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Politik

Belarus-Grenze: EU will Asylregeln aufweichen

1. Dezember 2021

Seit Monaten versuchen Tausende Menschen, von Belarus nach Polen oder in Balten-Staaten zu gelangen. Nun will die EU-Kommission Polen, Lettland und Litauen erlauben, einige Schutzrechte von Migranten vorerst auszusetzen.

Belarus Migranten im Grenzgebiet zu Polen
Migranten warten an einer Essensausgabe in einem Logistikzentrum in der Region Grodno nahe der Grenze zu PolenBild: Kacper Pempel/REUTERS

Angesichts der krisenhaften Lage an der Grenze zu Belarus haben der Vize-Präsident der EU-Kommission, Margaritis Schinas, und die für Migration zuständige Kommissarin Ylva Johansson einen Vorschlag zur Lockerung mehrerer EU-Asylregeln vorgelegt. Er ermöglicht es den betroffenen Ländern, Abschiebungen zu vereinfachen und den Asylprozess zu verlängern. Die Maßnahmen sollen zunächst für sechs Monate gelten. "Grundrechte werden nicht angefasst", versicherte Johansson.

Der Vorschlag sieht vor, dass die Behörden der Grenzländer länger Zeit haben, um Asylanträge zu registrieren – vier Wochen statt wie bislang maximal zehn Tage. Der Asylprozess dürfte nach dem Willen der Kommission bis zu 16 Wochen dauern. Während dieser Zeit werden die Menschen in der Regel in Auffangzentren nahe der Grenze untergebracht. Außerdem schlug die EU-Kommission "schnelle und vereinfachte" Rückführungen von Migranten vor, deren Asylgesuch abgelehnt wurde.

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Margaritis SchinasBild: Jonathan Raa/NurPhoto/picture alliance

Auch die materiellen Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende könnten Polen, Lettland und Litauen im Rahmen der Maßnahmen herabsetzen. Allerdings müssten sie stets die Grundrechte und speziellen Garantien im EU-Recht beachten, darunter das Kindeswohl und Nöte verletzlicher Personen, erklärte die Kommission. Es handelt sich um Ausnahmeregelungen, die der Rat der Mitgliedstaaten noch annehmen muss. Das Europaparlament wird lediglich konsultiert.

Ausnahmen durch EU-Regeln gedeckt

Gedeckt ist das Vorhaben demnach durch Artikel 78.3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Dieser ermöglicht vorläufige Maßnahmen, wenn "ein oder mehrere Mitgliedstaaten aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in einer Notlage" sind.

Die Ankündigung wurde von Menschenrechtlern kritisiert. "Dieser Vorschlag schwächt die Grundrechte von Asylsuchenden", sagte Erin McKay von der Organisation Oxfam. "Menschen, die in Europa Schutz suchen, zu stoppen, festzunehmen und zu kriminalisieren, bricht internationales Recht und europäisches Asylrecht." Die Organisation Pro Asyl nannte den Vorschlag "zutiefst beunruhigend". "Das Paket zeigt, dass die Hardliner in Europa mittlerweile die Brüsseler Agenda bestimmen."

Flüchtlinge in Belarus zwischen Hoffnung und Resignation

02:25

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Seit Jahresbeginn kamen nach Angaben der EU-Kommission bislang knapp 8000 Migranten über Belarus in die EU: knapp 4300 nach Litauen, rund 3200 nach Polen und mehr als 400 nach Lettland. Die Europäische Union wirft dem autoritären belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, gezielt Personen aus Krisenregionen nach Minsk einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen. Damit wolle Lukaschenko Vergeltung für EU-Sanktionen gegen sein Regime üben. Die Führung in Minsk weist die Vorwürfe zurück.

Weniger unerlaubte Einreisen in Deutschland

Auf der Migrationsroute über Belarus und Polen kommen inzwischen deutlich weniger Menschen nach Deutschland. Die Bundespolizei registrierte im November 2849 unerlaubte Einreisen - etwas mehr als halb so viele wie im Oktober. Polen, Litauen und Lettland haben die EU-Außengrenze zu Belarus zuletzt verstärkt abgeriegelt, so dass weniger Migranten durchkommen. "Die aus Belarus gesteuerte Migration ist noch nicht ausgestanden", sagte Innen-Staatssekretär Hans-Georg Engelke der Deutschen Presse-Agentur. Das gesamte Maßnahmenbündel wirke aber. Dazu zählten insbesondere die Gespräche des Auswärtigen Amtes mit Staaten, aus denen viele Migranten nach Minsk geflogen waren.

Diese Migranten warten Ende November im Flughafen von Minsk auf den Rückflug in den Irak Bild: Sergei Bobylev/TASS/dpa/picture alliance/dpa/TASS

Im Sommer war die Zahl der über Belarus unerlaubt nach Deutschland eingereisten Menschen stark gestiegen. Im August wurden 474 illegale Einreisen verzeichnet, im September 1903 und im Oktober dann 5285. Für das Gesamtjahr gibt die Bundespolizei die Zahl der festgestellten unerlaubten Einreisen über Belarus mit 10.690 an.

Appell an Merkel

Unterdessen wandten sich etliche Organisationen der Flüchtlingshilfe in Deutschland wegen der humanitären Krise an der polnisch-belarussischen Grenze an die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie müsse ihre letzten Tage als Regierungschefin nun dazu nutzen, sich um sichere Fluchtwege für die gestrandeten Migranten zu bemühen, heißt es in dem Offenen Brief von 28 Hilfswerken.

Die Organisationen erinnern die Kanzlerin an ihren 2015 zum Beginn der Migrationskrise getätigten Ausspruch "Wir schaffen das". Die Bundesrepublik müsse den Menschen, die unter teils katastrophalen Zuständen in den Wäldern der Grenzregion um ihr Überleben kämpften, Solidarität und rechtmäßiges Asyl gewährleisten. Zu den Unterzeichnern des Appells gehören unter anderen die Hilfsorganisation Seebrücke, Pro Asyl und die Kindernothilfe.

kle/sti (afp, epd, dpa)

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