthalten ist, die Tür für neue Diskussionen mit der Regierung in Teheran geöffnet ist.

Die Chancen stehen nicht gut. Der iranische Außenminister Dschawad Sarif hat die europäischen Partner im Atomabkommen bereits scharf kritisiert und den vorgesehenen Mechanismus als einen "strategischen Fehler" bezeichnet, berichtet die staatliche iranische Nachrichtenagentur IRNA. Die Europäer sollten lieber ihren Verpflichtungen aus dem Wiener Atomabkommen nachkommen, statt Strafaktionen zu unternehmen, so Sarif.

Kritische Erhöhung des Drucks auf Teheran

Die Erklärungen Teherans, den letzten Schritt aus dem Atomabkommen einleiten zu wollen, seien "besorgniserregend", sagt Josep Borrell vor dem Europaparlament. "Es geht uns nicht um Sanktionen", beschwört er, die Europäer wollten nur Lösungen finden, um das Land zur Rückkehr zu seinen Verpflichtungen zu bewegen. Dabei geht es um die Zahl der Zentrifugen, mit denen Uran angereichert wird, die Intensität der Anreicherung und die Menge des Uran, die in Vorrat gehalten werden darf. Von all diesen Verpflichtungen hat Teheran sich losgesagt. Vor dem Sondertreffen der EU-Außenminister am letzten Freitag hatte der Franzose Jean-Yves Le Drian erklärt, unter diesen Bedingungen könne das Land innerhalb von ein bis zwei Jahren genug nukleares Material zur Herstellung von Nuklearwaffen besitzen.

Anfang des Jahres kündigte Teheran an, "die fünfte und letzte Phase" des Rückzugs aus dem Atomabkommen einzuleitenBild: picture-alliance/AP Photo/V. Salemi,

Die Frage ist allerdings, was zwischen Freitag und dem heutigen Dienstag an Erkenntnissen hinzu gekommen ist, um die plötzliche Kehrtwende der EU3, der drei europäischen Unterzeichnerländer des Atomabkommens, zu erklären: Vor dem Wochenende waren sie noch nicht so weit, die formelle Konfliktlösung zu aktivieren, man wollte Kontakten mit Teheran noch mehr Zeit geben. Jetzt aber wurde der Mechanismus plötzlich aktiviert, und damit beginnen Fristen, die schon innerhalb von zwei Monaten eine Wiederaufnahme der UN-Sanktionen von 2015 bedeuten könnten.

Irans Außenminister Sarif beschuldigt die Europäer, dem Druck der USA nachgegeben zu haben. Tatsächlich drängt Donald Trump die EU spätestens seit seinem eigenen Ausstieg aus dem Atomabkommen 2018, es ihm gleichzutun und Neuverhandlungen anzustreben. Demgegenüber sagte Josep Borrell, die EU handele in gutem Glauben und wolle den Vertrag, der schließlich der größte außenpolitische Erfolg der Europäer war, in jedem Fall erhalten.

Risse in der europäischen Einigkeit

Wie einig hier London, Paris und Berlin sind, ist allerdings nicht sicher. Der britische Premier Boris Johnson hatte noch am Morgen in einem Fernsehinterview von einem neuen, einem "Trump-Deal" mit dem Iran gesprochen. Darin müsse der Aufrüstung der iranischen Raketensysteme und der militanten Rolle des Landes in der Region Rechnung getragen werden. Musste Johnson also durch die Auslösung des Konfliktmechanismus davon überzeugt werden, vorläufig noch bei der gemeinsamen europäischen Linie zu bleiben? Die Signale aus London im Laufe des Tages waren zumindest zwiespältig.

Boris Johnson sendete aus London unklare Signale zur britischen Haltung im Atomstreit Bild: picture-alliance/Photoshot

EU-Chefdiplomat Borrell dagegen betont, auch Großbritanniens Außenminister Raab habe den Brief der EU3 unterschrieben, wonach das Atomabkommen am Leben erhalten werden solle. "Niemand hat den Deal verlassen, die Atomaufsichtsbehörde in Wien überwacht ihn weiter. Der Vertrag sei in einer Erklärung des UN-Sicherheitsrates festgeschrieben und existiere weiter. Das Abkommen sei ein wichtiger Teil der internationalen Abrüstungsarchitektur.

Hilflose Europäer

Im Europaparlament, wo zuvor stundenlang über die Finanzierung der Klimapolitik diskutiert worden war, zeigt die Debatte über den Iran, dass es an außenpolitischen Experten in der neu gewählten Runde fehlt. Es gibt keine Kenner der Nahostpolitik mehr und quer durch die Parteien bleibt es bei Appellen an die Vernunft beim Iran, an die Geschlossenheit der EU-Mitgliedsländer und den guten Willen der Europäer, als Vermittler die drohende Eskalation wieder einzufangen.

Klar ist dabei, dass die EU außer guten Worten nichts zu bieten hat: Der Zahlungsmechanismus Instex, mit dem man Sanktionen der USA umgehen und dem Iran einen begrenzten Außenhandel ermöglichen wollte, ist bis heute nicht funktionsfähig. Hier hat die EU Versprechen gemacht, die sie nicht einhalten konnte. Alle Hoffnungen richten sich also jetzt auf die erneuten diplomatischen Bemühungen im Rahmen des Streitschlichtungsverfahrens, die von Josep Borrell koordiniert werden.

Quer über die Parteien hinweg wurde es als positives und vielleicht sogar hoffnungsvolles Zeichen gesehen, dass die Regierung in Teheran sich zum Abschuss der ukrainischen Zivilmaschine am vergangenen Mittwoch bekannt und sich entschuldigt hat. Jetzt müsse genau aufgeklärt werden, wie es zu dem schrecklichen Unfall kommen konnte. Zudem appellieren alle Redner an die iranische Regierung, Demonstrationen gegen das Regime nicht erneut gewaltsam zu unterdrücken. Bei den Verhandlungen mit dem Iran müsse auch über die Menschenrechtslage im Land gesprochen werden, fordern Sprecher von Grünen und Liberalen.

Wie groß ist sein außenpolitisches Verhandlungsgeschick? EU-Chefdiplomat Josep BorrellBild: picture alliance/Xinhua/Z. Huansong

Die ganze Hoffnung der EU liegt jetzt bei ihrem Chefdiplomaten. Borrell allerdings ist als Ökonom ausgebildet, war Präsident des Europaparlaments und zuletzt gerade mal ein Jahr lang spanischer Außenminister. In diesem schwierigen Fach ist er also eher ein Spätberufener. In der öffentlichen Darstellung kann Borrell den Glauben an eine schlagkräftige europäische Außenpolitik eher nicht wecken. Ob er hinter verschlossenen Türen der beschlagene und erfolgreiche Verhandlungsführer ist, der jetzt gebraucht wird, ist bislang nicht bewiesen.

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