EU-Parlament bestätigt von der Leyens neues Führungsteam
27. November 2024"Heute ist ein guter Tag für Europa, denn es hat sich gezeigt, dass die politische Mitte hält," sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, nachdem das EU-Parlament die 26 Kommissare ins Amt gewählt hatte. Man freue sich darauf, Anfang Dezember loslegen zu können.
370 Stimmen entfielen auf die neue Kommission, 282 Abgeordnete waren dagegen und 26 enthielten sich. Der EU-Kommission kommt in der Europäischen Union eine exekutive Funktion zu. Nur sie darf in der EU Gesetze vorschlagen und überwacht auch deren Einhaltung durch die Mitgliedsstaaten.
Auch dieser Kommission wird wieder Ursula von der Leyen vorstehen. Ihre erste "EU-Regierung" ab 2019 verstand sich als eine "geopolitische Kommission". Thu Nguyen, stellvertretende Direktorin des Jacques Delors Centre, sagt im Gespräch mit der DW, zwar müsse auch diese Kommission geopolitisch agieren, doch werde die Wettbewerbsfähigkeit eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Dies hatte auch von der Leyen bei ihrer Rede im EU-Parlament deutlich gemacht.
Bei der Wettbewerbsfähigkeit geht es der EU darum, im Konkurrenzkampf mit China und den USA zu bestehen. Dafür muss Bürokratie abgebaut und mehr Geld investiert werden. Zuständig dafür werden in den nächsten fünf Jahren maßgeblich der Franzose Stéphane Séjourné und der bereits kommissionserfahrene Lette Valdis Dombrovskis sein.
Von der Leyen Kommission 2.0 setzt neue Schwerpunkte
Neben den eher klassischen Portfolios gibt es in der künftigen Kommission auch neue Schwerpunkte. So wird die Kroatin Dubravka Šuica, bislang zuständig für Demokratie und Demografie, künftig Kommissarin für das Mittelmeer sein. Sie soll für ein neues Mittelmeerabkommen sorgen, das unter anderem Partnerschaften in der Region für Investitionen, wirtschaftliche Stabilität und Migration umfasst.
Ein weiterer Schwerpunkt von der Leyens liegt in der Sicherheitspolitik. Mit dem Litauer Andrius Kubilius wird es zum ersten Mal einen Verteidigungskommissar geben. Der ehemalige litauische Premierminister war zuletzt EU-Abgeordneter. Nun ist er für den Ausbau einer "echten Verteidigungsunion" zuständig. Kubilius soll gemeinsame Investitionen voranbringen, bestehende Hindernisse im Bereich der militärischen Mobilität beseitigen und die Arbeit an Verteidigungsprojekten von europäischem Interesse leiten.
In ihrer Rede drängte von der Leyen, dass die Europäer mehr für ihre Verteidigung ausgeben müssten. Denn Russland würde neun Prozent seiner Wirtschaftskraft (BIP) für die Verteidigung ausgeben, während es im EU-Durchschnitt nur 1,9 Prozent seien. "Da stimmt etwas nicht in dieser Gleichung", sagte sie vor den Parlamentariern. Europas Sicherheit müsse immer Priorität haben.
Den ebenfalls neu geschaffenen Posten fürs Wohnen übernimmt der Däne Dan Jørgensen. Ein Augenmerk dürfte auch auf dem Kommissar für Migration, dem Österreicher Magnus Brunner, liegen. Die Nominierung des ehemaligen Finanzministers galt als eher überraschend.
Keine Geschlechtergleichheit in der Kommission
Das selbstgesteckte Ziel, eine zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen besetzte Kommission zu schaffen, ist von der Leyen für ihre zweite Amtszeit nicht gelungen. Inklusive der Präsidentin sitzen in der nächsten Kommission elf Frauen und 16 Männer. Allerdings werden vier der sechs Vizepräsidentenpositionen von Frauen bekleidet.
Vor allem das Dreigespann aus Ursula von der Leyen, Teresa Ribera und Kaja Kallas werde in der neuen Kommission "extrem wichtig" sein, sagt Europarechtlerin Thu Nguyen.
Die spanische Sozialdemokratin Teresa Ribera Rodriguez wird als Nummer zwei hinter der Kommissionspräsidentin für die Umsetzung der EU-Klimagesetze, den Green Deal, sowie für die Wettbewerbspolitik zuständig sein. Und die ehemalige estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas wird als nächste EU-Chefdiplomatin maßgeblich die EU-Außenpolitik prägen. Die liberale Politikerin und ehemalige estnische Ministerpräsidentin gilt als besonders russland-kritisch.
Weitere Schlüsselrollen kommen dem Slowaken Maroš Šefčovič, zuständig für den Handel, und dem neuen Haushaltskommissar Piotr Serafin aus Polen zu.
Umstrittene Kommissionsbesetzung
Besonders umstritten war die Nominierung von Raffaele Fitto zum Vizepräsidenten, zuständig für EU-Kohäsionspolitik und Reformen. Der Italiener und ehemalige EU-Parlamentarier ist Mitglied der postfaschistischen Partei Brüder Italiens und Kandidat der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni.
Vor der finalen Abstimmung im EU-Plenum mussten die Kandidaten bereits Anhörungen durch die zuständigen Parlamentsausschüsse bestehen. Insbesondere die Sozialdemokraten störten sich daran, dass ein Rechtsaußen-Politiker die hervorgehobene Stellung eines Vizepräsidenten bekommen sollte. Die konservative Europäische Volkspartei (EVP) sprach sich für ihn aus. Allerdings zweifelte sie an der Eignung der Sozialdemokratin Teresa Riberas und warf ihr Versagen als Umweltministerin bei den Fluten in der Region Valencia vor.
Ebenfalls umstritten war die Besetzung des Ungarn Olivér Várhelyi für das Ressort Gesundheit und Tierwohl. Er gilt als Vertrauter von Viktor Orbán und war bislang für die EU-Erweiterung zuständig. In Zukunft fällt diese Rolle der Slowenin Marta Kos zu.
Politischer Deal nötig für Abstimmung
Die erfolgreiche Abstimmung wurde nur durch einen politischen Deal zwischen den Sozialdemokraten, der EVP und der liberalen Renew-Fraktion möglich. In einer Art Koalitionsvereinbarung haben sie festgelegt, wie sie in Zukunft zusammenarbeiten wollen und wie sie mit dem rechten Rand im EU-Parlament umgehen wollen. Für Europarechtlerin Nguyen gilt die Ernennung Fittos zum Vizepräsidenten als "Zeichen eines Rechtsrucks".
Nach den erbitterten Kämpfen der vergangenen Wochen überwiegt in Straßburg die Erleichterung, dass die Kommission fünf Monate nach der EU-Wahl ihr Amt antreten kann. Auch wenn viele Parlamentarier den Auswahlprozess scharf kritisiert haben: Es ist wohl das erste Mal, dass bei den Anhörungen kein Kandidat ausscheiden musste.