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EU-Kommission präsentiert Fortschrittsberichte für Balkanstaaten

9. November 2006

Neben dem Fortschrittsbericht für die Türkei hat die EU-Kommission am Mittwoch (8.11.) auch die Berichte für alle übrigen Länder vorgelegt, die sich um Aufnahme in den europäischen Klub bemühen. Eine Übersicht.

Viele Aufgaben auf dem Weg nach BrüsselBild: European Communities

Mit Kroatien wird seit 13 Monaten bereits über die Aufnahme in die EU verhandelt. Mit Mazedonien wurde ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen abgeschlossen, das eine Vorstufe zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen darstellt. Die Bestimmungen aus diesem Abkommen werden von Mazedonien jetzt umgesetzt. Das Land hat bereits "Kandidatenstatus" erhalten. Auch mit Albanien hat die EU ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen abgeschlossen, die Umsetzung ist aber noch nicht weit fortgeschritten, deshalb ist Albanien noch "Bewerberland". Mit Bosnien-Herzegowina verhandelt die EU über ein solches Abkommen.

Mit dem jüngsten Balkanstaat Montenegro laufen vorbereitende Gespräche, die in ein Assoziationsabkommen münden sollen. Diese Gespräche sind mit Serbien zurzeit ausgesetzt, weil das Land nach Auffassung der EU nicht ausreichend mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammenarbeitet. Erst wenn der gesuchte mutmaßliche Kriegsverbrecher Ratko Mladic verhaftet ist, will die Europäische Union die Gespräche mit Belgrad fortsetzen. Unklar ist die Zukunft des unter UN-Verwaltung stehenden Kosovo-Gebietes, das formal zu Serbien gehört, aber dessen albanische Mehrheitsbevölkerung nach staatlicher Unabhängigkeit strebt.

Innere Reformen vor neuen Erweiterungen

Die EU hat allen Balkan-Staaten nach dem Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen eine Aufnahme fest zugesagt, allerdings gibt es dafür keinen zeitlichen Rahmen. Das hänge ganz vom Fortschritt der einzelnen Länder ab, heißt es dazu in der am Mittwoch (8.11.) beschlossenen Erweiterungsstrategie der EU-Kommission. Und die nächsten Erweiterungsrunden hängen natürlich auch von der Aufnahmefähigkeit der Union ab. Das EU-Parlament und die Kommission sind der Ansicht, dass neue Länder erst hinzukommen können, wenn sich die EU selbst an Haupt und Gliedern reformiert, sprich eine EU-Verfassung mit schlankeren Institutionen und Entscheidungswegen verabschiedet und ratifiziert wird. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn erklärte: "Institutionelle Reformen sind nötig, um Effektivität und Entscheidungsprozesse der Union zu verbessern. Das heißt, eine Reform muss stattgefunden haben, bevor das nächste neue Mitglied aufgenommen werden kann." Dies wird aber auf keinen Fall vor 2008 oder 2009 der Fall sein. Kroatien wurde informell eine Aufnahme vor Ende des Jahrzehnts in Aussicht gestellt.

Keine geografischen Grenzen bei Erweiterung

Im Prinzip bleibt die EU auch für weitere Bewerbungen um Mitgliedschaften offen. In der Erweiterungsstrategie sind keine ausdrücklichen geografischen Grenzen genannt. Mit Ländern, die im Moment keine Chance auf Beitritt haben, wie etwa die Ukraine oder Georgien, sollen die Nachbarschaftspolitik und wirtschaftliche Zusammenarbeit verstärkt werden.

Zu den einzelnen Ländern in den Fortschrittsberichten äußerte sich Rehn wie folgt:

Kroatien:

Seit Oktober 2005 verhandelt die EU-Kommission mit Kroatien über einen Beitritt. Olli Rehn, der zuständige Erweiterungskommissar zieht diese Bilanz: "Kroatien hatte einen guten Start bei den Beitrittsverhandlungen und verfügt über eine gut geölte Verhandlungsmaschinerie. Trotzdem sind mehr Anstrengungen im Justizwesen, beim Kampf gegen Korruption und bei Wirtschaftsreformen nötig. Der Weg zur EU führt über substanzielle Reformen. Es ist kein Spaziergang." Kritik aus Kroatien, die Kommission verschleppe die Verhandlungen, weist Olli Rehn zurück. Es gehe um die Umsetzung der vereinbarten Reformen in praktisches Leben. Qualität gehe vor Geschwindigkeit. Besorgt zeigt sich die Kommission über das organisierte Verbrechen in Kroatien und die ziellos verlaufenden Reformvorhaben der Polizei.

Mazedonien:

In Mazedonien werden die vereinbarten Reformen aus dem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen nach und nach umgesetzt, berichtet die EU-Kommission. Ausnahmen von dieser Regel sind die Liberalisierung des Telefonmarktes und der Schutz von geistigem Eigentum. Die Wirtschaft wachse zwar, doch sei die Arbeitslosenquote sehr hoch. Beim Kampf gegen Geldwäsche habe es nur wenige Fortschritte gegeben. Olli Rehn übte leichte Kritik: "In Mazedonien sind weitere Fortschritte erzielt worden seit der Verleihung des Kandidatenstatus im letzten Dezember, aber die Geschwindigkeit hat nachgelassen." Die Begrenzung der Korruption sei zwar auf dem Papier angegangen worden, die praktischen Ergebnisse seien aber nicht zufriedenstellend, stellt die EU-Kommission fest. Wirtschaftliche und soziale Entwicklung würden durch Korruption stark beeinträchtigt.

Albanien:

In Albanien bemängelt die EU-Kommission vor allem die unterentwickelte demokratische Kultur. Im Frühjahr und Sommer sei das Parlament durch interne Konflikte mehr oder weniger lahm gelegt gewesen. Die nach den Parlamentswahlen von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OECD) verlangten Reformen seien nur schleppend umgesetzt worden. Dieser Stillstand sei zwar inzwischen überwunden, das sei aber nur mit Hilfe von außen möglich gewesen. Die bevorstehende Wahl der lokalen Parlamente und Stadträte sei deshalb ein Test für die demokratischen Strukturen in Albanien. Der Fahrplan für eine Heranführung an die EU sei aber fertig verhandelt, sagte Olli Rehn: "Albanien hat in diesem Sommer 2006 ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen unterzeichnet. Das muss jetzt gewissenhaft umgesetzt werden." Scharfe Kritik übt die EU-Kommission an chaotischen Zuständen in der Verwaltung und am langsam arbeitenden Justizwesen. Organisierte Kriminalität und Korruption seien Anlass zur Sorge.

Bosnien-Herzegowina:

Die bei den vorangegangenen Ländern genannten Schwächen gelten im Prinzip auch für Bosnien-Herzegowina, so Erweiterungskommissar Olli Rehn: "Bosnien-Herzegowina hat einige Fortschritte auf dem Weg zu europäischen Standards zu verzeichnen. Die Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen könnten technisch schnell abgeschlossen werden, aber es fehlt noch die Umsetzung einiger wichtiger Prioritäten." Zu diesen Prioritäten müsse vor allem eine Anpassung der Verfassung zählen. Die EU-Kommission kritisierte, dass das viel zu große Parlament in Bosnien-Herzegowina eine neue Verfassung abgelehnt habe. Die alte, noch aus dem Friedensvertrag von Dayton stammende Verfassung habe viel zu komplizierte Regierungsorgane. Von einem wirklichen demokratischen und effektiven Staatswesen sei Bosnien-Herzegowina noch einige Schritte entfernt. Die Spannungen zwischen den Volks- und Religionsgruppen behinderten die Fortschritte.

Montenegro:

Erleichtert zeigt sich die EU-Kommission, dass die im Mai beschlossene Loslösung Montenegros aus dem Staatsverband mit Serbien insgesamt reibungslos verlaufen sei. Mit dem neuen Staat hat die Kommission separate Gespräche über eine Hinführung zur EU-Mitgliedschaft aufgenommen, so Olli Rehn: "Die Kommission hat im September 2006 Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen aufgenommen, aber der neue unabhängige Staat muss erst noch Verwaltungsstrukturen aufbauen, um das Vereinbarte auch umzusetzen." Besonderes Augenmerk müsse auf die neue Verfassung gelegt werden, die nach den Grundsätzen der Europäischen Union entwickelt werden sollte. Kritisch beleuchtet die EU die hohe strukturelle Arbeitslosigkeit in Montenegro und den hohen Anteil an Schwarzarbeit, der bei 30 Prozent der Wertschöpfung liegen soll.

Serbien:

Die Verhandlungen mit Serbien über ein mögliches Assoziierungsabkommen sind ausgesetzt. Solange Serbien nicht vollständig mit dem Kriegsverbrechertribunal (ICTY) in Den Haag zusammenarbeitet, sollen sie nicht wieder aufgenommen werden. Die EU verlangt zusammen mit der Chefanklägerin des ICTY, Carla del Ponte, die Auslieferung des ehemaligen Generals Ratko Mladic. Die serbische Regierung bestreitet, den gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher verhaften zu können. Erweiterungskommissar Olli Rehn hofft, dass diese Frage bald geklärt werden kann: "Die wirtschaftliche Lage hat sich verbessert, und Serbien hat demonstriert, dass es bemerkenswerte Verwaltungsstrukturen hat. Das zeigt, dass Serbien das Potential besitzt, zum Rest der Region aufzuschließen, sobald die Bedingungen des ICTY erfüllt sind." Für eine nach EU-Lesart vernünftige Haltung im Konflikt um den zukünftigen Status des Kosovo solle Belgrad "belohnt" werden, sagte Olli Rehn. Wenn die serbische Regierung also den fälligen Vorschlag des internationalen Vermittlers Martti Athisaari zum Kosovo annehmen würde, könnte die EU die Bedingungen für Verhandlungen über ein Assoziationsabkommen lockern.

Bernd Riegert, Brüssel
DW-RADIO, 8.11.2006, Fokus Ost-Südost