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PolitikUkraine

EU ist von Selenskyjs Siegesplan nicht begeistert

17. Oktober 2024

Der Siegesplan des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj enthält Forderungen an den Westen. Die EU ist aber nicht bereit, allen Punkten zu folgen - zumindest noch nicht. Bernd Riegert aus Brüssel.

Belgien Brüssel | EU Gipfeltreffen - Wolodymyr Selenskyj
Präsident Selenskyj wirbt in Brüssel für seinen Plan: Wie weit werden die westlichen Verbündeten mitgehen?Bild: Remko de Waal /ANP/IMAGO

"Wenn ich mir den Siegesplan der Ukraine ansehe, sehe ich vor allem, was wir, der Westen, in den letzten Monaten oder sogar Jahren nicht entschieden haben", meinte der Präsidenten der baltischen Republik Litauen, Gitanas Nauseda, zu Beginn des EU-Gipfels in Brüssel. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte ein Stunde Zeit, um vor den 27 Staats- und Regierungschefs und -chefinnen der EU für seinen Siegesplan im Abwehrkampf gegen den russischen Aggressor zu werben.

Selenskyj wiederholte die fünf Punkte, die er bereits gestern im ukrainischen Parlament vorgestellt hatte. Zu seiner zentralen Forderung, sein Land unverzüglich in die NATO, die westliche Militärallianz, aufzunehmen, wird es beim Gipfeltreffen in Brüssel und auch bei den parallel tagenden Verteidigungsministern der NATO keine neuen Entscheidungen geben. Der litauische Präsident Gitanas Nauseda wäre für eine Aufnahme der angegriffenen Ukraine. Andere Staaten, allen voran die NATO-Führungsmacht USA, lehnen das ab. Die Gefahr eines direkten Konflikts mit der Atommacht Russland wäre zu groß.

Gitanaus Nauseda aus Litauen ist für eine Aufnahme der Ukraine in die NATOBild: Geert Vanden Wijngaert/dpa/AP/picture alliance

"Krieg nach Russland tragen"

Wolodymyr Selenskyj forderte noch einmal, dass die westlichen Verbündeten, den Einsatz von Waffen mit größerer Reichweite endlich freigeben sollten, damit die Ukraine Ziele in Russland angreifen könne. Die Russen müssten den Krieg auf eigenem Territorium spüren, so der ukrainische Präsident, der fast seit 1000 Tagen den Abwehrkampf der Ukraine organisiert und anführt. "Die Russen müssen den Krieg zuhause erleben und anfangen, (Russlands Machthaber) Putin zu hassen", sagte Selenskyj seinen Kolleginnen und Kollegen im Sitzungssaal.

Die USA, Frankreich und Großbritannien sollen Marschflugkörper und Raketen geliefert haben, die auch militärische Ziele im russischen Hinterland bekämpfen könnten. US-Präsident Biden, mit dem Selenskyj erneut telefonierte und der am Freitag in Berlin erwartet wird, lehnt eine Freigabe bislang ab. Die Gefahr einer weiteren Eskalation sei zu groß, argumentieren die US-Amerikaner. Bundeskanzler Olaf Scholz schloss in Brüssel noch einmal aus, seine ablehnende Haltung zu überdenken.

"Sie wissen, welche Entscheidung ich getroffen habe, und an der wird sich auch nichts ändern", sagte Scholz vor Journalisten. Der deutsche Kanzler lehnt es ab, deutsche Marschflugkörper vom Typ "Taurus", in die Ukraine zu schicken, mit denen russische Ziele erreicht werden könnten. Die CDU/CSU-Opposition in Deutschland und auch Teile der Regierungskoalition fordern allerdings die Lieferung von Taurus-Systemen. Militärisch gesehen wäre es notwendig, den russischen Nachschub und Logistik in Russland zu bekämpfen. Anders könne die Ukraine nie gewinnen, bestätigen NATO-Militärs hinter vorgehaltener Hand immer wieder.

Für das Familienfoto stehen alle zusammen: Einig sind sich die EU-Staaten nicht. Ungarns Premier Orban (6.v.re.) opponiert.Bild: Johanna Geron/REUTERS

EU verspricht mehr Hilfe

Der Siegesplan von Wolodymyr Selenskyj umfasst kein Angebot, auf völkerrechtswidrig von Russland besetzte oder annektierte Gebiete der Ukraine zu verzichten. Die EU-Mitglieder bekannten sich in einer gemeinsamen Erklärung noch einmal dazu, dass es Friedensverhandlungen nur zu den Bedingungen der Ukraine geben könne und auch nicht ohne die Ukraine entschieden werden könne.

EU-Ratspräsident Charles Michel sagte, die EU tue zwar schon viel, das reiche aber nicht aus. "Die EU ist auf deiner Seite. Was immer nötig ist, wir wissen, dass ihr mehr Hilfe braucht", so Michel zum ukrainischen Präsidenten gewandt, als sie gemeinsam das Gipfelgebäude in Brüssel betraten. Bundeskanzler Scholz sieht in dem Treffen mit Selenskyj ein "wichtiges Zeichen" an den russischen Machthaber Wladimir Putin, "dass die Unterstützung der Freunde der Ukraine nicht nachlassen wird".

Bundeskanzler Olaf Scholz zur Lieferung von Waffen mit großer Reichweite: Er werde seine Entscheidung nicht ändern, sagt er. Bild: Geert Vanden Wijngaert/AP/picture alliance

"Russland zu Diplomatie zwingen"

Der ukrainische Präsident machte deutlich, dass die Umsetzung seines Siegesplans nicht von Russland, sondern vom Willen der Verbündeten abhänge. Er verwies auf drei geheime Zusatzprotokolle seines Planes, die weitere Schritte enthalten, um die Ukraine zu stärken. "Einige unserer Partner müssen sich bewegen", so Selenskyj. Das Ziel sei eine zweite internationale Friedenskonferenz, an der sich auch Russland beteiligen solle. Sie solle bis Ende November stattfinden. Die Ukraine müsse stark sein, um "starke Diplomatie" machen zu können. "Wir müssen Russland zu wirklicher Diplomatie zwingen." Der Krieg könne nächstes Jahr beendet werden, versprach Selenskyj, wenn sein Siegesplan umgesetzt werde.

Milliarden-Kredit aus Europa

Die EU wird bis Ende des Jahres 35 Milliarden Euro an Krediten für die Ukraine bereitstellen. Zins und Tilgung werden durch Einnahmen aus russischem Vermögen bedient, das in der EU durch Sanktionen eingefroren ist. Die USA, Kanada und Japan sollen mindestens weitere 15 Milliarden Euro garantieren. Der ungarische Premier Viktor Orban, der enges Verhältnis zu Putin pflegt, versucht diesen Kredit zu blockieren.

Er verhindert bislang, dass die EU-Sanktionen gegen das russische Vermögen auf drei Jahre verlängert werden. Die USA hatten diese Verlängerung der Sanktionen zu einer Bedingung für ihre Beteiligung an der Kreditkonstruktion gemacht. Die Ukraine will den Milliarden-Kredit nutzen, um die eigene Waffenproduktion auszubauen.

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"Lasst nicht nach bei den Sanktionen gegen Russland. Sie helfen wirklich", appellierte der ukrainische Präsident an die Einheit der EU. "Eure Einheit ist auch eine Waffe", sagt Wolodymyr Selenskyj. China und Nordkorea warf Selenskyj vor, Russland aktiv bei der Kriegsführung zu helfen. 

Am Freitag beraten in Berlin US-Präsident Joe Biden, der französische Präsident Emmanuel Macron, der britische Premierminister Keir Stamer und Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin über den ukrainischen Siegesplan. "Das ukrainische Volk arbeitet am härtesten. Es verteidigt nicht nur die Ukraine, sondern ganz Europa", gab Präsident Selenskyj den Verbündeten mahnend mit auf den Weg.

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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