Von der Leyen lobt und mahnt auf Westbalkan-Reise
16. Oktober 2025
Sechs Länder in knapp drei Tagen - EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte einen straffen Reiseplan bei ihrem Besuch der Westbalkanstaaten Albanien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Kosovo und Nordmazedonien diese Woche.
Die Politikerin hat in den vergangenen Jahren mehrmals die Region besucht, zuletzt 2024. Alle sechs westlichen Balkanstaaten hoffen, der EU beitreten zu können - wann genau es so weit sein könnte, ist nicht klar. Kroatien war 2013 das letzte Land, das die EU aufgenommen hat.
Die Länder der Region arbeiten dem Ziel in unterschiedlichen Geschwindigkeiten entgegen: Während etwa Montenegro gute Chancen auf einen baldigen Beitritt eingeräumt werden, ist der Prozess in Serbien aufgrund dessen russlandfreundlicher Politik und einer zunehmend ins Autoritäre kippenden Regierung ins Stocken geraten.
Seit vor fast einem Jahr ein Bahnhofsvordach in der nordserbischen Stadt Novi Sad einstürzte und 16 Menschen tötete, protestieren Bürgerinnen und Bürger fast durchgängig gegen die Regierung von Präsident Aleksandar Vucic. Die Opposition und Demonstrierende fordern Neuwahlen - Vucic verweigert diese bisher, ließ stattdessen Sicherheitskräfte brutal gegen die Demos vorgehen.
Kritik an Belgrad-Besuch
Unter anderem deswegen bezeichnete das Parteienbündnis Europäische Grüne (EGP) von der Leyens Reise nach Belgrad vorab als "völlig unangemessen und politisch fehlgeleitet". Auch die Europäischen Sozialisten (PES) riefen sie auf, "die Repressionen von Vucic zu verurteilen und die Forderungen der Studierenden und der Opposition nach Neuwahlen zu unterstützen."
Auch mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter Reporter ohne Grenzen, drängten die Kommissionspräsidentin, bei ihrem Besuch auf die "Krise der Medienfreiheit" in Serbien und der Region aufmerksam zu machen.
Kritiker haben der EU immer wieder vorgeworfen, zu nachsichtig gegenüber Serbiens Präsidenten Vucic aufzutreten
Von der Leyen fordert Reformen von Vucic
Dieses Mal fand von der Leyen verhältnismäßig klare Worte. Jetzt sei "der richtige Zeitpunkt für Serbien, den Beitritt zu unserer Union konkret zu gestalten. Daher müssen Fortschritte bei der Rechtsstaatlichkeit, den Rahmenbedingungen für Wahlen und der Medienfreiheit erzielt werden", sagte sie bei einer Pressekonferenz am Mittwoch, 15. Oktober.
Dass die Kommissionspräsidentin jetzt einen deutlicheren Ton anschlage und öffentlich die demokratischen Rückschritte in Serbien kritisiere, könne die Position der EU stärken, sagt Nikolaos Tzifakis, Politikwissenschaftler am College of Europe gegenüber der DW.
"Wenn die EU konsequent Fortschritte belohnt und Stillstand oder Rückschritte sanktioniert, wird dies erhebliche Auswirkungen auf die politischen Reformen in der Region haben", so Tzifakis weiter. Mit einer Beschwichtigungspolitik gegenüber russlandfreundlichen Akteuren setze Brüssel dagegen seine Einflussmöglichkeiten und das Vertrauen proeuropäischer Kräfte aufs Spiel.
Von der Leyen drängte Serbien am Mittwoch auch, sich den EU-Sanktionen gegen Russland anzuschließen, mit dessen Machthaber Wladimir Putin sich Vucic erst im September getroffen hatte. Belgrad habe seine Außenpolitik zwar in vielen Punkten angeglichen, es müsse jedoch noch mehr getan werden, so die Kommissionspräsidentin.
Montenegro: "Spitzenreiter" im Beitrittsprozess
Wie unterschiedlich weit die einzelnen Staaten der Region auf dem Weg zur Mitgliedschaft sind, zeigte von der Leyens Besuch in Montenegro am Tag zuvor. Sie bescheinigte dem Land, "voll auf einer Linie mit der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union" zu sein. Montenegro sei "ohne jeden Zweifel beim Beitrittsprozess ein Spitzenreiter" und könne einen Beitritt 2028 schaffen, wenn es auf diesem Weg bleibe.
Entsprechend sei es bei von der Leyens Besuch in Montenegro "mehr um Investitionen als um Reformen" gegangen, erklärt Nina Vujanovic vom Brüsseler Thinktank Bruegel. So soll etwa Montenegros kürzlich erfolgter Beitritt zum europäischen SEPA-Zahlungsraum - zeitgleich mit Albanien und Nordmazedonien - helfen, die Wirtschaft anzukurbeln.
Insgesamt habe von der Leyen auf ihrer Reise für ausländische Direktinvestitionen in die Region geworben, so Nina Vujanovic. Diese sind ohnehin schon vergleichsweise hoch: Laut OECD machten ausländische Direktinvestitionen in den westlichen Balkanstaaten zwischen 2020 und 2023 im Schnitt 6,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus - mehr als das Vierfache des EU-Durchschnitts von 1,5 Prozent.
Mit dem sogenannten Wachstumsplan für den Westbalkan will die EU die regionalen Wirtschaften weiter stärken: Bis 2027 sollen Fördergelder in Höhe von sechs Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden, mit dem Ziel, das Bruttoinlandsprodukt der Region in den nächsten zehn Jahren zu verdoppeln.
Wirtschaftliche Integration und Geopolitik
Trotz des Fokus auf wirtschaftliche Integration habe von der Leyen aber auch politische Reformen angemahnt, sagt Nina Vujanovic von Bruegel. "Die Westbalkanregion ist sehr divers, und das spiegelt sich auch darin, wie sie Entscheidungsträger in verschiedenen Ländern angesprochen hat", erklärt Vujanovic. Wo es notwendig sei, habe von der Leyen die politische Stabilisierung betont - neben Serbien etwa auch in Kosovo sowie in Bosnien und Herzegowina.
Besonders die Lage in diesen beiden Staaten sieht Politikwissenschaftler Tzifakis als zentrale außenpolitische Herausforderungen für die EU in der Region. Nationalistische Spaltungen und Konflikte eröffneten Russland Möglichkeiten für Einflussnahme. Daher sei die EU-Erweiterung von "geopolitischen Abwägungen motiviert".
Doch Beitrittskandidaten sollten sich keine Illusionen machen, so Tzifakis weiter: "Die EU zeigt sich zwar entschlossen, den Erweiterungsprozess zu beschleunigen, ist aber nicht bereit, die Beitrittskriterien abzusenken."