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Krisenstimmung am Jahresende

Christoph Hasselbach18. Dezember 2015

Die EU-Staats- und Regierungschefs wirkten beim Gipfeltreffen wie Getriebene. Sie wollen das Flüchtlingsproblem möglichst sofort lösen, doch sie haben auch viele Probleme untereinander. Aus Brüssel Christoph Hasselbach.

Merkel und Cameron verziehen das Gesicht (Foto: "picture-alliance/dpa/S. Lecocq)
Bild: picture-alliance/dpa/S. Lecocq

Grauer Himmel, düstere Atmosphäre - die Staats- und Regierungschefs fahren ohne großen Optimismus nach Hause. Die nicht endenwollende Flüchtlingskrise hat die EU auf eine harte Zerreißprobe gestellt. Alle sind sich einig, dass der unkontrollierte Zustrom nicht weitergehen kann. Beim Gipfel hat man beschlossen, die Außengrenzen besser zu schützen. Dazu hat die Kommission einen Vorschlag unterbreitet, nach dem eine europäische Grenz- und Küstenschutztruppe Staaten am Rand der EU helfen soll, die nicht fähig oder willens sind, die europäischen Außengrenzen zu schützen. Notfalls sogar gegen deren Willen. Da das einen deutlichen Souveränitätsverlust und auch einen schweren Imageschaden für die betroffenen Staaten bedeuten würde, wird in den kommenden Monaten mit harten Verhandlungen darüber gerechnet.

"Wir haben keine Zeit", sagte die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite. Doch das Gesetzgebungsverfahren wird sich wohl bis zum nächsten Sommer hinziehen. "Sechs Monate braucht man. Aber dann muss es stehen und laufen", so EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker. In der Zwischenzeit, hofft Juncker, "passiert das, was verabredet wurde, nämlich dass Flüchtlinge umverteilt werden." Aber nach den bisherigen Erfahrungen ist er "nicht übermäßig optimistisch, dass uns das gelingt". Vor allem die meisten der osteuropäischen Regierungen wehren sich mit Händen und Füßen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen und meinen, das sei nicht ihr Problem.

Egal ob die Boote von der Türkei oder Libyen aus starten, die EU will den Flüchtlingsstrom eindämmen.Bild: Getty Images/AFP/A. Messinis

Libyen stabilisieren

Wie gering die Neigung in vielen Hauptstädten nicht nur im Osten ist, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, wurde auch bei dem Treffen zwischen einigen europäischen Regierungschefs mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu deutlich. Die Türkei hat versprochen, Migranten von der Ausreise in die EU abzuhalten. Davon kann aber nach einem EU-Bericht im Moment kaum die Rede sein. Gleichzeitig haben die "Willigen" unter den EU-Regierungschefs zugesagt, der Türkei syrische Flüchtlinge abzunehmen. Doch nur zehn von 28 EU-Vertretern nahmen überhaupt teil. Und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte, erst wenn die Flüchtlingszahlen "gegen null gehen", könne man darüber reden.

Um die Flüchtlingsroute auch über das Mittelmeer von Libyen aus zu unterbinden, versucht die EU, die Bildung einer libyschen Einheitsregierung zu fördern. Der britische Premierminister David Cameron sprach unverblümt das europäische Interesse daran aus: "Weil Libyen ein zusammengebrochener Staat geworden ist, konnten ihn Verbrecherbanden als Startpunkt für die Migrantenboote über das Mittelmeer nutzen, und für uns gab es keine Behörden, mit denen wir zusammenarbeiten konnten. Deswegen ist eine libysche Regierung ganz entscheidend, um diese Migrationsroute zu beenden."

Nach wie vor droht der Brexit, der britische Abschied von der EU.Bild: picture-alliance/dpa/R.Peters

Cameron versöhnlicher

Die Konfrontation zwischen der britischen Regierung und dem Rest der EU um eine Reform der Union hat sich unterdessen während des Gipfels abgemildert. Cameron will spätestens 2017 sein Volk darüber abstimmen lassen, ob das Land EU-Mitglied bleiben oder die Union verlassen soll. Sinnvoll scheint ihm ein Verbleib nur, wenn sich die EU ändert. Monatelang wollte Cameron dabei mit dem Kopf durch die Wand - und stellte wiederholt fest, wie hart die Wand war. Inzwischen reden beide Seiten versöhnlicher und kompromissbereiter.

Am schwierigsten hat sich Camerons Forderung entpuppt, dass EU-Migranten vier Jahre lang von bestimmten britischen Sozialleistungen ausgeschlossen werden sollen. Diese offensichtliche Ungleichbehandlung und Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit wäre mit den Regeln des Binnenmarkts unvereinbar. Bundeskanzlerin Merkel versuchte, das angebliche Problem für Großbritannien zu relativieren: "Es geht hier um die Freizügigkeit von Arbeitnehmern, nicht um die Freizügigkeit von Menschen, die keine Arbeit haben oder die lediglich Arbeit suchen."

Bis Februar wollen nun beide Seiten versuchen, die Probleme zu lösen. Cameron warb noch einmal dafür: "Wenn wir diese Reformen richtig hinbekommen, und ich glaube, dass wir das schaffen können, bin ich fest davon überzeugt, dass für unsere wirtschaftliche und zunehmend für unsere nationale Sicherheit die beste Zukunft für Großbritannien in einer reformierten Europäischen Union liegt."

Wie dann die Briten im Referendum entscheiden, ist allerdings eine andere Frage. Und das hat nicht nur mit den britischen Reformforderungen zu tun. Viele Umfragen sprechen dafür - und so legt es auch der britische Außenminister Philip Hammond aus -, dass die insgesamt eher EU-freundliche Stimmung in Großbritannien in dem Moment zu kippen begann, als die Flüchtlingskrise ausbrach und die EU den Eindruck der Hilflosigkeit verbreitete.

Hilflosigkeit, Überforderung, Nationalismus, Spaltung, das sind die Schlagworte, unter denen viele Gipfelteilnehmer die EU zur Zeit sehen. Jean-Claude Juncker wurde von Journalisten gefragt, wie er auf das neue Jahr sehe: "Ich mache mir keine Illusionen", hat er gesagt.

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